Sozialistische Zeitung |
Verlassen Sie sofort mein Haus", herrschte Markus Broschk, der Geschäftsführer des
Berliner Callcenters AudioService eine Gruppe von Beschäftigten an. Sie wollten ihm vor einigen Wochen in seinem Büro einen
Protestbrief überreichen. Darin verweigerten 16 Beschäftigte ihre Zustimmung zur Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen,
verlangten die Rücknahme von der Geschäftsleitung in der letzten Woche ausgesprochenen Kündigungen und forderten
Vermittlergespräche zwischen Belegschaft und Beschäftigten. Das war Höhepunkt einer länger schwelenden
Auseinandersetzung in dem Berliner Callcenter, dass unter Anderem den BVG-Club und die Siemens-Ausbildungshotline betreut.
Aktuelle Auslöser waren neue Abrechnungsbögen, die Anfang Juli
eingeführt wurden. Danach konnten die Mitarbeiter nur noch Tagesarbeitsverhältnisse abschließen. Die entsprechende
Klausel lautet: "Das befristete Arbeitsverhältnis beginnt mit der für den jeweiligen Tag angegebenen Uhrzeit und endet
automatisch mit der angegebenen Beendigungszeit, ohne dass es einer Kündigung bedarf."
Schon bisher gab es für die Neudeutsch "Agents" genannten
Callcenter-Mitarbeiter keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keinen bezahlten Urlaub, keine Zuschläge für Nachtarbeit.
Die Beschäftigten sprachen von Tagelöhnerverträgen und
begannen mit ihren Protesten. Doch die Geschäftsleitung stellte sich stur. Die Protestierenden wurden in Einzelgesprächen
aufgefordert ihre Forderungen zurückzuziehen. Dann wolle man so tun, als sei nichts geschehen. Ansonsten drohte ihnen ebenfalls die
Kündigung. Mittlerweile hat sich die Zahl der Entlassenen auf 16 erhöht.
Die Beschäftigungsverhältnisse in den Callcentern steht schon seit
Längerem im Interesse von Gewerkschaftspresse wie Tageszeitungen. Aber auch Wissenschaftszeitungen nahmen sich des Themas an.
Schließlich ist der studentische Anteil unter den Callcenterbeschäftigen nicht nur in Berlin sehr hoch.
In der Frankfurter Universitätspublikation Diskus beschäftigte sich
Sandra Arzbächer ausführlich mit den "Beschäftigungsverhältnissen in Callcentern".
So lautet auch die Überschrift ihres Artikels, in dem sie jene Ambivalenzen
beschreibt, die auch die Unterstützerkomitees in Berlin registrierten. Für die Einen handelt es sich bei den Callcentern um Garanten
für die Sicherung des Arbeitsmarktes, mit denen sie sich Wege aus der Massenarbeitslosigkeit erhoffen. Für die Anderen sind es
Prototypen für postfordistische Arbeitsverhältnisse, durch die tariflich gesicherte Langarbeitsplätze vernichtet und
prekäre Niedriglohnarbeit dauerhaft etabliert werden sollen.
Tatsächlich ist die Gründung der Callcenter, die in der BRD seit Mitte
der 80er Jahre an Bedeutung gewonnen haben, eine Folge des Outsourcing, der Auslagerung ursprünglich unternehmensintensiver
Arbeitsbereiche an Fremd- oder Tochterfirmen. Damit wurde ein weitgehend deregulierter Arbeitsbereich geschaffen, der sich dem Einfluss
der fordistischen Institutionen weitgehend entzogen hatte.
Untersuchungen von Industriesoziologen in einem Callcenter im Rhein-Main-Gebiet
ergaben, dass die Arbeitsbedingungen von der Mehrzahl der weitgehend akzeptiert werden. Wie in vielen anderen deregulierten Branchen stand
auch hier weniger der Inhalt der Tätigkeit im Vordergrund, sondern das Gefühl, durch die spezifischen Arbeitsbedingungen
individuelle Gestaltungsspielräume zu erhalten.
Viele Beschäftige begreifen es bspw. als persönliche Herausforderung,
dass ihnen trotz hochstandardisierter Computerprogramme und vorgegebener Gesprächsmuster gleichzeitig ständig ein Stück
Autonomie in Form von individuellen Entscheidungen abverlangt wird - etwa, wenn es darum geht, situativ auf spezielle
Kundenbedürfnisse zu reagieren. Selbst der extreme Eingriff der Teamleiter in die Arbeitsverhältnisse, wie das Mitschneiden oder
Aufschneiden von Gesprächen, werden von den Mitarbeitern erstaunlich klaglos akzeptiert, so die Untersuchung.
Die Argumentation des Management, es handle sich um Maßnahmen zur
Förderung des Personals und nicht um Überwachung, wurden scheinbar überwiegend übernommen. Die Callcenter
waren nicht nur gewerkschaftsfreie Zonen.
Auch ein Callcenterarbeitgeberverband existiert nicht, so dass die Aushandlung von
Arbeitszeiten oder Lohnniveau zur Verhandlungssache zwischen Management und Belegschaft des jeweiligen Betriebs wurde. In der Praxis lief
es auf ein Diktat des Unternehmens hinaus. Die Ergebnisse zeigten sich bei AudioService in Berlin. Wer die Vorgaben von oben nicht
akzeptiert, der fliegt. Schließlich gibt es ja genügend neue Arbeitskräfte, die den Traum vom selbstbestimmten Arbeiten
zumindest für einige Zeit träumen können.
Der weltweit erste Arbeitskampf in einem Callcenter fand bei der Citibank in
Bochum und Duisburg statt. Den Kern der Streikenden bildeten allerdings schon vorher politisch aktive Studierende, die teilweise schon Jahre
vorher Betriebsräte installiert haben.
"Das Argument, bestimmte Standards seien im Citibank-Konzern
‚weltweit so, veranlasste die Bochumer Beschäftigten und ihre Interessenvertretung erst recht dazu, ihren Ruf als ‚kleines,
gallisches Dorf in der von Citibank-Unternehmen besetzten Welt zu kultivieren: eine Oase des Widerstands gegen eine Konzernpolitik,
die auf die globale Gleichmacherei der Beschäftigteninitiative bis in den Bereich des Verhaltens, der Ethik und der Gesinnung
setzte", so der Sprecher der Beschäftigten bei der Citibank Hannes Oberlindober.
Das Beispiel aus dem Ruhrgebiet könnte demnächst in Berlin Schule
machen. Auch dort wurde der Ruf nach Gründung eines Betriebsrats laut. Ein überbetriebliches Unterstützungskomitee, dass
sich für die Belange der Callcenter-Arbeiter stark macht, wurde gegründet. An den Treffen beteiligen sich Agents von vier Berliner
Callcentern. Dabei geht es in erster Linie um einen Erfahrungsaustausch sowie um juristische Beratung der meist studentischen Mitarbeiter.
Doch gemeinsame Kampfmaßnahmen sind für die Zukunft nicht ausgeschlossen.
Peter Nowak