Sozialistische Zeitung |
Schon im März wurde die Allianz zwischen General Motors (GM) und dem italienischen Unternehmen
Fiat verkündet. Nur nach und nach wurden allerdings die Details der Vereinbarungen zwischen den Konzernen bekannt. Zu ihnen
gehörte der Plan, dass GM zunächst 20% an Fiat Auto übernehmen und Fiat GM-Aktien zum Gegenwert erhalten sollte. Auf
der Basis dieser gegenseitigen Kapitalverflechtung soll es zu Kosteneinsparungen von mindestens einer Milliarde Dollar jährlich durch
gemeinsamen Teileeinkauf sowie Getriebe- und Motorenbau kommen. Um diese Synergiepotenziale auszuloten, bereisten im April und Mai
paritätische Experten-Teams die Werke. Erst zu diesem Zeitpunkt kam in den Opel-Belegschaften Unruhe auf. Was passiert bei den
voraussichtlichen Ausgründungen mit den ArbeiterInnen der jeweiligen Abteilungen in den europäischen Opel-Werken (ein 100%
Tochterunternehmen von GM) und wie viele Arbeitsplätze fallen dieser Allianz zum Opfer?
Das Opel-Management schwieg und so forderte die Belegschaft ab Mitte Mai immer
dringender die verweigerten Informationen ein. Schließlich kam es vom 14. bis 16.Juni zu spontanen Streiks der 13500
Beschäftigten in allen drei Bochumer Werken des Konzerns (siehe SoZ 13/00). Nicht ohne Folgen: Die gesamte europäische
Produktion stand noch Tage nach dem Streik still.1
Bei Opel selbst ist die Produktion von ca. 10000 Autos ausgefallen. Das bedeutet
einen Verlust von 300 Millionen Mark. Vor allem diesem Kostendruck ist das abgerungene Verhandlungsergebnis zu verdanken: GM wird an
den zu gründenden Holdings von GM und Fiat nicht mehr wie geplant mit 50%, sondern nur noch mit 30% beteiligt sein.
Durch die 20%, die die Opel AG halten wird, zählen die nach wie vor
auszugliedernden GmbHs weiterhin zu Opel und können wie ein "gemeinsamer Betrieb" mit einem einzigen Betriebsrat
behandelt werden.
Sowohl die ArbeiterInnen, die in diese GmbHs wechseln werden, als auch
diejenigen, die evtl. neu eingestellt werden sollten, sollen die gleichen Tarife und Sozialleistungen wie ihre Opel-KollegInnen erhalten.
Diese unbefristete Zusage ist allerdings eine nationale (und mittlerweile auch
europaweite) Rahmenvereinbarung, die in die Einzelverträge der jeweiligen Standorte aufgenommen werden muss und nicht durch
gesonderte Betriebsvereinbarungen für die GmbHs verwässert werden darf.
Diese Vereinbarung verhindert einen noch ungewissen Teil der Einsparungen der
Personalkosten durch die Ausgründung der Bereiche Einkauf und Powertrain (Motoren und Getriebe) in gemeinsame Holdings und
durchkreuzte die Pläne von GM, zuerst eine europäische Rahmenvereinbarung abzuschließen, um dann nationale
Verhandlungspartner in den Wettbewerb zu schicken.
Sie ändert allerdings nichts an der Verlagerung von insgesamt 10500
Arbeitsplätzen (davon 4500 in fünf Werken bei Fiat) in die neu zu gründenden GmbHs oder an dem angekündigten
Personalabbau (allein in Bochum etwa 2000). Größter Erfolg aber ist die verhinderte Spaltung. Es bleibt dabei: Ein Betrieb - eine
Belegschaft.
Gewachsenes Selbstvertrauen
Damit besitzen nun nicht nur die Bochumer Beschäftigten bessere
Bedingungen zur Gegenwehr und größeres Selbstvertrauen für den Kampf gegen die weiteren Angriffe. Und mit diesen ist zu
rechnen, denn die genannten Verluste werden wieder reingeholt und die Einsparungsversprechen erfüllt werden müssen. Doch wem
ist dieser Erfolg, der den größten Autokonzern der Welt in die Schranken verwies, zu verdanken?
Der Streik entzündete sich an der Informationspolitik des Managements. Der
Druck kam von der Belegschaft, die sich allerdings auch durch den Betriebsrat nicht ausreichend informiert fühlte. Deshalb gab es schon
seit Ende Mai immer wieder kurzfristige Arbeitsniederlegungen, um das Informationsrecht durchzusetzen.
"Alle Informationen müssen auf den Tisch! Die Bochumer Belegschaft
muss unverzüglich in einer Belegschaftsversammlung umfassend informiert werden!", forderten die KollegInnen. Sie wurden jedoch
auch vom Betriebsrat immer wieder mit dem Hinweis auf Verhandlungen auf unterschiedlichen Ebenen vertröstet.
Auch von längst laufenden Gesprächen des Europäischen
Betriebsrats (EBR) mit GM, Opel und Fiat sickerte nur langsam etwas durch.
Dies gilt auch für die anderen Opel-Standorte. Ein von der Frankfurter
Rundschau Mitte Juni befragter Opel-Arbeiter aus Rüsselsheim kritisierte, dass er alles "erst durch die Medien erfahren"
habe, "auch von dem Streik."
Auch Opel Eisenach, berichteten die dort Beschäftigten, sei über die
Entwicklung des Streiks in Bochum nur über den Presseticker des LabourNet informiert gewesen. Dabei gab Opel-Vizechef Strinz in der
Stuttgarter Zeitung offen zu, dass Gesamtbetriebsrat und Aufsichtsrat bereits seit März über alle Verhandlungen mit Fiat unterrichtet
gewesen seien.
In Bochum ist die Belegschaft aus langer Erfahrung heraus misstraurisch.
Entsprechend hat sie dem Betriebsrat eine vorgezogene Belegschaftsversammlung abgetrotzt. Auch stand in Bochum am 15.Juni immer noch die
Produktion still, während in Rüsselsheim auf höchster Ebene verhandelt wurde und der Betriebsratsvorsitzende vergeblich
aufrief, die Arbeit wieder aufzunehmen und den Verhandlungen des Gesamtbetriebsrats zu vertrauen.
Und für die noch ausstehenden Umsetzungen der Rahmenvereinbarung auf
Standortebene lautet die aktuelle Forderung an den Betriebsrat, nichts zu verabschieden, ohne die Belegschaft in einer Versammlung gefragt zu
haben.
Die Bochumer Belegschaft hegt noch einen weiteren Groll gegen ihre Vertreter: Bei
allem Stolz, allein für alle europäischen Werke so viel erreicht zu haben, sitzt die Enttäuschung tief, von den KollegInnen der
übrigen Standorte im Stich gelassen worden zu sein.
Viel Lob gab es in diesen Tagen für das LabourNet Germany: fast
stündliche Informationen, nationale und internationale Vernetzungsbemühungen von unten, Kontakte zu KollegInnen bei Fiat in
Italien und Polen. Doch wäre es nicht die Aufgabe der IG Metall gewesen, zu informieren und Proteste in allen nationalen wie
europäischen Opel-Werken zu koordinieren? Wofür gibt es einen Gesamtbetriebsrat oder Eurobetriebsrat? Was macht die
Internationalismusabteilung der IG Metall in Frankfurt?
Dies fragen sich ebenfalls viele KollegInnen in Bochum - und sparen auch bei der
gewerkschaftlichen Ortsverwaltung nicht an Kritik. Denn sogar die Versammlungen von Vertrauensleuten in Bochum, deren Einberufung
eigentlich Aufgabe der Gewerkschaft ist, wurden spontan und selbst organisiert.
Erst auf diesen Versammlungen machte unter der Hand ein gemeinsam von Rudolf
Müller (EBR-Vorsitzender) und Dr.Thomas Klebe (IG Metall) verfasstes Papier die Runde, das eine mit GM Europe zu vereinbarende
und offenbar auch vom EBR beschlossene Richtlinie beinhaltete. Die teilnehmenden KollegInnen lehnten diesen - als offizielle Lösung
der IG Metall zu betrachtenden - Entwurf mehrheitlich ab, weil er einerseits die Akzeptanz der Filetierung von Opel beinhaltete und
andererseits ausschließlich auf den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen sowie nur befristete Besitzstandswahrung für
die bestehende Stammbelegschaft setzte.
Kämpferische Rhetorik
BR und GBR gaben sich vor der Belegschaft zwar mit
an die Stimmung angepassten Parolen kämpferisch ("der Rhein hat nicht so viel Wasser, um den Brand an der Ruhr zu
löschen"), verhandelten jedoch gleichzeitig in Richtung einer sozialverträglichen Besitzstandswahrung nach dem Ford-
Vorbild.2
Und genau hierauf hatte sich das GM-Euro-Forum für die abgestimmten
nationalen Verhandlungen bald geeinigt: Löhne und Gehälter bleiben bei einem Wechsel in die Joint Ventures für mindestens
fünf Jahre unverändert; die Betriebsrentenpläne bleiben erhalten; fünf Jahre lang soll es auch keine Nachteile bei
sozialen und sonstigen Leistungen geben; keine betriebsbedingten Kündigungen im Zusammenhang mit den Joint Ventures.
Außerdem wurde die Absicht kundgetan, das Vertretungsrecht von Betriebsrat
und Aufsichtsrat auf die Joint Ventures auszudehnen - soweit dies im nationalen Rahmen jeweils rechtlich möglich sei. Doch den
Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen hatte die Bochumer Belegschaft sowieso im "Standortsicherungsvertrag"
zugesichert bekommen und ist trotzdem immer weiter geschrumpft, weshalb sie diesen Kompromiss einstimmig ablehnte. Nur durch diesen
Druck von unten wurde die ebenfalls nicht von der Gewerkschaft aufgestellten Forderung "ein Betrieb - eine Belegschaft"
unbefristet durchgesetzt.
Ein solch vorauseilender Gehorsam kann allerdings nicht ernsthaft verwundern. DGB
wie IG Metall pflegen seit längerem eine Bündnis- wie Konzessionspolitik, die sich voll und ganz der Wettbewerbsfähigkeit
verschrieben hat. Eine solche ist nur in Konkurrenz möglich - nicht nur international, sondern Standort gegen Standort.
Dazu gehören betriebliche Bündnisse für Arbeit, wie sie z.B.
durch eine aktuelle Studie der Zeitschrift WSI der Hans-Böckler-Stiftung gelobt werden. Dazu gehört auch die Konkurrenz der
Betriebsräte einzelner Konzernstandorte untereinander. Die mangelnde Zusammenarbeit trotz Gesamtbetriebsrat und Eurobetriebsrat ist
nur eine logische Folge.
Politisch dürfte daher die stattfindende Macht- und Konfliktverlagerung auf die
Betriebsebene durch zunehmende Öffnungsklauseln in Tarifverträgen nicht viel ändern, wenn die Gewerkschaft die
Konkurrenzlogik von Betriebsräten nicht eingrenzt, sondern unterstützt. Einhalt gebieten können da offensichtlich nur die
Belegschaften selbst, wie in Bochum geschehen.
Diese Option erscheint auch gar nicht so unrealistisch zu sein, wenn selbst ein
befragter Kollege aus Rüsselsheim, einer als eher brav und angepasst bekannten Opel-Belegschaft, kritisiert: "Gesagt wird viel,
und dann? Unser Betriebsrat ist mir zu brav, nimmt zu viel Rücksicht. Der ist schon auf der Arbeitgeberebene
angekommen."
Brave Kolleginnen und Kollegen
Zum Streik ist es allerdings nur in Bochum gekommen - in
Rüsselsheim wie Kaiserslautern dirigierten die Betriebsräte nur zu einstündigen "Warnungen". Eine
mögliche Erklärung liefert ausgerechnet der Opel-Vizechef Strinz in der Stuttgarter Zeitung vom 20.Juni. Dort verwies auch er
darauf, dass es nur in einem von sechs Werken von GM Europa Streik gegeben hätte und erklärte dies mit einem seit
längerem "gespaltenen Betriebsrat" und einigen "besonders kämpferischen" Belegschaftsvertretern.
Vor diesem Hintergrund kann der Streik in Bochum als ein Ergebnis von
Lernprozessen der Belegschaft interpretiert werden. Denn sie kann auf Erfahrungen mit "Standortsicherungsverträgen", einer
weitgehenden Arbeitszeitflexibilisierung sowie immer wieder eskalierenden Auseinandersetzungen um Übernahmen von KollegInnen mit
befristeten Verträgen und die damit verbundene angespannte Personalsituation sowie Leistungsverdichtung zurückblicken.3 Die
Bochumer Belegschaft war in den letzten Jahren oft empört über das Vorgehen ihrer Betriebsratsmehrheit, die
Verzichtsvereinbarungen abgeschlossen hatte.
Die Unzufriedenheit mit dem Betriebsrat, der Vertrauenskörperleitung und der
IG Metall hat ein konstruktives Ventil gefunden, weil es in Bochum eine lange Tradition von verschiedenen Fraktionen im Betriebsrat gibt.
Unterschiedliche gewerkschaftspolitische Positionen und ihre Diskussion gehören zum Alltag der Belegschaft.
So gehört seit 1972 dem Bochumer BR eine Minderheit von Kollegen der
GOG an, die nicht aufgehört haben, Kapitalismuskritik in ihre Betriebspolitik einzubringen. Und der jüngste Streik führte zu
neuen Lernprozessen der selbstbewusster gewordenen Belegschaft. Nur solche Belegschaften scheinen in der Lage, die Gewerkschaften zu
Korrekturen an ihrem offiziellen Kurs zu zwingen.
Mag Wompel
Die Autorin ist Industriesoziologin und Redakteurin des
LabourNet Germany