Sozialistische Zeitung |
Eric Toussaint hat kein Buch geschrieben, um den Entscheidungsträgern in den internationalen
Finanzinstitutionen gute Ratschläge zu geben. Der belgische Wirtschaftswissenschaftler analysiert in Profit oder Leben - Neoliberale
Offensive und internationale Schuldenkrise* die finanziellen Abhängigkeit des Südens vom Norden. Anhand seiner Analyse
hält er es für notwendig, eine "Debatte über einen neuen Radikalismus" auf die Tagesordnung zu setzen. Denn, so
der Vorsitzende des belgischen Komitees für die Streichung der Schulden der Dritten Welt (CADTM), "die früheren Formen
des Kompromisses sind durch die Wirtschaftskrise und den neoliberalen Vormarsch faktisch beiseitegeschoben worden".
Toussaints Buch, dass bereits in fünf weitere Sprachen übersetzt wurde
und an dem auch die renommierten Experten Samir Amin aus Senegal und Michel Chussodovsky aus Kanada beratend mitwirkten, bleibt die
Beweise für diese These nicht schuldig. Eine Chronologie führt die historischen Verbrechen der Weltbankpolitik und des
Internationalen Währungsfonds (IWF) auf, z.B. ihre Unterstützung von Diktaturen in der ganzen Welt, die sie bisweilen
demokratisch gewählten Regierungen derselben Länder verweigert hatten.
Aber auch die seit den 80er Jahren bis heute angewendeten
Strukturanpassungsprogramme des IWF und der Weltbank sowie die Politik der Investitionsbanken nimmt Toussaint kritisch unter die Lupe und
gelangt zu einem Resümee, das wenig Hoffnung auf die "Reformierbarkeit" dieser Institutionen lässt.
Zu diesem Zweck begibt er sich in die innere Logik des globalen Finanzssystems und
verdeutlicht ihr - auch Dank eines ausführlichen Glossars nachvollziehbares - Funktionieren. Anhand kenntnisreicher Details beschreibt
er, dass die nach wie vor gültigen Zielsetzungen der Finanzinstitutionen im Widerspruch zu einer behaupteten Politik der
Armutsbekämpfung stehen. "Trotz der Veränderungen im Diskurs haben die gegen die Menschen in Nord und Süd
durchgesetzten Politiken die Offensive des Kapitals verstärkt", so der Autor.
Um die Auswirkungen dieser Offensive zu untersuchen, hat sich der Autor mit
zahlreichen Vertretern sozialer Bewegungen und Experten aus den Ländern der Dritten Welt getroffen. Neben vier Fallstudien der
Länder Argentinien, Mexiko, Algerien und Rwanda wird in "Profit oder Leben" von zahlreichen Begebenheiten aus weiteren
Ländern berichtet.
In Debatten und Konferenzen hat Toussaint in mehreren Ländern des
Südens seine Hypothesen zur Diskussion gestellt. Er spricht etwa von einer "neuen Schuldenkrise", die sich im Anschluss an
die Finanzkrise in Asien 1997 entwickelte. Kennzeichnend dafür sei ein Einkommensverlust der Dritten Welt, der Anstieg der von ihnen
zu zahlenden Zinssätze und ein Rückgang des Investitionsflusses. Mit den entsprechenden Folgen für die Bevölkerung:
allein in Indonesien hat sich die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben müssen, laut UNDP verdoppelt. Die Weltbank,
bemerkt Toussaint, sprach allerdings schon vor der 97er Krise bei 203 Millionen Einwohnern von 60 Millionen Armen in Indonesien.
Aber er war offensichtlich nicht nur in diesen Ländern, um seine Analyse
anhand der Alltagsrealität zu überprüfen, denn die Einschätzungen der Gesprächspartner fließen auch in
das letzte Kapitel über "Alternativen zum neoliberalen Projekt" mit ein. Bei seinem abschließenden Kapitel
"handelt es sich um Vorschläge", nicht aber "um ein erschöpfendes Programm" oder ein
"Gesamtpaket", erklärt Toussaint.
Ausgehend von den Grundbedürfnissen sind für ihn eine Streichung der
Auslandsschulden, Besteuerung von Kapitaltransfers, die Frage des Landbesitzes, regionale Wirtschaftskooperation der Länder des
Südens, ergänzt um den Protektionismus ihrer Märkte und ein Recht auf Arbeit Maßnahmen, um die Krise zu
bewältigen. Allein durch "intellektuelle Überzeugungsarbeit" werden jedoch diese Maßnahmen nicht umzusetzen
sein. Wohl auch deshalb widmet Toussaint sein Buch "allen, die für ihre Emanzipation kämpfen" - denjenigen, denen er
auf seinen weltweiten Recherchen begegnet ist.
Der Orginalausgabe des Buches wurde schon 1998 in Belgien veröffentlicht.
Deshalb fehlt die Analyse einiger aktueller Entwicklungen, wie z.B. die der Programme des IWF zur Armutsbekämpfung (PRSP/PRGF).
Trotz einer bisweilen schwerfälligen Sprache lohnt sich das Buch sowohl für Einsteiger als auch für diejenigen, die sich mit
einer internationalen Debatte, die unabhängig von Regierungsinstitutionen und ihnen nahestehender Nichtregierungsorganisationen
geführt wird, auseinandersetzen wollen.
Gerhard Klas
*Eric Toussaint, Profit oder Leben. Neoliberale Offensive und
internationale Schuldenkrise, Köln (Neuer ISP Verlag) 2000, 316 Seiten, 39,90 DM.