Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 31.08.2000, Seite 14

Hauptfach Wirtschaft

Gemeinschaftsvorschläge von Arbeitgeberverbänden und Deutschem Gewerkschaftsbund gehören generell zu den surrealen Blüten in der politischen Landschaft. Was treibt hochbezahlte Männer - schaurige Charaktermasken der spätkapitalistischen Klassengesellschaft - aus der Funktionärsriege von Kapital und Gewerkschaftsführung dazu, ein "Hauptfach Wirtschaft" in den Schulen zu fordern? Ergänzt durch die alte stalinistische Parole, "Ab in die Produktion" - gerichtet an das faule Lehrerpack.
Ein Grund könnte sein, dafür sorgen zu wollen, dass eine kommende Generation einen Kanzler wie Schröder nicht nur für seine Klosprüche anhimmelt - zur Erinnerung: "Es gibt keine CDU- oder SPD-Wirtschaftspolitik, sondern nur eine moderne" oder "Man kann keine Wirtschaftspolitik gegen die Wirtschaft machen" -, sondern ihn möglicherweise auch noch versteht, wenn er seriös gemeinten Quark dieser Güte feilbietet: "Auch in der virtuellen Wirtschaft gilt selbstverständlich die alte Wahrheit, dass auch der Mehrwert von Aktien aus der Wertschöpfung resultiert."
Ein Grund könnte natürlich auch in dem ideologischen Dilemma liegen, dem eine Umfrage des Instistuts der deutschen Wirtschaft auf die Spur gekommen ist, aus der wir bereits früher zitiert haben. Dort wird frustriert festgestellt, dass trotz allem Aufwands von Schule, Medien und Verbänden das "Image des Unternehmers" so schlecht sei. "Sieben von zehn Befragten meinen, für die Unternehmen zähle nur die Senkung der Produktionskosten und die Steigerung der Gewinne." Gleichzeitig empfänden schreckliche "zwei Drittel der Deutschen die Löhne in Deutschland nicht als zu hoch", und "für jeden zweiten Bürger ist die Rente mit 60 ökonomisch verkraftbar und der Sozialstaat - so 59% der Befragten - komme als Ursache der Arbeitslosigkeit sowieso nicht in Frage."
Wenn die Einrichtung eines "Hauptfachs Wirtschaft" an den Schulen dazu führen würde, dass aus sieben von zehn Beurteilungen dieser Art glatte zehn von zehn werden, gäbe es aus unserer Sicht wenig zu mosern. Doch es soll wohl eher ein "backlash" ausgelöst werden.
Früher, als der rote Großvater noch lebte, gab es in solchen Fällen immer flammende Appelle, die Schulen müßten unpolitischer werden, die polarisierenden Aspekte dieser Gesellschaft schönreden und soziale Konflikte harmonisieren. Heute wird dagegen stramm durchmarschiert. Das Image des Unternehmers - genauer: die Wirklichkeit der kapitalistischen Wirtschaft - soll nicht beschönigt und vernebelt , sondern in seiner harten Wirklichkeit als kernig, modern und strahlend vermittelt werden, denn "tatsächlich ist diese Wahrnehmung [der sieben von zehn Befragten] nicht ganz unrichtig".
Kapitalismus ist geil, soziale Ungleichheit ist dynamisch und "survival of the fittest" ist erotisch - das sind die neuen Lernziele, die an fünf Tagen in der Woche gelehrt werden sollen.
Doch jenseits der neuen Aufgabenbestimmungen des Kapitals an die Schule und der Steigbügelhalterei der Gewerkschaftsbosse zeigt schon ein flüchtiger Blick hinter die Schulmauern, dass es das "Hauptfach Wirtschaft" längst schon gibt. Einerseits sind die Schulen selbst "Wirtschaftsfaktoren", die Opfer einer rigiden Sparpolitik der Kommunen werden. Gebäude verfallen, das Personal veraltet, Unterricht wird gekürzt und jede pädagogische oder auch nur lehrende Maßnahme steht unter dem Diktat der Geldknappheit.
Verarmung der öffentlichen Bildungseinrichtungen ist ein unabwendbares Resultat einer "Wirtschaftspolitik", die sich als Erfüllungsgehilfe "der Wirtschaft" sieht. Andererseits ist die Verwandlung bereits von Schulanfängern in "Konsumenten", die tagein tagaus den Krieg um markengerechtes Konsumverhalten, um alles irgendwie Bezahlbare in dieser Gesellschaft führen, Hauptursache für die Gewalttätigkeiten und anderen sozialen Verelendungsprozesse, die sich heute an den Schulen abspielen. Gnadenlos wird dort das Hauptfach Wirtschaft auf den Schulhöfen zelebriert: wer kein Geld hat ist ein Nichts.
Wie in der "Wirtschaft" regiert die Bereicherungsmoral, mit allen Facetten der legalen und illegalen "Geschäfte". Und wie in "der großen Politik" die Schwelle zur Anwendung von Gewalt bei der Ausführung des Hauptfachs Wirtschaft immer tiefer sinkt, so lebt es auch das Kleinklima "Schule" schon lange und heftig vor (oder nach).
Hauptfach Wirtschaft? In Ordnung, aber im Interesse welcher Klasse, das hätten wir schon gern geregelt.

Thies Gleiss


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