Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 14.09.2000, Seite 2

EU-Osterweiterung

Abstimmen sollen die Osteuropäer!

von ANGELA KLEIN

Keine Sympathie für Verheugen! Über die Verträge von Maastricht und die Einführung des Euro durften wir nicht abstimmen. Die uns Beherrschenden misstrauten uns, wir hätten das Projekt zu Fall bringen können. In Frankreich wäre es auch fast soweit gekommen: da beging die Regierung den Fehler und steckte jedem Haushalt eine Kopie des Maastricht-Vertrags in den Hausbriefkasten. Die Leute haben das Werk gelesen - und waren empört!
Wir durften auch nicht über den Anschluss der DDR und den Einheitsvertrag abstimmen, weder in Ost noch in West. Bei all diesen einschneidenden politischen Entscheidungen waren wir nicht gefragt. Stattdessen schlägt man uns jetzt vor, wir dürften über andere Völker abstimmen, ob die unserer würdig sind. Wer hier mit Nein stimmt, wendet sich ja nicht gegen deutsche Politik, sondern "nur" gegen die Polen, Tschechen usw.
Vielleicht hat Verheugen geglaubt, eine billige Tour gefunden zu haben, die EU- Osterweiterung mit der Mobilisierung chauvinistischer Ressentiments in letzter Minute noch verhindern zu können. Aber wäre das eine Lösung? Für uns? Und für Osteuropa? Der Grund, auf den die EU gebaut ist, ist sehr bröckelig. Ihre Kommissare setzen alles daran, dass die Solidarität und die sozialen Sicherungsmechanismen darin nachhaltig ausgehöhlt werden. Mit jeder dieser Maßnahmen wächst das Unbehagen gegenüber weiteren Erweiterungsschritten - natürlich. Die EU hat heute weder eine Perspektive des sozialen Fortschritts, noch echter Multikulturalität, ökologische Umkehr oder einen Zuwachs an Teilhabe der Bürger zu bieten. Viele empfinden sie zunehmend als eine Zwangsgemeinschaft und glauben, die Probleme ließen sich leichter lösen, wenn es sie nicht gäbe.
Das ist ein Trugschluss. Jede der EU-Ökonomien ist seit Jahrzehnten darauf angewiesen, ihren Produktionsüberschuss in den Nachbarländern loszuwerden. Osteuropa ist schon längst ein Markt für Westwaren geworden. Wenn wir die Grenzen nicht auch für die Menschen öffnen und gemeinsam überlegen, wie die wirtschaftliche Ordnung auf neue Füße gestellt werden kann, bleibt es dabei, dass sie als "Illegale" hierherkommen. Osteuropa hat keine Entwicklungsperspektive als Freihandelszone der EU - und die EU kann auf Dauer keinen gemeinsamen Markt betreiben ohne auch einen gemeinsamen Arbeitsmarkt zu haben.
Wir haben die EU stets dafür kritisiert, dass sie ein kapitalistisches Projekt ist, das gerade auch in Osteuropa viel soziale Regression herbeiführen wird. Die Entwicklung hat uns eher Recht gegeben. Wenn wir aber eine andere, solidarische Wirtschaftsordnung wollen, können wir nicht damit anfangen, ein Drittel der Bevölkerung Europas davon erst einmal auszuschließen.


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