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Anfang August besichtigte der Geschäftsführende Direktor des Internationalen
Währungsfonds (IWF), Horst Köhler, die prächtigen Sitzungssäle der Prager Burg, in denen IWF und Weltbank ab
26.September tagen wollen. Dem tschechischen Staatspräsidenten Václav Havel, der Köhler begleitete und vor elf Jahren
euphorisch die Einführung der Marktwirtschaft begrüßte, sind die Geister, die er damals rief, nicht mehr ganz so geheuer.
"Wir bereiten uns wie auf einen Bürgerkrieg vor und freuen uns, wenn
wir ihn hinter uns haben", beklagt sich Havel gegenüber dem IWF-Direktor. Der Staatspräsident hält die Angst vor den
Protestaktionen der mehreren zehntausend Gegner des IWF für übertrieben. Der Präsident "dramatisiere", war
umgehend vom zuständigen Innenminister Stanislav Gross zu erfahren, einem jungen Sozialdemokraten, der erst vor wenigen Monaten den
Posten erhielt.
"Ständig sprechen sie von Sicherheitsmaßnahmen, aber über
die Mission von IWF und Weltbank erfahren die Einwohner Prags kaum etwas", meint Zdenek Horeni, Prager Korrespondet der
Politischen Berichte. Erstmals findet die Jahrestagung des IWF, zu dem 18000 Gäste erwartet werden, in einem Land des ehemaligen
Ostblocks statt - in einer Zeit, in der die Kritik an der kapitalistischen Globalisierung lauter ist denn je.
Eine regelrechte Hysterie, angefacht vom Innenministerium und den US-
Sicherheitsdienst FBI, macht sich in der Stadt an der Moldau breit. Die Messlatte, die für den EU-Bewerber Tschechien gilt, hängt
weitaus höher als üblich: sie müssen unter Beweis stellen, dass sie zumindest mit den europäischen
Sicherheitsstandards mithalten können und das bedeutet, einen reibungslosen Ablauf der IWF-Jahrestagung zu gewährleisten. 11000
Polizisten sind dafür in Prag stationiert. Nach Angaben von Horeni hätten sie am 1.Mai schon mal geübt und
"Demonstrationen von Jugendlichen auseinandergetrieben - zum Aufwärmen". Dafür seien sie vom Innenminister
ausdrücklich gelobt worden.
Die Prager Bevölkerung muss die Erfahrung machen, dass in einer westlich
geprägten Demokratie, wird sie auf die Probe gestellt, demokratische Rechte nicht mehr viel zählen. Der Stadtbezirk Pankrac, in
dem sich das aufwendig modernisierte Kongresszentrum befindet, wird zwei Wochen lang der Ausnahmezustand ausgerufen. Sämtliche
Protestaktionen sind sowohl dort als auch auf den größten Plätzen des Zentrums, dem Wenzelsplatz und dem Altstädter
Ring, untersagt.
Zugelassen seien nur "Äußerungen zur Unterstützung der
Tagung des IWF", heißt es aus dem Rathaus. Die Bewohner von Pankrac müssen ihre Autos anderswo parken, nach Hause
kommt nur, wer stets den Personalausweis bei sich führt, Besuch kann zwei Wochen lang nicht empfangen werden.
"Seit Monaten wird die Bevölkerung über die Medien mit den
verschiedensten Drohungen aus dem Innenministerium bombardiert, als ob tatsächlich ein Bürgerkrieg bevorstünde. So wird
schon seit dem Frühjahr der Abtransport der Schulkinder aus den Prager Stadtvierteln, in denen die Bankerkonferenz stattfinden soll, in
Orte außerhalb von Prag organisiert. Den alten Menschen wurde nahegelegt, ebenfalls lieber die Stadt zu verlassen, und es wurde ihnen
sogar finanzielle Unterstützung dafür versprochen. Unternehmer und Geschäftsleute wurden aufgefordert, auffällige
Reklame zu entfernen, weil sie sonst Opfer von Angriffen der Demonstranten werden könnten", berichtet Horeni.
Die Krönung des Ganzen sei allerdings die Aufforderung an Touristen
gewesen, in der zweiten Septemberhälfte keinen Besuch der Prager Theater zu planen, weil ihnen sonst "wohlmöglich
unterwegs etwas zustoßen könnte".
Währenddessen versuchen etwa 40 Helfer aus dem Ausland und 30 Aktivisten
aus Tschechien, die bei INPEG, einem Bündnis von Gegnern der kapitalistischen Globalisierung mitarbeiten, die Vorbereitungen
für die Proteste zu organisieren. Doch spätestens seit der zweiten Septemberwoche beschweren sie sich über zunehmende
Kriminalisierung, die durch Desinformationen der Medien zusätzlich angeheizt werde. Ein Training für medizinische Hilfe im
Notfall, das in einem besetzten Haus stattgefunden habe, sei von der Presse als "Training zum Bau von Molotow-Cocktails"
bezeichnet worden.
Am folgenden Tag habe die Polizei das Haus gestürmt, berichtet INPEG. Auch
sei es äußerst schwierig, Räume anzumieten, da niemand mit Anti-IWF-Aktivisten in Verbindung gebracht werden wolle.
Dennoch bereitet INPEG zahlreiche Aktionen für den 26.September vor. Neben medizinischem Notfalltraining und dem Aufbau von
Kommunikationsstrukturen gibt es eine Kunst AG, Rollenspiele und Sambabands.
Gerhard Klas
Weitere Infos: http://inpeg.ecn.cz.