Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 14.09.2000, Seite 5

Sicherheitsversprechen

für deutsche Ostexpansion

Rot-grüne Außenpolitik operiert, so viel steht seit dem Kosovo-Krieg fest, doppelbödig. Was Schröder als Hauptredner der Feier zum 50.Jahrestag der "Charta der Vertriebenen" in Berlin meinte, muss gedeutet werden. Zu "Vertreibung" sagt er z.B.: "wie auch immer sie begründet wird und welche Verbrechen auch immer damit gerächt werden sollen" - schon sind die Potsdamer Verträge, die das Territorium Deutschlands fixierten und die die Grundlage für die Umsiedlung der im wiederhergestellten Polen und der Tschechoslowakei verbliebenen deutschen Staatsbürger waren, "Rache". Rache ist Unrecht. Ein Rechtsstaat nimmt Unrecht nur unter Vorbehalt hin. So steht alles Anerkennen der Situation im östlichen Europa auf den tönernen Füßen der Kräfteverhältnisse.
Oder: "Diese Menschen waren Opfer, und zwar in allererster Linie Opfer der verbrecherischen Politik der Nationalsozialisten und des Hitlerschen Aggressionskrieges. Sie hatten in besonderer Weise die Last dieser Kriegsschuld zu tragen." Die Nazistrategie ("Volk ohne Raum") war mit der deutschen Ostsiedlungs- und Kolonisationsgeschichte dicht verwoben. Die Menschen, die sich in Osteuropa zu Deutschtum und Reich bekannten, waren auch praktisch für den Ausbau und die Durchführung der Naziherrschaft unverzichtbar. Lügen über die Lage der deutschen Minderheiten im Osten trugen die Mobilisierung zu Annexion und Überfall.
Nach Kriegsende hatten es die Nachbarländer, die der völligen Vernichtung durch Nazideutschland nur knapp entgangenen waren, mit Minderheiten zu tun, die sich weiterhin zu Deutschtum und zum "Reich" bekannten und sich keineswegs in die wiedererrichteten polnischen, tschechoslowakischen und anderen Länder als Minderheit eingliedern wollten. Sie hielten an Deutschland fest und Deutschland an ihnen. So bemäntelt die Opfermetapher in diesem Fall bloß die Verantwortlichkeit der Menschen für ihr politisches Tun oder eben auch Unterlassen.
Vielleicht meint Schröder ja tatsächlich, mit Osterweiterung der EU liefe die Verbandspolitik der Vertriebenen ins Leere. Eher nicht, denn es wird erwartet, dass mit der Übernahme des EU-Rechts v.a. durch die Tschechische Republik diese Ansprüche eher aufleben.
Anstatt vor Revanchismus zu warnen, preist Schröder vor den Vertriebenenverbänden, die heute besser als Rücksiedlungsbetriebe bezeichnet würden, den Kosovo-Krieg als Ursprung der Freiheit in Europa: "Hier ging es um nicht weniger als um die Frage, wie ernst wir es meinen mit unserem Kampf gegen Vertreibung und Ausgrenzung. Und so wenig die Entscheidung für einen Krieg gegen Milosevic einem Deutschen leicht fallen konnte, so klar war doch, dass in diesem Notfall nur durch entschlossenes Handeln Europa sich selbst zu einem Kontinent der Freiheit machen konnte." Ein Sicherheitsversprechen für die deutsche Ostexpansion. Die Verbände werden es verstehen.
Martin Fochler


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