Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 14.09.2000, Seite 6

VW Mexiko

Lohnerhöhung durchgesetzt

Über zehn Tage haben in Mexiko ArbeiterInnen bei VW Puebla gestreikt. Sie forderten eine Lohnerhöhung um 35%. Von staatlicher Seite wurde der Streik für illegal erklärt. Schließlich einigten sich Gewerkschaft und Geschäftsführung auf eine Lohnerhöhung von insgesamt 21%. Am 30.August beendeten die ArbeiterInnen den Streik.
Rund 12000 gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen hatten am 18.August die Arbeit niedergelegt. Unter Führung der unabhängigen Gewerkschaft Sindicato Independiente de Trabajadores de la Industria Automotriz Volkswagen de México (SITIAVW) wandten sie sich gegen die Reduzierung der Erholungstage und die Verpflichtung, Überstunden zu leisten. Außerdem forderten sie eine Lohnerhöhungen um 35% in Anlehnung an die Produktivität, eine verstärkte Anerkennung der Verhandlungsposition der Gewerkschaft sowie eine verbesserte Ausstattung der ArbeiterInnen mit Arbeitsmaterial.
Nach dem Streik im Jahre 1987 ist dies der erste große Streik bei VW Puebla um Lohn- und Arbeitsbedingungen. 1992 kam es zu einer Auseinandersetzung mit der Geschäftsleitung, die jedoch in erster Linie auch eine innergewerkschaftliche Auseinandersetzung war. Damals konnten sich die ArbeiterInnen trotz eines 37-tägigen Streiks, der sich vor allem gegen die einseitig von der Gewerkschaftsführung unterzeichneten Verträge richtete, nicht gegen die individuelle Neuaushandlung aller Arbeitsverträge wehren.
In den vergangen acht Jahren nun hat es seitens der Gewerkschaft verschiedene Versuche gegeben, die Verträge neu und verbessert auszuhandeln. Gleichzeitig hat der weltweite Angriff auf Arbeitsbedingungen und Entlohnung von Seiten des VW-Managements zu drastischen Veränderungen in der Arbeitsorganisation geführt. So wurden auch bei VW die Gruppenarbeit eingeführt und die unter der Bezeichnung "Toyotismus" bekannten Arbeitskonzepte durchgesetzt.
Nach Aussagen der ArbeiterInnen kam es so zu einer enormen Arbeitsverdichtung in den drei Schichten, mit denen die VW-Führung den Ausstoß der Fabrik in diesen Jahren extrem angekurbelt hatte. Vor allem durch den Export der Modelle Jetta, Sedan, New Beetle und Golf Convertible wird in diesem Jahr mit einem Rekordergebnis in der Produktion der Niederlassung gerechnet.
VW hatte in den letzten Jahren einen enormen Produktivitätszuwachs zu verzeichnen, der sich einmal durch eine Reduzierung der Arbeitskräfte von ca. 20000 auf mittlerweile 12700 ergab und andererseits durch die konsequente Umsetzung von Just-in-time-Produktionssystemen.
Der Streik bedeutete für VW Puebla einen täglichen Produktionsausfall von 1500 Einheiten, was einem Verlust von 5 Millionen US-Dollar gleichkommt. Trotzdem wird erwartet, dass das Werk in diesem Jahr mit einem Umsatz von 5 Milliarden Dollar bei einer Erhöhung der Ausfuhren um 32% abschließt.
Die Forderungen der Gewerkschaft, die von der Geschäftsführung in der üblichen diffamierenden Weise als "absurd" deklariert wurden, basierten in erster Linie auf dem erhöhten Absatz, der national um 30% und international um 40% gestiegen ist. Als Antwort auf die Gewerkschaftsforderung von 35% Lohnerhöhung bot die Geschäftsführung 9,2% an und weigerte sich, Angebote außerhalb der Marge von 10-20% zu berücksichtigen.
Die Gewerkschaft wiederum gab am dritten Streiktag auf einer Pressekonferenz die Reduzierung der Forderungen auf 25% bekannt und lag damit immer noch deutlich über dem Angebot der Geschäftsführung. Über 10000 der ca. 12700 gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen hätten diese diskutiert und verabschiedet, und es sei jetzt an der Geschäftsführung, die Verhandlungen mit besseren Angeboten voranzubringen.
Diese erklärte, dass sie solche "drastischen" Forderungen nicht bezahlen könne, da sie ja schließlich Rücklagen für eventuelle Markteinbrüche machen müsse. Aufgrund der in VW Puebla praktizierten Just-in-time-Produktion seien mittlerweile schon weitere 7000 Arbeiter aus der Zuliefererindustrie von Produktionskürzungen betroffen, und für den dritten Streiktag hätten bereits sechs weitere Zulieferer Lohnkürzungen aufgrund von Produktionsausfällen angekündigt.
Die Geschäftsführung und lokale Politiker befürchteten darüber hinaus den Rückzug der von der deutschen VW-Zentrale angekündigten Investitionen von ca. 1650 Millionen Dollar, durch die rund 6000 Arbeitsplätze entstehen sollen. Davon würden ca. 700 Mio. Dollar auf die Niederlassung in Puebla entfallen, da mit 1500 Produktionseinheiten deren Kapazitäten erschöpft seien.
Am 21.August hat die Nationale Gewerkschaftsvereinigung Unión Nacional de Trabajadores (UNT) ihre Unterstützung des Streiks der ArbeiterInnen bei VW Puebla bekanntgegeben. Die UNT hat 214 Mitgliedsgewerkschaften und insgesamt 4 Millionen Mitgliedern.
Der Gewerkschaftsvorsitzende Francisco Hernández Juárez verdeutlichte, dass zu den vom Dachverband organisierten Unterstützungsmaßnahmen nicht nur Demonstrationen und Öffentlichkeitsarbeit gehörten, sondern auch Solidaritätsstreiks möglich wären. Darum wurde ein Solidaritätsposten vor dem Ministerium für Arbeit und Soziales in Mexiko-Stadt aufgestellt. Dort wurden die Verhandlungen zwischen Gewerkschaft und Geschäftsleitung geführt.
"Wir unterstützen einfach unsere Kollegen, und berücksichtigen dabei, dass die Geschäftsleitung sich bisher geweigert hat mit der Gewerkschaft ein Verhandlungsergebnis zu erzielen", so Juárez. Auch die Androhung, dass die angekündigten Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe ausbleiben könnten, ließ ihn unberührt, denn: "Wenn wir der Geschäftsleitung alles glaubten, was sie sagt, müssten wir ihr sogar noch Geld leihen."

Streikverbot

Die Geschäftsführung reagierte auf den Streik damit, dass sie bei der für die Überwachung des Streiks und eventueller Unregelmäßigkeiten zuständigen staatlichen Stelle, der Junta Federal de Conciliación y Arbitraje, beantragte, den Streik für ungültig zu erklären.
Die Gewerkschaften ihrerseits kündigten an, gegen eine eventuelle Entscheidung der Behörde zugunsten der Geschäftsführung vorgehen zu wollen. José Luis Rodríguez, der Vorsitzende der unabhängigen VW-Gewerkschaft bekräftigte, dass die 12700 ArbeiterInnen entschlossen seien, den Streik fortzuführen, bis die Arbeitgeberseite "begreife, dass unsere Lohnforderung weder unflexibel noch unnachgiebig ist, sondern angemessen ist, angesichts dessen, dass die Automobilfirma in den letzten Jahren Rekordabsätze erzielt hat und dass die Qualität der geleisteten Arbeit mit der in Europa vergleichbar ist".
Am 22.August erklärte die Junta den Streik aufgrund der Nichteinhaltung bestimmter arbeitsrechtlicher Vorschriften für ungültig. Die VW-ArbeiterInnen demonstrierten dagegen vor der Behörde.
In zusätzlich stattfindenden Versammlungen sprachen sich über 10000 ArbeiterInnen für die Weiterführung des Kampfes aus, um das Streikziel von mittlerweile 20% effektiver Lohnerhöhung durchzusetzen. In Radiointerviews bekräftigte José Luis Rodríguez, der Gewerkschaftsvorsitzende der unabhängigen Gewerkschaft bei VW, deren Entschlossenheit, mit juristischen Mitteln gegen das Streikverbot anzugehen.
Die Unzufriedenheit bestimmter Gewerkschaften über die staatliche Entscheidung, den VW-Streik für illegal zu erklären, machte sich jetzt auch in Aktionen Luft. So demonstrierten am 29.August insgesamt ca. 1000 Arbeiter von VW und anderen UNT-Gewerkschaften mehrere Stunden vor dem Regierungspalast.
Guillermo Rodríguez Mellado, Mitglied der UNT- Gewerkschaftsfürhung hat darüber hinaus angekündigt, dass Arbeiter aus über 100 Firmen Solidaritätsstreiks ausrichten werden, um die mexikanische Regierung unter Druck zu setzen. Obwohl die VW-Geschäftsleitung offensichtlich im letzten Moment eine globale Lohnerhöhung auf 20% für die Arbeiter bei VW angeboten hat, wurde dieses Angebot von José Luis Rodríguez, dem Gewerkschaftsvorsitzenden, zurückgewiesen.
Auch aus Deutschland kam eine Solidaritätserklärung. "Die Löhne und Arbeitsbedingungen müssen nach oben angeglichen werden und nicht nach unten!", so einige Gewerkschafter von VW in einem Brief an ihre Kollegen in Mexiko. Sie begrüßten den Streik in Mexiko und berichteten, dass auch in Deutschland das Konzernmanagement versuche, die Tarifverträge zu seinen Gunsten zu verändern.
Die Gewerkschafter verwiesen auch auf Arbeitskämpfe in anderen Ländern. "Bei VW Südafrika hat das Werksmanagement Anfang des Jahres bei einen Streik der Kollegen gegen die Suspendierung ihrer demokratisch gewählten Gewerkschaftsvertreter mit einem Ultimatum reagiert." Wer nicht wieder zur Arbeit gekommen sei, sei entlassen worden. "Seitdem kämpfen 1300 entlassene Kollegen für ihre Wiedereinstellung."
Auch der Beschluss der mexikanischen Behörden, dass der Streik illegal sei, wurde von den Gewerkschaftern kritisiert. Die Arbeiter hätten das Recht zu streiken, um ihre "berechtigten Forderungen" durchzusetzen.
Gegen 23 Uhr am 30.August wurde der dreizehntägige Arbeitskonflikt bei VW Puebla schließlich beendet. Die 12700 ArbeiterInnen erhielten 13% direkte Lohnerhöhung, 5% Produktivitätszuschlag, 2% sonstige Sozialleistungen, sowie 1% Beihilfe zu Schulmaterialien. Damit ist die von der unabhängigen Gewerkschaft aufgestellte Forderung von über 20% zwar erfüllt, aber angesichts der ursprünglich geforderten 35% Prozent Lohnerhöhung ist das Ergebnis nicht eben berauschend.

Lars Stubbe


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