Sozialistische Zeitung |
In einer Studie "Zur erneuten Konjunktur des ‚Antikapitalismus von rechts und zur erneuten
Verwirrung der Linken aus diesem Anlass", die im Auftrag des DGB-Bildungswerks Hessen erstellt wurde, geht der Autor der Frage
nach, warum die NPD in Ostdeutschland so erfolgreich geworden ist.
Eingangs zitiert Jean Cremet einen Erzfeind der NPD, den Spitzenfunktionär
des Bundes Freier Bürger, der sich gerade aufgelöst hat, Eberhard Frohnecke: "Die NPD ist für ihre Verhältnisse
erfolgreich in Mitteldeutschland, da sie die gleichen altsozialistischen Klassenkampfparolen propagiert, wie einst SED und PDS."
Cremet untersucht die ideologische Entwicklung der NPD und stellt dabei fest:
"Diese zeitweise fast schon totgeglaubte und zur Sekte verkommene Traditionsformation hat neues Leben nicht nur durch die Einbindung
jugendlicher subkultureller Lebensformen gewonnen, sondern auch durch eine politische Lageanalyse, die zur radikalen Veränderung
ihrer Argumentationsweise geführt hat. Die ‚nationale Frage in der Form von Gebietsforderungen hat demnach nach dem
Anschluss der DDR ihre massenmobilisierende Kraft verloren. Ebenso hat die erzwungene Minderung der Flüchtlingszahlen in
Verbindung mit den rassistischen Maßnahmen der Bundestagsmehrheit beim sog. ‚Asylkompromiss - in Wirklichkeit seiner
faktischen Abschaffung - dazu geführt, dass eine ausschließlich rassistische Agitation nicht mehr, wie Ende der 80er und zu Beginn
der 90er Jahre, genügend Schubkraft hat, um Wahlerfolge zu garantieren. Gleichzeitig haben die ökonomische und nicht zuletzt
kulturelle Kahlschlagpolitik in den Territorien östlich der Elbe, der langanhaltend hohe Sockel an Arbeitsuchenden und eine
‚Reformpolitik im Sozial- und Gesundheitsbereich auf dem Rücken der unteren Einkommensschichten dazu geführt, dass der
sozialen Frage im öffentlichen Bewusstsein fast absolute Priorität zukommt. Die Klientel der extremen Rechten stellt dabei
selbstverständlich keine Ausnahme dar, da die ansprechbare Zielgruppe entgegen allzu optimistischer Annahmen gerade aus den
benachteiligten Einkommensschichten kommt.
Die Verknüpfung nationalistischer (gegen Globalisierung, EU und Euro) mit
rassistischen, dabei tendenziell stets auch antisemitischen und antidemokratischen (Schwatzbude, Diätenschmarotzer, Parteienherrschaft)
Standardaussagen mit einem antikapitalistischen Ansatz zu einem volksgemeinschaftlichen Sozialismusbild wird in dieser Situation als das zu
schmiedende Schwert angesehen, mit dem der gordische Knoten des ideellen Gesamtfeinds (die ‚Hochfinanz-Mafia mit dem
‚vagabundierenden Geld mit dem Zinssystem) wirkungsvoll zerschlagen werden kann."
Die Verbindung des nationalen mit dem sozialen Element ist auch das Anliegen des
NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, der mit der Aussage zitiert wird, es gelte "den bereits vorhandenen sozialrevolutionären Geist zu
kanalisieren", um die "längst überfällige neue politische Ordnung" errichten zu
können.
Aufbau Ost
Die Hauptzielgruppe der NPD ist die Bevölkerung der ehemaligen DDR. Ihre zum Teil
erheblichen Mitgliederzuwächse erzielt die Partei fast ausschließlich in den neuen Bundesländern. Hinzu kommt, dass sie bei
den Bundestagswahlen 1998 in Ostdeutschland erheblich mehr Stimmen erzielt hat als in Westdeutschland.
Schon diese Erfolge gehen auf eine "antikapitalistische" Propaganda von
rechts zurück. Cremet zitiert aus einem NPD-Flugblatt zur Bundestagswahl neben den üblichen, antisemitisch zu deutenden NS-
Reminiszenzen ("Überwindung der kapitalistischen Zinsknechtschaft", "Verbot von
Spekulationsgeschäften") und den unerlässlichen rassistischen Parolen ("Einsparungen bei Sozialleistungen für
Ausländer"), auch eine Reihe von Punkten, die dirigistische Maßnahmen gegen Großunternehmen fordern
("Abwanderungsverbot für Unternehmen in Billiglohnländer", "staatliche
Beschäftigungsmaßnahmen", "Mit den Profiten Arbeitsplätze schaffen!").
Der Autor hält es für "zu billig, schlicht von sozialer Demagogie
zu sprechen" und verweist darauf, dass sich für solche Forderungen Zustimmung weit über den Kern der extremen Rechten
hinaus finden dürfte.
"Am weitesten gediehen ist die Ausformulierung dieses rechten,
volksgemeinschaftlichen und rassistischen Antikapitalismus im erfolgreichsten und mitgliederstärksten Landesverband der NPD, dem
sächsischen. Dort bezeichnet sich die NPD in einem Flugblatt als ‚moderne und revolutionäre, als
‚antiimperialistische und ‚in der Tradition der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung stehende Partei, die
‚solidarisch mit allen Völkern ist, die sich im Abwehrkampf gegen den verbrecherischen US-Imperialismus und seine Helfershelfer
befinden.
Mit ‚Sorge werden Tendenzen in der PDS-Parteiführung betrachtet,
‚sich dem politischen Geschäftsgebaren der Altparteien anzupassen sowie sich ‚abwertend zur Geschichte der DDR zu
äußern, denn die Mehrheit der NPD-Mitglieder sei der Meinung, ‚dass die DDR das bessere Deutschland war.
Ehemalige ‚DDR-Hoheitsträger sollen gezielt für die NPD
geworben werden. Bündniskriterien sind neben antikapitalistischen Forderungen die Ablehnung von Privatisierungen öffentlicher
Leistungen und Eigentums sowie der Widerstand gegen die ‚Zerstörung der deutschen Kultur und Mentalität. Die Politik der
Bundesregierung und aller Parteien (einschließlich der Konkurrenz rechtsaußen) sei ‚im Wesen gegen das deutsche Volk
gerichtet, besonders aber ‚in einem bösartigen Antikommunismus gegen die Bürger der Ex-DDR. Dass ausgerechnet
die NPD den anderen Parteien einmal deren Antikommunismus vorwerfen würde, damit hatte nun wahrlich niemand rechnen
können."
NPD und PDS
Die NPD hat im Osten das Wählerpotenzial der PDS im Visier. Mit Interesse hat
sie registriert, dass die PDS bei den letzten Bundestagswahlen in jenen drei Wahlkreisen, wo sie ihre Dikrektmandate holte, "bei den
Zweitstimmen Verluste in der Größenordnung zwischen 4 und 5% hinnehmen musste".
"Das Kalkül ist einfach: Wer früher PDS gewählt hat, kann
schwerlich zu einer jener Parteien wechseln, die für die herrschende soziale Kälte stehen; wer an der DDR vor allem die dort
angeblich existierende ‚Nestwärme schätzt, wird für Parolen von der Notwendigkeit der ‚Volksgemeinschaft
empfänglicher sein als andere; wer als ehemaliger Funktionsträger in der DDR heute real von sozialer Ausgrenzung betroffen ist,
wird sich weniger an der offiziellen Ausgegrenztheit der extremen Rechten stoßen als Menschen in abgesicherter und
zukunftsträchtiger Position. Eine solche Klientel erscheint wesentlich geeigneter und zudem kampfbereiter als die satten, um ihren noch
vorhandenen Wohlstand fürchtenden Bürger im Westen, die dort die überwiegende Mehrheit der Mitgliedschaft
stellen…"
Die "positive Neubewertung ihres ehemaligen Staates", die in den neuen
Bundesländern teilweise stattgefunden hat, sei deshalb "keineswegs eindeutig links besetzt".
Die NPD will in Ostdeutschland nicht nur ihre Partei aufbauen, sondern ein
"nationales Umfeld" schaffen. In der Wahl ihrer Bündnispartner ist sie dabei nicht sektiererisch. Dazu gehören:
"das frühere DKP-Mitglied Martin Walser, der ehemalige RAF-Terrorist Horst Mahler, der einstige Brecht-Zögling Hans-
Dietrich Sander, der Hofgeismarer Sozi Sascha Jung, der 68er Theoretiker Reinhold Oberlercher, die ‚völkische PDS-Politikerin
Christine Ostrowski sowie ein beträchtlicher Teil junger Gewerkschaftsmitglieder, die nach den neuen empirischen Erkenntnissen die
Forderung: ‚Deutsche Arbeit zuerst für Deutsche befürworten. Denn es geht um nationale Inhalte und nicht um links-rechte
Etikettierung." So der Burschenschafter Jürgen Schwab in der Monatszeitschrift Staatsbriefe.
Cremet schlussfolgert: "Von der extremen Rechten als potenziell
bündnisfähig angesehen wird jede/r, der oder die bereit ist, das politische und soziale Konstrukt der Nation als seinen
Bezugsrahmen zu akzeptieren, oder besser noch, den ‚nationalen Nihilismus als linksradikale Sünde brandmarkt."
Heimliche Sympathisanten macht Cremet auch unter den Redakteuren des Neuen
Deutschland aus, z.B. Marcel Braumann, der einen Beitrag für die nationalrevolutionäre Zeitschrift Wir selbst geschrieben hat.
Darüber hinaus war das ND 1998 mit einer Artikelserie zur Frage "Wie national muss die Linke sein?" hervorgetreten, in der
u.a. Prof.Michael Nier aus Chemnitz zu Wort kam, ein Mitarbeiter im Arbeitskreis Wirtschaftspolitik beim Parteivorstand der NPD und 1999
deren Kandidat zum Europaparlament.
Nier ist der Auffassung, dass es zwischen der NPD und der PDS nationale
Schnittmengen gibt, die sogar einen Wahlaufruf für die PDS rechtfertigen würden: "Man kann wohl feststellen, dass die
Masse der Mitglieder und Wähler der PDS national orientiert und der Meinung ist, dass das internationale Finanzkapital über die
regierenden Systemparteien an der Zerstörung von Sozialstaat und Kultur in Deutschland arbeitet… Der Autor ist der Meinung, dass die
PDS in den Bundestag gehört."
National-Kommunismus
In der sozialistischen und kommunistischen Bewegung
hat die Nähe zum Nationalismus eine gewisse, wenngleich minoritäre Tradition: Mussolini, Sorel, Otto Strasser, Scheringer. Gerne
beruft man sich auch auf Frühsozialisten wie Saint-Simon oder Proudhon. Diese Nähe, schreibt Cremet, ist nicht zu verstehen, wenn
man den Faschismus auf die sog. Dimitrov-Definition einengt, wie dies in der DDR und in weiten Teilen der BRD-Linken üblich war (=
"die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des
Finanzkapitals") und mit dieser Definition auch den Faschismus in der Bewegungsphase analysiert. Antikapitalismus von rechts ist schon
charakteristisch für einige Denker der Kaiserzeit, vor allem aber für "breite und einflussreiche Kreise der Konservativen
Revolution der Weimarer Republik".
Cremet verfolgt die neuere Entwicklung des "Sozialismus von rechts"
über die französische "Neue Rechte", Nationalrevolutionäre um Henning Eichberg und Hartwig Singer, den
Kirchhainer Kreis der Jungen Nationaldemokraten. Bis 1989 war der Nationalismus in der BRD aber untrennbar mit dem Antikommunismus
verknüpft, weshalb die deutlich kapitalismuskritischen Elemente im Umfeld der NPD eher so etwas wie einen "dritten Weg
zwischen Kapitalismus und Kommunismus" suchten. "Während die extreme Rechte in anderen europäischen
Ländern daran arbeitete, die durch den Verlust der Kolonien verlorene Weltmachtposition zurückzugewinnen und deshalb
Europakonzeptionen entwickelte, litt die deutsche extreme Rechte vor allem unter dem Fehlen der Vollständigkeit der Nation … All das
änderte sich mit dem Fall der Mauer … Diese Entwicklung führte, unter nunmehr veränderten sozioökonomischen
Bedingungen, zu einer Reaktualisierung der nationalistisch-sozialen Synthese - mit nur geringer zeitlicher Verzögerung in den ehemals
realsozialistischen Staaten und mit etwas größerem zeitlichen Abstand und geringerer Sprengkraft und Verbreitung auch im
vergrößerten Deutschland."
Die ideologischen Versatzstücke jener "rot-braunen Allianz", die
in Russland mit Parteien wie der KPRF oder der Allunions-KP der Nina Andrejewa den größten Einfluss hat, sind allseits bekannt:
1. Der Hauptfeind sind die USA, die die Welt kolonisiert und gegen die ein
nationaler Befreiungskampf geführt werden muss;
2. die europäischen Regierungen sind Handlanger des Finanzkapitals und
damit der Kolonialisten;
3. das Finanzkapital ist natürlich jüdisch, der nationale Sozialismus
muss also antisemitisch sein;
4. der Kapitalismus (das Finanzkapital) ist international, also kann der Sozialismus
nur national sein.
In Ostdeutschland, das von westdeutschem Kapital besetzt worden ist und dessen
Bewohner sich auch nach zehn Jahren noch in jeder Beziehung, wirtschaftlich, sozial und kulturell als Deutsche zweiter Klasse fühlen
müssen, muss man sich nicht wundern, wenn eine dumpfe Propaganda "gegen die westliche Zivilisation" und die Korruptheit
der liberalen Demokratie auf fruchtbaren Boden stößt. Sie hat jedoch weder etwas mit einer klassenkämpferischer
Orientierung der ostdeutschen Belegschaften noch mit einer fortschrittlichen Alternative zum Kapitalismus zu tun.
Angela Klein