Sozialistische Zeitung |
Normalerweise widmen wir uns in dieser Rubrik ja GenossInnen und ZeitgenossInnen, die durch mehr oder
weniger lustvolle Verknüpfung von Vernarrtheit mit Irrtümern ungewollt wieder in der Realität ankommen - Lernprozessen
mit tödlichem Ausgang, die meistens unterhaltsamer und lehrreicher als gradlinige Agitationsschriften oder naturalistische "So-ist-
die-Welt-Reportagen" sind. Heute soll es aber um ein Beispiel gehen, dass es auch möglich ist, schnurstracks, ohne ideologische
Umwege und unter weitgehender Ausschaltung des Kopfes direkt in der Scheiße zu landen. Genau, wir sprechen von der
"Krise" der Tageszeitung.
Die Jungs und Mädels aus der Kochstraße jammern wieder. Sie
säßen in der "Überschuldungsfalle" und bräuchten dringend ein paar tausend Abonnenten, damit ihre
Zeitung überleben könne. Als Begründung werden befremdliche Dinge verkündet: es müssten eine "total
unabhängige Zeitung"; eine "Zeitung der sozialen Bewegung", eine "schadstoffstarke Berichterstattung",
"die linkslibertäre Tradition" und die vielen guten "Kampagnen" erhalten werden.
Prominente Linksoppositionelle melden sich mit solchen Hilferufen, und der
Wortschwurbler Friedrich Küppersbusch hofft auf Unverständnis: "Ich wünsche mir, dass nie jemand begreift: Nur mit
unausgesetzter Armut und Not, mit geringen Karrierechancen und hauchzartem Bastard-Image wird sie das Blatt bleiben, bei dem nur arbeitet,
dem es nicht allein ums Geld geht." Von was wird da geredet? Das, was hier verteidigt werden soll, ist die Taz schon lange nicht mehr,
wenn sie es denn jemals war.
Im Gegenteil haben die Verantwortlichen der Taz seit 21 Jahren jede Gelegenheit
genutzt, Inhalt und Profil der Zeitung gerade von diesen Zielen abzuwenden zugunsten fragwürdiger Mainstreamausrichtung und zum
Misserfolg verdammter "Professionalisierung". Politisch bedeutete dies eine Abkehr von systemoppositionellen Bewegungen und
Aktionen und der Kniefall vor einem "grün-alternativen Milieu", das in einem immer schnelleren Tempo die Anpassung an
die kapitalistische Normalität vollzog und dazu von der Taz wiederum getrieben wurde.
Ökonomisch verbirgt sich dahinter ein vergeblicher Kampf um eine solide, von
Anzeigengroßkunden getragene bürgerliche Zeitungskonzeption, die selbst vor Auto-, Chemie- und Atomindustrie den notwendigen
Kotau machte; und journalistisch war dies ein Abstieg in das oberflächliche, harmonisierende und die ideologischen Vorgaben der
herrschenden Klasse widerkäuende Berufsgeschreibe.
Und die vielgerühmten "Kampagnen" haben sich von "Waffen
für El Salvador" zur heuten "Z-Kampagne" verwässert, wobei letztere gerade mal die Radikalität und
gesellschaftliche Sprengkraft der früheren "Ein-Herz-für-Kinder"-Werbetour von Bild erreicht. Als Person hat diesen
Niedergang des "Taz-Projekts" vor allem ein Mensch verantwortet und mitgestaltet: der "ewige"
Geschäftsführer Karl Heinz Ruch.
Und auch heute tritt er mit den gleichen Modellen an: noch mehr ökonomische
Auslieferung an Anzeigenkunden oder gar an einen Pressekonzern und journalistische Ausrichtung jetzt nicht mehr am "grün-
alternativen Milieu", weil sich dies "in Auflösung befindet", sondern, "es bilden sich neue interessante Milieus.
Im ‚New Market handeln Unternehmen und Personen, die, ähnlich wie die Taz vor zwei Jahrzehnten, etablierte Strukturen in
Frage stellen."
Dabei hat es die Taz trotz aller Anpassungen nicht geschafft, mehr als magere 17%
ihres Umsatzes durch kommerzielle Anzeigen zu erwirtschaften. Warum sollten Werbefuzzies im Big Business auch die kleine Taz sponsern,
wenn sie eine entsprechende Marktabdeckung bereits durch andere liberale Blätter erreichen?
Die Taz lebt von Abonnenten und Direktverkauf, daran wird sich nichts
ändern. Zum ökonomischen Überleben werden 50000 bis 60000 Abonnements benötigt.
Die könnte sie durchaus bekommen: das entspricht ungefähr der
Größenordnung der heutigen mehr oder weniger kompromisslosen linken Systemopposition, also den sozialen Bewegungen, die
noch von der Unversöhnlichkeit der Interessen zwischen Kapital und Arbeitenden ausgehen, die direkte Aktionen, Streiks und Blockaden
organisieren. Die gegen die internationale Weltwirtschaftsordnung kämpfen und sich zum Teil auch in unterschiedlichen linken Gruppen
und Parteien organisieren.
Sie mit einer Tageszeitung, die unabhängig von Konzernen und Regierung, wie
auch von parteilichen Einzelinteressen ist, zu vernetzen, wäre eine wunder- und verwirklichbare Aufgabe. Heute ist von diesem
"Milieu" in der Taz nur noch zufällig die Rede, selbst zu Wort kommt es schon lange nicht mehr.
Das zu ändern, bedarf allerdings einer neuen gesellschaftlichen
Selbstverortung der Taz-Macher, und ob die dazu bereit und fähig sind, ist sehr zweifelhaft.
Adieu Taz.
Thies Gleiss