Sozialistische Zeitung |
Ihr erstes Album war nicht die Filmmusik zu Lola rennt, obwohl Elena Lange genau wie Lola 1998 mal mit
ihrem Gesang über die CD hetzte, mal von Mense Reents (Schlagzeug) und Thies Mynther (Tasteninstrumente) gehetzt wurde. In
Interviews stritten die Bandmitglieder damals offen miteinander, und die Hamburger Schule war um ein neues Element reicher. Zwei Jahre
später stellten Stella im August ihr neues Album Finger on the Trigger of the years to come vor. Jetzt bereichert nicht nur Hendrik Weber
am Bass die Band, es wurde eine Menge neuer Stilelemente in den Sound eingearbeitet.
Die Vermutung, daß Stella mit der Hamburger Schule nichts mehr zu tun haben,
seit dem Rest gar nichts oder nur noch Liebeslieder zu rot-grüner Kriegspolitik einfallen, wird allerdings spätestens durch das mit
Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow vorgetragene "Bad news entertainment" zerstreut. Doch das Tempo wurde in vielen
Stücken gegenüber Extralive von 1998 heruntergefahren, daß schafft Platz für Verschnaufpausen, in denen Anleihen bei
aktuellem R&B gemacht werden.
Dass dies gerade beim unserem Aussenminister gewidmeten Lied "The Jogging
Man" gemacht wird, nimmt ihm wenigstens die Definitionsgewalt über die Musik, die zu ihm paßt (Joseph Fischer gibt
nämlich AC/DC als seine Lieblingsmusik an). Ob er für den Rest die Schuld auf sich nimmt läßt der Song offen.
Dabei machen Stella auch jede Menge Anleihen bei der Rockmusik der vergangenen
30 Jahre. Das Intro von "Belle grade" erinnert an Steppenwolf und in "Fame is a four letter word" schwingt für
einen Moment John Lennons "Power to the People" mit. Ruhm als Schimpfwort und gleichzeitig ein Rückgriff auf Bob Dylans
"Love is just a four letter word", der vermutlich nur bei mir im Kopf herum spukt. Doch wenn Elena Lange im Gespräch mit
Kerstin Grether zu diesem Song sagt, daß "Liebe wirklich zählt", unterstreicht das die Verbindung zwischen dem
folkigen Protest Dylans und dem Pop-Protest von Stella.
Beim Hören der CD entsteht der Eindruck, als sei hier aktuelle Popmusik
zuerst bis in die Wurzeln zerlegt und dann in eine neue Form gegossen worden. Das dabei die Kritiken diese Form einmal gegenwartsbezogen,
ein anderes mal als der Zukunft zugewandt interpretieren, verwundert dabei nicht. Da beides zusammen ein gutes Resumee ausmacht, kann die
Produktion als hundertprozentig gelungen bezeichnet werden. Aus dem zerlegten Material wurde kein modischer Flickenteppich genäht,
der recht stillos daher kommt, sondern was die Platte aus solchem reich vorhandenen Angebot heraushebt, ist der Stil, den die Vier der Form
verpassen. Gegenüber Extralife ist das zweite Album nicht in erster Linie durch den homogenen Sound der Platte geprägt, sondern
durch die verschiedenen Facetten zwischen Ruhm und Krieg. Es fließen persönliche Elemente ein, Elenas Mutter ist Kroatin aus
Belgrad, die Erfahrungen mit "in der Öffentlichkeit stehen” ändern sicher die Einstellungen zu Ruhm nicht unerheblich.
Finger on the Trigger ist eine Platte gegen den "NATO-Interventionskrieg in
Jugoslawien" zum Glück ohne diese fürchterliche Begrifssschöpfung auch nur einmal zu erwähnen. Der Krieg
bleibt präsent in den Texten, wird lyrisch verarbeitet. Die Verarbeitung eines Krieges im Pop-Gewand ist sicherlich keine Erfindung von
Stella. Aber diese Mischung aus wechselnden Identitäten, mal rockigen, mal funkigen Liedern, verbunden mit der Attitüde
"Ich bin jung, ich bin schön, unsere Musik ist sexy", macht die Auseinandersetzung mit NATO und Bombardierung für
Menschenrechte spannend. Spannend in dem Sinne von Ambivalenzen, die reflektiert werden. Nicht Zerrissenheit vorzuführen und
Machtpolitik zu betreiben, sondern die Auseinandersetzung mit dem, was vor sich geht, und dabei Stellung gegen das Unfassbare zu beziehen,
bestimmen die Ambivalenzen der Lieder. Dass die Kritik dabei dem Zuhörenden überlassen bleibt, macht die Kritik im Pop-
Gewand eben aus, und das manches als proserbisch interpretiert werden kann ist auch eher eine Fragestellung denn eine Parteinahme. Zu hoffen
bleibt, daß die Musik die Lyrik dieser Platte nicht erschlägt und das der Gesang wirklich das "Unmittelbare der Musik"
(Elena Lange) ist.
Tommy Schroedter