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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 28.09.2000, Seite 1

Statt Entfernungspauschale

Umsteuern bei der Ökosteuer

Die Energiepreissteigerungen bringen zweifellos ungerechtfertigte soziale Belastungen mit sich. Sie sind jedoch auch eine Chance für eine offensive gesellschaftspolitische Debatte. Diese Chance darf nicht vertan werden, wie dies mit den neuen Entscheidungen der SPD-Grünen-Regierung zur Ersetzung der Kilometerpauschale durch eine Entfernungspauschale in Höhe von 80 Pfennig droht.
Fast niemand führt eine offensive Diskussion über eine Energie- und Verkehrswende. Vielmehr wird je nach Druck der Lobbys reagiert. Dem öffentlichen Verkehr hilft eine Entfernungspauschale jedoch wenig.
Die Ursachen für die stark gestiegenen Energiepreise sind vielfältig. Es sind im wesentlich vier Faktoren, die dem Ölpreisanstieg zugrunde liegen:
Erstens gibt es eine relative Knappheit von Rohöl gemessen an der boomenden Weltwirtschaft.
Zweitens gibt es in kaum einem anderen Bereich der Weltökonomie eine solche Kapitalkonzentration wie in der Ölverarbeitung. Ein halbes Dutzend Ölkonzerne kontrollieren den größten Teil des Weltmarkts der Ölverarbeitung.
Drittens drückt sich in der Verteuerung der Ölpreise die Verbilligung des Euro (mit) aus.
Der vierte Grund für die steigenden Kraftstoffpreise ist in der wachsenden Kraftstoff-Besteuerung zu suchen. Konkret entfielen Anfang September 2000 bei einem Liter Benzin zum Preis von 2,04 DM auf die Mineralölsteuer 0,98 DM, auf die Mehrwertsteuer 0,28 DM, auf die Ökosteuer 0,12 DM, auf die Bevorratungsabgabe 0,01 DM, auf den Rohölpreis 0,33 DM und auf die Ölverarbeitungs- und Betriebskosten einschließlich der Gewinne der Ölkonzerne 0,32 DM. Somit entfielen auf den Staat 1,39 DM, auf die Ölförderländer 0,33 DM und auf die Ölkonzerne einschließlich der Tankstellen usw. 0,32 DM.
Eine Kilometerpauschale begünstigt weite Pendler- Entfernungen und hohe Einkommen. Zwar ist im Berufspendler-Verkehr die Gleichsetzung von nichtmotorisiertem Verkehr, öffentlichem Verkehr und Pkw-Verkehr, die mit einer Entfernungspauschale erfolgt, zu begrüßen. Aber: Jede Entfernungspauschale begünstigt, wenn eine gewisse Höhe des km-Satzes überschritten wird, weite Pendler-Entfernungen. Das aber heißt: Jede Erhöhung der km- oder Entfernungspauschale ist Gift für die Umwelt und kommt der Förderung der Zersiedelung gleich.
Entfällt überdies die Möglichkeit, die teilweise höheren Kosten für eine normale ÖPNV-Monatskarte abzusetzen, ist als Folge ein Abbau des ÖPNV zu erwarten.
Schon die Kilometerpauschale hat eine erheblich unsoziale Funktion. Da sie sich am Grenzsteuersatz orientiert, profitieren von ihr hohe und sehr hohe Einkommen. Je höher die Pauschale ist, desto mehr trifft dies zu. Die unteren Einkommensbezieher gehen leer aus, weil für sie das steuerfreie Existenzminimum gilt und eine spezifische steuerliche Absetzbarkeit nicht in Frage kommt. Eine Entfernungspauschale verallgemeinert diese Wirkungsweise.
Die mittlere Fahrweite der ÖPNV-Kunden in den städtischen Verkehrsbetrieben liegt im Verbandsdurchschnitt bei 6,1 km; in den neuen Ländern etwas weniger, in den alten Ländern und in Berlin etwas mehr. Bei durchschnittlich effektiv 220 Arbeitstagen (Urlaubs- und Ausfalltage nicht berücksichtigt) ergeben sich 1342 steuerlich anrechenbare Entfernungskilometer. Bei einem Pauschbetrag von 0,70 DM bzw. von 0,80 DM je Distanzkilometer errechnen sich Werbekosten in Höhe von 939,40 (= 78,28 DM im Monat) bzw. von 1073,60 DM (= 89,47 DM im Monat). Die Kosten einer ÖPNV-Monatskarte liegen jedoch oftmals über diesem Betrag, teilweise über 100 DM. Will man die verkehrs- und umweltpolitischen Ziele (Umstieg auf den ÖPNV) nicht gefährden, so darf die volle Abzugsfähigkeit der ÖPNV-Kosten bei der Umstellung auf eine Entfernungspauschale nicht entfallen. Der Kostennachweis muss als Wahlrecht neben der Pauschale erhalten bleiben.
Die Politik muss die Situation im Energiesektor als Herausforderung begreifen und mit einem Forderungskatalog reagieren, der eine Verkehrswende bewirkt. Ein solcher Katalog kann in den folgenden Punkten zusammengefasst werden:
1. Sofortmaßnahme Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen, maximale Geschwindigkeit von 30 km/h in Wohngebieten.
2. Umwandlung der Kilometerpauschale in eine verkehrsmittel- und einkommensunabhängige Entfernungszulage. Wenn diese aufkommensneutral gestaltet werden soll, was hier empfohlen wird, so müsste die Entfernungszulage bei 0,20 bis 0,25 DM je Kilometer liegen. ÖPNV-Benutzer müssen die Wahlmöglichkeit zwischen dieser neuen Entfernungszulage und der bisherigen Absetzbarkeit der nachgewiesenen ÖPNV-Kosten als Werbekosten (Monatskarte) haben.
3. Befreiung der Schiene und der öffentlichen Verkehrsunternehmen von der Mineralölsteuer und damit auch von der Ökosteuer. Damit würden Flugverkehr und Binnenschiffahrt wenigstens auf diesem Gebiet gleichgestellt.
4. Entwicklung eines umfassenden Investitionsprogramms für die Schieneninfrastruktur.
5. Erhalt und Ausbau der übrigen öffentlichen Verkehrsmittel - vor allem ÖPNV in den Städten.
6. Die nächste Stufe der Ökosteuer ist so auszugestalten, dass diese ökologisch wirksam und sozial ausgeglichen ist. So müssen bei der Ökosteuer die Einnahmen dadurch erhöht werden, dass die vielen Ausnahmetatbestände für das produzierende Gewerbe und andere Bereiche massiv reduziert werden. Die Einnahmen aus der Ökosteuer sind sowohl für den ökologischen Umbau, als auch für die soziale Abfederung einzusetzen. Jetzt in den Chor derjenigen einzustimmen, die die Aussetzung der Ökosteuer Anfang 2001 fordern, ist wenig verantwortlich. Stattdessen sollten wir konsequent die Einleitung einer ökologischen Wende fordern.
7. Verhandlungen mit Bahn und städtischen Verkehrsbetrieben über eine Ausgestaltung der Tarifsysteme derart, dass sie ein Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr attraktiv machen.
8. Die Bundesregierung muss ein Programm entwickeln, wie auf mittlere Frist Güterverkehr vermieden bzw. Straßengüterverkehr und Luftfracht auf Schiene und Schiffe verlagert werden kann.
9. Grundsätzlich ist eine Wende in der Verkehrspolitik dergestalt erforderlich, dass nicht Jahr für Jahr das Straßennetz verlängert und das Schienennetz verkürzt wird.
Eine Beruhigung des Verkehrsgeschehens, eine deutliche Verbesserung für die Nutzer des öffentlichen Verkehrs, eine Besserstellung ALLER Pendler mit niedrigen und unteren Einkommen zusammen mit einer deutlichen Verbesserung des Angebots im öffentlichen Verkehr und erste Maßnahmen gegen den mörderischen Konkurrenzkampf im Lkw-Gewerbe - das wäre exakt die Mischung, die einen ökologischen UND sozialen Umbau im Verkehrssektor ermöglicht.

Winfried Wolf

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