Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 28.09.2000, Seite 3

Fortgesetzte Rache

Leonard Peltier - seit 25 Jahren unschuldig im Gefängnis

Der 6.Februar war für Leonard Peltier ein Jahrestag: 25 Jahre unschuldig im Gefängnis, für den angeblichen Mord an zwei FBI-Beamten. Inzwischen zählt Peltier die Jahre nur noch in Dekaden: "Es scheint die Rechnerei wird einfacher, je härter die Zeit wird." Das Ende seiner Haft ist auf das Jahr 2041 berechnet. Zweimal lebenslänglich plus sieben Jahre für einen Fluchtversuch muss er absitzen - obwohl seine Unschuld als erwiesen gelten kann. 96 Jahre alt wäre Peltier bei seiner planmäßigen Entlassung.
Seine letzte Chance auf eine vorzeitige Entlassung ist eine Begnadigung durch Präsident Clinton. Dieser hatte vor Beginn seiner Amtszeit angekündigt, sich gegebenenfalls für Peltier einzusetzen. Ende letzten Jahres hat er zwölf ehemalige puertorikanische Unabhängigkeitskämpfer der FALN begnadigt.
Doch Peltier ist prominent. Eine Begnadigung durch Clinton könnte seinem Wunschnachfolger Al Gore Stimmen kosten. Alle anderen Rechtsmittel sind mittlerweile ausgeschöpft. Am 12.Juni wurde Peltiers vierter Antrag auf Aussetzung der Reststrafe auf Bewährung abgelehnt.
Auch das FBI gibt sich unerbittlich. Anlässlich des 25.Jahrestags des Schusswechsels auf der Ranch, bei der zwei FBI-Beamte und ein Aktivist der American Indian Movement (AIM) ums Leben kamen, sprach sich FBI-Direktor Louis Freeh in einer Presseerklärung gegen die Freilassung Peltiers aus.
Das FBI versucht bis heute, all diejenigen mittels Zeitungsanzeigen und öffentlichen Erklärungen zu diskreditieren, die sich für die Freilassung Peltiers einsetzen. Hochrangige FBI-Vertreter haben immer wieder wissentlich falsche Erklärungen abgegeben, um Bewährungs- oder Gnadengesuche Peltiers zu hintertreiben.
26.Juni 1975: Manchmal wünscht sich Leonard Peltier, er wäre an diesem Tag nicht auf dem Grund der Jumping Bulls gewesen. An diesem Tag kam es auf der Ranch von Harry und Cecilia Jumping Bull im Pine-Ridge-Reservat in South Dakota zu einer Schießerei zwischen einer Gruppe von AIM-Aktivisten und zwei FBI-Beamten. Die beiden FBI-Beamten, Jack Coler und Ron Williams, sowie das AIM-Mitglied Joseph Killsright Stuntz kamen dabei ums Leben.
Bis heute weiß niemand, wer die ersten Schüsse abgegeben hat. Die beiden FBI-Ermittler waren angeblich nur wegen eines Paars gestohlener Stiefel auf dem Anwesen. Vor Gericht erklärte später der Staatsanwalt, dass die beiden Beamten bereits verletzt am Boden gelegen hätten, als einer der Indianer sie aus nächster Nähe erschoss. Dieser Indianer sei Leonard Peltier gewesen.
Aktivisten der AIM hatten auf Wunsch der Stammesältesten ein Camp auf dem Anwesen der Jumping Bulls errichtet, um sie vor Angriffen der GOONs, der korrupten Ordnungstruppe der Reservation, zu schützen. Zwischen 1973 und 1976 wurden mehr als sechzig AIM-Aktivisten auf dem Gelände der Reservation ermordet. Keiner dieser Fälle ist je untersucht worden. In der Reservation herrschte nahezu Bürgerkrieg zwischen den traditionell eingestellten Indianern, die die AIM unterstützten, und den GOONs bzw. dem Stammesrat.
Wenige Minuten nach den ersten Schüssen sperrten etwa 150 FBI- und Polizeibeamte alle Zufahrtswege zur Ranch. 1995 wurden im Zuge des Freedom of Information Act (FOIA) Dokumente öffentlich zugänglich gemacht, die bestätigten, dass sich viele von ihnen bereits seit zwanzig Minuten auf dem Gelände aufhielten.
Trotzdem gelang Peltier die Flucht nach Kanada. Im Februar 1976 wurde er dort verhaftet und aufgrund gefälschter Beweise und Zeugenaussagen an die USA ausgeliefert. In dem Verfahren hatte eine vom FBI unter Druck gesetzte Zeugin ausgesagt, sie sei Peltiers Freundin und habe den Mord an den Beamten beobachtet. Diese Aussage entschied das Verfahren, und Peltier wurde am 16.Dezember an die USA ausgeliefert. Als bekannt wurde, dass die vermeintliche Augenzeugin falsch ausgesagt hat, forderten kanadische Justizbeamte vergeblich seine Rückführung nach Kanada.
Neben Peltier wurden 1975 Dino Butler, Bob Robideau und Jimmy Eagle, der angebliche Dieb der Stiefel, angeklagt. Butler und Robideau wurden im Juli 1976 freigesprochen, da sie in Notwehr handelten. Das Verfahren gegen Jimmy Eagle wurde eingestellt. Jahre später wird im Zuge des FOIA bekannt, dass die Anklage gegen Eagle fallengelassen wurde, um "die strafrechtliche Verfolgung ganz auf Leonard Peltier zu konzentrieren".

AIM

Seit den 50er Jahren versuchte die US-Regierung, die Reservationen aufzulösen und die indianische Bevölkerung in die Innenstädte umzusiedeln. Das Vordringen der Eisenbahn und die beinahe erfolgte Ausrottung der Bisons - die indianische Lebensgrundlage - hatten das Schicksal der indigenen Bevölkerung Nordamerikas besiegelt. Heute leben noch ca. 1,5 Millionen IndianerInnen in Städten und Reservaten.
Einige Reservate haben durch die Errichtung von Spielcasinos eine neue Lebensgrundlage gefunden. Das Pine-Ridge-Reservat nicht. Es ist die vermutlich ärmste Region der USA. Es gibt keine nennenswerte Infrastruktur, keine Handwerksbetriebe und keine Müllabfuhr. Zwei Drittel der Lakota in Pine Ridge leben unterhalb der Armutsgrenze von 7470 Dollar Jahreseinkommen. Die alkoholbedingte Todesrate ist hier dreimal so hoch wie der Landesdurchschnitt.
Die AIM wurde 1968 in Minneapolis nach dem Vorbild der afroamerikanischen Bürgerbewegung gegründet. Gründungsmitglieder waren Clyde Bellecourt, der spätere AIM-Direktor Dennis Banks sowie George Mitchell. poDie AIM verstand sich als Selbstschutzorganisation der indigenen Bevölkerung, sowohl in den Reservationen, als auch in den Städten.
Viele Aktionen des AIM richteten sich von Anfang an gegen das Bureau of Indian Affairs (BIA). Dieses sollte abgeschafft oder immerhin im Sinne der Mehrheit der IndianerInnen verändert werden. Das BIA ist eine Unterabteilung des Innenministeriums und besitzt etwa 160000 Angestellte und einen Jahresetat von 240 Millionen Dollar. Es ist für die Verteilung der Gelder aus Washington zuständig. Viele Kritiker warfen der Behörde jedoch korrupte Praktiken bei der Geldvergabe vor.
1969 besetzten AktivistInnen der AIM die Gefängnisinsel Alcatraz, da das Gefängnis dort seit 1963 leerstand. Die BesetzerInnen beriefen sich auf ein Bundesgesetz, das Indianern ein Vorrecht auf staatlichen Grundbesitz liefert, der nicht mehr genutzt wird. Die Insel sollte zu einem kulturellen Zentrum der Native Americans werden.
1970, noch während die Besetzung von Alcatraz andauerte, besetzten indianische Aktivisten das leerstehende Fort Lawton bei Seattle. An dieser Besetzung war auch Leonard Peltier beteiligt, der sich 1972 der AIM anschloss. Für Peltier war klar, dass er sich "an immer neuen AIM-artigen politischen Gruppen und Aktionen beteiligen würde": "Das Wachstum der Indianerbewegung und die Geschichte der AIM sind eng mit meiner persönlichen Geschichte verwoben."
Mitte der 60er Jahre hatte er sich im Nordwesten der USA für den Kampf um die indianischen Fischereirechte eingesetzt. Ende der 60er Jahre war er in der Bewegung gegen den Vietnamkrieg aktiv. In der AIM arbeitete er zuerst mit Dennis Banks im Pine- Ridge-Reservat zusammen; später zog er nach Milwaukee, um im dortigen Büro der AIM zu arbeiten.
Zu den aufsehenerregenderen Aktionen der AIM zählte die Besetzung des BIA-Gebäudes in Washington. Im November 1972 startete die AIM den "Trail of broken Treaties" - eine Wanderung mit Demonstration quer durch das Land, die auf die Vertragsbrüche seitens der US-Regierung aufmerksam machen sollte.
1973 wurde Wounded Knee von indianischen Aktivisten besetzt. 1890 waren hier in einem Massaker von Regierungstruppen mehr als 200 IndianerInnen getötet worden. Die Besetzung war ein Protest gegen Polizeiwillkür und den Terror der GOONs, die eine Schreckensherrschaft über die traditionellen Indianer ausübten.
Vor Gericht wurden die Besetzer freigesprochen. Der Richter kritisierte in seiner Urteilsverkündung BIA und FBI hart. Dem FBI warf er vor, wiederholt Zeugen und Beweise manipuliert zu haben. Seit diesem Urteil war auch die AIM und mit ihr Peltier ins Visier des FBI geraten. Peltier war schon bei der Besetzung von Fort Lawton verhaftet worden. Nach der Besetzung des BIA- Gebäudes stufte das FBI ihn als "Schlüsselfigur der Extremisten" und "AIM-Agitator" ein. "Jetzt war ich gebrandmarkt", beurteilt Peltier diese Bezeichnungen.
Bis dahin hatte die AIM sich bereits an knapp 150 indianischen Demonstrationen beteiligt. Gegen die puertorikanische Unabhängigkeitsbewegung, die Black Panther Party und gegen linke Parteien ging das FBI mit geheimdienstlichen Mitteln vor. Die AIM wurde zu den 15 gefährlichsten Organisationen der USA gezählt. Mit dem Desinformationsprogramm Cointelpro sollten diese Gruppierungen gezielt ausgeschaltet werden.
Die Gruppen wurden durch Spitzel unterwandert und in der Öffentlichkeit diskreditiert. AktivistInnen sollten eingeschüchtert werden, und unter den Mitgliedern sollte durch anonyme und gefälschte Briefe und Telefonanrufe Misstrauen gesät werden. Ebenfalls zur Taktik des FBI gehörten Verhaftungen ohne Begründung sowie Wohnungs- und Arbeitskündigungen.

Politischer Gefangener

Die Liste der Beweise für die Unschuld Peltiers ist lang. Das Ballistikgutachten hat ergeben, dass die tödlichen Schüsse nicht aus der angeblichen Tatwaffe abgegeben worden sein können. Staatsanwalt Lynn Crooks musste acht Jahre nach Peltiers Verurteilung zugeben: "Wir wissen nicht, wer die Beamten getötet hat." Dieses Geständnis führte jedoch nicht zur Freilassung Peltiers.
1991 gestand ein anonym gebliebener Mann in einer Fernsehsendung des CBS, die beiden FBI- Agenten erschossen zu haben. Auch Bundesrichter Gerald Heaney, der 1986 die Aufhebung des Urteils verweigerte, fordert mittlerweile Peltiers Begnadigung. Auch er wirft dem FBI und anderen staatlichen Behörden vor, während und vor der Verhandlung gegen Peltier ungesetzlich gehandelt zu haben. "Es ist Zeit einen Heilungsprozess zu beginnen. Dabei würde es helfen, wenn der Präsident aktiv würde", schreibt er. Über 6000 Dokumente zu dem Fall sind immer noch unter Verschluss, da ihre Freigabe angeblich die "nationale Sicherheit" gefährdet.
Amnesty International stuft Peltier als politischen Gefangenen ein und fordert die Wiederaufnahme des Verfahrens. 55 Mitglieder des US-Kongresses und 60 Mitglieder des kanadischen Parlaments fordern eine Wiederaufnahme, ebenso das Europäische Parlament sowie mehr als 70 Abgeordnete des Bundestags. Außerdem treten fast 80 Kirchenführer nahezu aller Weltreligionen für seine Begnadigung ein.
Weltweit fordern über 2 Millionen Menschen die Freilassung von Leonard Peltier. Ramsey Clark, ehemaliger Justizminister der USA und mittlerweile Peltiers Anwalt, nennt den Prozess gegen Peltier einen "Schandfleck für das amerikanische Rechtssystem".
Im Vorwort zu Peltiers 1999 erschienenen autobiografischen Buch Mein Leben ist mein Sonnentanz schreibt Clark: "Ich glaube, jeglichen ernstzunehmenden Zweifel daran ausräumen zu können, dass Leonard Peltier überhaupt irgendein Verbrechen begangen hat. Selbst wenn er sich schuldig gemacht haben sollte, wenn er das Gewehr abgefeuert hätte, das die beiden FBI- Agenten tötete - und es steht fest, dass er es nicht getan hat -, so hätte er doch nur in Notwehr gehandelt. Und er hätte damit nicht nur seine Leute verteidigt, sondern das Recht aller Menschen und Völker, frei von Unterwerfung und Ausbeutung zu leben."

Patrick Hagen

Leonard Peltier, Mein Leben ist mein Sonnentanz, Frankfurt/M. 1999. Alle nicht gekennzeichneten Zitate stammen aus diesem Buch. Weitere Informationen unter: www.humanrights.de, www.gfbv.de und www.freepeltier.org.

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