Sozialistische Zeitung |
Vor einem Jahr beschloss der Bundestag nach zehnjähriger öffentlicher Diskussion den Bau eines Mahnmals
für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Noch keine Einigkeit besteht über Pläne, das symbolischen Stelenfeld des Architekten
Eisenman, das durch seine ästhetische Qualität emotional wirken soll, durch ein Informationshaus zu ergänzen. Verworfen wurde der
zeitweilig auch von dem für Kultur zuständigen Bundesminister Michael Naumann unterstützte Vorschlag, hier nicht nur – wie es auch
anderswo an historischen Stätten der Verfolgung geschieht – der Opfer zu gedenken, sondern in einem Museum erstmals umfassend über die
Täter, den Kontext ihrer Taten und die komplexen Ursachen aufzuklären.
Die 1993 von dem Hannoveraner Historiker Hans-Jürgen Häßler gegründete
überparteiliche Initiative für ein "Deutsches Holocaust-Museum", der sich tausende anschlossen, darunter mehrere
Ministerpräsidenten, viele Oberbürgermeister, Bischöfe beider Konfessionen, Museumsdirektoren, Wissenschaftler und Künstler,
hatte dafür ein Konzept entwickelt, das auch unmittelbare Nutzanwendungen ermöglichte, vor allem für die Auseinandersetzung mit neuen
Gefahren von rechts.
Diejenigen, die das Projekt verwarfen, ließen sich nie auf eine Diskussion darüber ein.
Aber auch für das Holocaust-Mahnmal ist der erste Spatenstich noch nicht getan. Und die seit vielen Jahren geplante Gedenkstätte
"Topografie des Terrors" auf dem Gelände des ehemaligen Reichssicherheitshauptamts in Berlin wird nach einem vorläufigen
Baustopp wegen Kostenüberschreitung wohl noch Jahre auf sich warten lassen.
Derweil macht aber nun die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach (CDU),
den Vorschlag, in der Hauptstadt ein "Zentrum gegen Vertreibungen" zu errichten. Bund und Länder sollen dafür 150 Millionen
Mark zur Verfügung stellen. Steinbach, die bereits bei Ministerpräsidenten aus den Unionsparteien, aber auch bei hochrangigen
Koalitionspolitikern wie Innenminister Schily Unterstützung gefunden hat, bezieht sich ausdrücklich auf das Holocaust Memorial Museum in
Washington als Vorbild.
So kann der Eindruck entstehen, das "Zentrum gegen Vertreibungen" könne
nebenbei die Aufgaben eines deutschen Holocaust-Museums übernehmen, das sich dann erübrigen würde. Denn
"selbstverständlich" soll im Zusammenhang mit Vertreibungen auch der Völkermord der Nazis dargestellt werden. In einem
Gespräch mit der Frankfurter Rundschau vom 17.August sagt Steinbach: "Das Thema Vertreibung der Juden und schließlich konsequente
Vernichtung derer, die noch da waren, gehört selbstverständlich in den Gesamtkontext mit hinein. Es gehört z.B. auch hinein die
Vernichtung des armenischen Volkes im Osmanischen Reich zu Beginn des 20.Jahrhunderts. Wir wollen im Kern die Vertreibung der Deutschen zeigen, aber
Andockstellen bieten für das, was es vor und nach 1945 in Europa und der Welt an Vertreibungen gegeben hat."
Gegen den Sinn ihrer Worte behauptet Steinbach im selben Atemzug, dies sei "keine
Relativierung" des Holocaust. Auf die Frage der FR-Redakteure, ob berücksichtigt werde, "dass die nationalsozialistische Politik und der
von ihr angezettelte Krieg Hauptursache der Vertreibungen war", meint sie: "Die Nazi-Politik war eine verbrecherische Politik. Hitler hat sich
ausdrücklich auf die Vertreibung und Vernichtung des armenischen Volkes berufen. Er hat sich dieses Mittels dann in einer Perfektion bedient, die
einem den Atem raubt. Letztlich hat er darauf spekuliert, dass das Schicksal der Juden, Sinti und Roma die anderen Völker genauso kalt lassen
würde wie die Vernichtung der Armenier."
Das Geschichtsbild, das hier zugrundeliegt, verrät sich in der sprachlichen Formulierung: Adolf
Hitler als Personifikation des perfekten Einzeltäters. An historischen Ursachen kennt Steinbach laut FR außerdem noch "die aus dem
19.Jahrhundert erwachsenen Nationalismen, die schließlich ‚zu einem Abgrenzungskriterium und somit zur Grundlage der Ausgrenzungen
geworden" seien. Dass hinter den "Nationalismen" immer benennbare Interessen stehen, dass es einen Unterschied zwischen imperialer
Raumordnungspolitik und einer sich (leider) auch nationaler Stereotypen bedienenden Gegenwehr gibt, ist in diesem Konzept nicht vorgesehen.
Das 20.Jahrhundert soll als ein Jahrhundert der Vertreibungen erscheinen, an denen die
"Radikalisierung der Ideologien" schuld trägt. Also Ernst Noltes These vom "Weltbürgerkrieg" in
homöopathischer Verdünnung. "Wobei die Vertreibung der Deutschen die größte gewesen ist, die es überhaupt auf dem
Erdball gegeben hat." Täter und Opfer, Ursachen und Folgen sollen ineinander verschwimmen, ja, die Deutschen endlich auch als Opfergruppe
anerkannt werden. "Wir wollen mit diesem Projekt aus dem Schatten des eigenen Schicksals heraustreten, um anderen Menschen Vertreibung in
Gegenwart und Zukunft zu ersparen" – sagt Erika Steinbach, die für ihre restriktive Haltung zum Asylrecht bekannt ist.
Es versteht sich nach alledem von selbst, dass die BdV-Präsidentin die Bundesregierung
für ihren "Mut" lobt, sich an dem "Militäreinsatz" im Kosovo beteiligt zu haben. Über die Vertreibung von Serben
und Roma aus dem Kosovo durch die UÇK spricht sie nicht. Für sie mag es so aussehen: wenn "Nie wieder Auschwitz" gegen "Nie
wieder Krieg" ausgespielt wird, wie es Joseph Fischer und Rudolf Scharping im vergangenen Jahr getan haben, dann kann aus einem Holocaust
Memorial Museum in Deutschland auch ein "Zentrum gegen Vertreibungen" werden.
Bundeskanzler Schröder hat dem Projekt immerhin eine Absage erteilt. Aber Anfang September,
als andere (ohne Mitwirkung führender Politiker) des deutschen Überfalls auf Polen gedachten, der den Zweiten Weltkrieg einleitete, sprach
Schröder als erster SPD-Kanzler auf dem Festakt zum 50.Jahrestag der "Charta der deutschen Heimatvertriebenen" – wo, wie die FR
anmerkte, "sich keine Hand rührte, wenn von den Verbrechen der Nationalsozialisten die Rede war".
Reiner Diederich
Aus: Ossietzky, Nr.18, 2000.
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