Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 28.09.2000, Seite 7

Internationaler Frauenmarsch

Brot und Rosen

Der Internationale Frauenmarsch ist eine zivilgesellschaftliche Aktion gegen die Armut von Frauen und gegen alle Gewalt, die Frauen angetan wird. Seit dem 8.März haben sich Frauen in fünf Kontinenten auf den Weg gemacht. Sie sind entschlossen, mit der Armut von Frauen und mit aller Gewalt gegen Frauen Schluss zu machen und verlangen, dass zu Anfang eines neuen Jahrtausends Gleichheit zwischen Männern und Frauen und gleichmäßige Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums unter ihnen hergestellt wird. Inzwischen nehmen über 5500 Gruppen in 157 Ländern und Territorien, organisiert in über 100 nationalen Koordinationen an dieser Aktion teil, zugleich in ihrem Land, in ihrer Region und auf internationaler Ebene.
Der Internationale Frauenmarsch geht auf eine Initiative des Frauenverbands im kanadischen Québec zurück, der dort 1995 zu einem Marsch gegen die Armut unter dem Motto "Brot und Rosen" aufgerufen hatte. Der Slogan unterstrich, nicht nur für einen ausreichenden Lebensunterhalt zu kämpfen, sondern auch Gründe zu haben, gerne zu leben. Nicht nur das Lebensniveau, sondern auch die Lebensqualität sollen verbessert werden. Frauen von Burkina Faso griffen diesen Ansatz mit ihrem Slogan "Wasser, Nahrung, lebenswertes Leben" auf.
Von Anfang an wollten die Frauen in Québec die Frauensolidarität globalisieren — gegenüber der Frauenarmut und den verschiedenen Arten von Gewalt, die Frauen angetan wird — diesen beiden Wunden, die die Menschheit entstellen und brüchig machen. Auf der Paralleltagung der Nichtregierungsorganisationen in Peking 1995 vorgestellt, weckte diese Idee das begeisterte Interesse der Teilnehmerinnen.
Seitdem wurde sie sehr rasch das "Gemeineigentum" von Millionen von Frauen in der ganzen Welt, von Frauen jedweder Herkunft, Nationalität, (politischen, kulturellen, sexuellen) Orientierung und Lebenslage. Heute besteht der internationale Frauenmarsch aus autonomen Frauengruppen, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, die in keinerlei Verbindung mit den Regierungen stehen.
Die von Frauen erlebten Probleme transzendieren alle geografischen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Schranken. Weil die Armut keine Grenze kennt und die Gewalt keine soziale Klassen, weil es Armut und Gewalt im Norden wie im Süden gibt, im Osten wie im Westen, weil sie der Entwicklung Schranken setzen und die Unterentwicklung vergrößern. Afrikanischen, lateinamerikanischen, asiatischen, nordamerikanischen und ost- wie westeuropäischen Frauen haben ihre Forderungen bei den jeweils anderen wiedergefunden und bilden heute eine umspannende Kette der Mobilisierung.

Veränderungen

Manchmal wird behauptet, die die Frauen hätten ihre Kämpfe gewonnen und fast alles erreicht. Sicherlich: seit der ersten Konferenz zum Thema Frauen in Mexiko 1975 ist ein weiter Weg zurückgelegt worden. Im Laufe des 20.Jahrhunderts haben Frauen nicht nur ihre eigenen Existenzbedingungen geändert, sondern zugleich die Beziehungen der Frauen zur Welt und der Welt zu den Frauen. Und dennoch haben wir 2000 gute Gründe zu marschieren, denn die Errungenschaften sind keine. Um sich davon zu überzeugen genügt es, das kommende Jahrhundert mit den Augen der Frauen und vor allem der kleinen Mädchen zu betrachten: noch ist kaum damit begonnen worden die Diskriminierung zu ermessen, deren Opfer sie sind.
Dies kompromittiert die Gegenwart der Frauen. Und was die kleinen Mädchen betrifft, die Frauen von morgen: diese Diskriminierungen verdunkeln ihre Zukunft, blockieren ihre Entfaltung, enthalten der Gesellschaft ihre Potenziale vor.
Der Weltmarsch ist keine feminine Parade, sondern eine politische Aktion, eine zivilbürgerschaftliche Äußerung von Millionen von Frauen in der ganzen Welt. Sie zielt nicht nur auf die Konsequenzen ab, sie will an die strukturellen Gründe heran.
Der Marsch benennt klar den neoliberalen Kapitalismus und das Patriarchat als herrschende Systeme, die sich gegenseitig stützen und verstärken, um die große Mehrheit der Frauen in kultureller Unterordnung, sozialer Entwertung, ökonomischer Marginalisierung zu halten, ihre Existenz und ihre Arbeit "unsichtbar" und ihren Körper zur Ware zu machen. Alles dies verdichtet sich zu einer wahrhaftigen "Apartheid". Der Marsch ignoriert weder diese beiden wesentlichen in der Welt wirksamen Kräfte, noch die Fundamentalismen und Konservativismen aller Art, die in ihrem Kielwasser gedeihen. Für die Frauen ist diese Globalisierung nicht nur kapitalistisch und neoliberal, sondern auch sexistisch, denn sie trifft Frauen härter als Männer und auf eine andere Weise.
Es geht also nicht einfach darum, die Spielregeln zu ändern und das System unangetastet zu lassen. Es handelt sich darum, diese Spielregeln zu überdenken und neue zu schaffen, unter anderem ausgehend von den Erfahrungen von Frauen und von den Alternativen, die von Frauen und sozialen Bewegungen auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene vorgeschlagen werden.

Gegen Armut und Gewalt

Armut und Gewalt hat der internationale Frauenmarsch als verbunden erkannt, weil es weder eine Entwicklung der Gesellschaften noch eine dauerhafte Verbesserung der Lage der Frauen geben kann, ohne diese beiden gesellschaftlichen Wunden zu heilen. Beide müssen gleichzeitig angegangen werden. Denn wir haben festgestellt, dass weder die "Modernität", noch das US-amerikanische wirtschaftliche "Entwicklungs- und Wachstumsmodell", noch die wissenschaftlichen und technologischen Fortschritte den Bleimantel gesprengt haben, der Beziehungen zwischen Männern und Frauen in der Ungleichheit hält.
Ebenso klar haben der Frauenmarsch festgestellt, dass die antikapitalistischen oder sozialistischen Revolutionen und die nationalen Befreiungsbewegungen sicherlich einiges am Schicksal der Völker verändert, aber nicht grundsätzlich die Macht der Männer über die Frauen in Frage gestellt haben. Nach fünfzig Jahren "Sozialismus" lebt die Mehrheit der Chinesinnen noch unter der männlichen Dominanz. Sie tragen vielleicht die Hälfte des Himmels, aber die schwerere.
Die Stärke des Weltmarschs ist seine Fähigkeit, Millionen von Frauen in der ganzen Welt zu mobilisieren. Die europäische Versammlung am 14.Oktober in Brüssel wird von der Entschlossenheit der Frauen zeugen. Die Aktionen in den einzelnen Ländern werden auf internationaler Ebene in zwei Höhepunkten kulminieren:
— eine Demonstration in Washington am 15.Oktober, im Rahmen des Marsches der US-amerikanischen Frauen, vor Weltbank und Internationalem Währungsfonds, wo eine internationale Delegation den Führern dieser Institutionen übermitteln wird, was Frauen von ihrer neoliberalen Politik, von ihren Strukturanpassungsplänen, von ihrer Zögerlichkeit beim Streichen der Schulden der armen Länder usw, halten und welchen Kurswechsel Frauen vorschlagen;
— eine Versammlung in New York am 17.Oktober, wo Repräsentantinnen des Internationalen Verbindungskomitees des Marsches dem UNO-Generalsekretär Kofi Annan ihre Forderungen präsentieren, die von Millionen von Unterschriften aus den teilnehmenden Ländern gestützt werden.
Wir marschieren um zu zeigen, dass die Menschheit ohne aktive Teilhabe der Frauen am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben, ohne Gleichheit zwischen Frauen und Männern, ohne gleichmäßige Verteilung des Reichtums, keine Zukunft haben kann. Wir marschieren dafür, dass jede und jeder zugleich genug zum leben und Gründe zu leben hat.
Diesen Marsch führen wir gemeinsame mit diesen Frauen ohne Stimme und ohne Rechte durch, die in verschiedenen Teilen der Welt gezwungen werden zu schweigen und sich zu beugen; mit diesen Frauen, die vielfältigen Formen der Diskriminierung und der Gewalt ausgesetzt sind und denen Freiräume genommen wurden; mit diesen Frauen, die Widerstand leisten und seit langem an einer anderen Welt ohne Gewalt und Armut bauen.
Diesen Marsch widmen wir den geborenen und bald geborenen Mädchen, den Erbinnen unserer Kämpfe und unserer Träume.

Lorraine Guay

Lorraine Guay ist Mitglied des Strategiekomitees des Frauenmarschs 2000 in Québec.



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