Sozialistische Zeitung |
Im Sommer sind in Karlsruhe mindestens zwei Fälle bekannt geworden, in denen der BGS bei "verdachtsunabhängigen
Kontrollen" im Hauptbahnhof Asylbewerbern bis auf 80 Mark den gesamten Bargeldbestand abgenommen hat. In einem Fall handelte es sich um einen
türkischen Asylbewerber mit einer Arbeitserlaubnis, dem 1800 Mark beschlagnahmt, im anderen war es ein iranischer Asylbewerber, dem 220 Mark
entwendet wurden. Handelt es sich dabei um Einzelfälle?
In meiner Praxis als Rechtsanwältin sind mir zwei Fälle bekannt, bei denen es sich jeweils um Mandanten handelte. Ich gehe allerdings
davon aus, dass sie nur ein Ausschnitt der tatsächlich vorgekommen Fälle sind. Der BGS selbst hat immerhin mitgeteilt, dass dies zur Zeit
gängige Praxis sei.
Auf welcher Rechtsgrundlage hat der BGS gehandelt?
Er behauptet, diese Beschlagnahmeparaxis sei mit §7 des Asylbewerberleistungsgesetzes abgedeckt, wonach Asylbewerber verpflichtet sind,
ihr Einkommen für die Kosten von Verpflegung und Unterkunft in den staatlichen Sammellagern einzusetzen. In Baden-Württemberg steht nach
diesem Gesetz jedem Asylbewerber ein Taschengeld von 80 Mark zu. In Wirklichkeit hat der BGS keine Rechtsgrundlage, Geld von Flüchtlingen oder
Asylbewerbern einzubehalten. Darüberhinaus hat er in keiner Form eine Rechtfertigung, wenn es sich um Flüchtlinge handelt, die
Erwerbstätig sind und überhaupt keine Sozialhilfeleistungen beanspruchen. Von der Sache her ist §7 des Asylbewerberleistungsgesetz
nichts anderes als die Bestimmungen nach dem Bundessozialhilfegesetz zum Einsatz des persönlichen Vermögens bei Sozialhilfebezug. Wenn das
Sozialamt davon erfährt, dass jemand neben der Sozialhilfe einer nichtangemeldeten Arbeit nachgeht, kann es Rückforderungen stellen oder einen
neuen Bescheid über die Höhe der Sozialhilfe erlassen. Aber es ist nicht Aufgabe des BGS, Gelder zu konfiszieren.
Welche Rolle spielen dabei die "verdachtsunabhängigen Kontrollen"?
Damit kann der BGS ohne konkreten Verdacht Passanten kontrollieren. Insbesondere dient diese Praxis der Flüchtlingsabwehr und der
Überprüfung der Aufenthaltspapiere. Die Adressaten dieser Prozedur werden nach ihrem Gesicht, ihrer Hautfarbe ausgewählt. In diesem
Zusammenhang weitet der BGS seine Kompetenzen aus und erklärt sich eigenmächtig zum Hilfssheriff für das Sozialamt.
Sind auch Fälle aus anderen Bundesländern bekannt?
Bisher nicht, obwohl ich das nicht ausschließen will. In den Grenzregionen, z.B. an der zu Frankreich, sind mit dem Wegfall der offiziellen
Grenzen die Kontrollen innerhalb der EU bis 30 Kilometer ins Inland vorverlagert worden. Der BGS kontrolliert etwa alle Züge, die zwischen Basel
und Mannheim verkehren. Die "verdachtsunabhängigen Kontrollen" richten sich auch dort gegen vermutete "illegale
Einwanderung", Verletzung der sog. Residenzpflicht usw.
Zunächst haben Sie mit einer Dienstleistungsbeschwerde reagiert. Gibt es außerdem noch Spielräume auf juristischer Ebene?
Man kann natürlich Rechtmittel gegen die Beschlagnahmung des Geldes einlegen und mit einer Dienstleistungsbeschwerde gegen das
Vorgehen der Beamten Einspruch erheben. Letzteres hat jedoch wenig Wirkung, ist dennoch notwendig, weil der Sachverhalt nochmals überprüft
wird. Ansonsten gehe ich davon aus, dass es nicht nur notwendig ist, diese Praxis des BGS auf juristischer Ebene anzugehen, sondern sie überhaupt in
der Öffentlichkeit bekannt zu machen und ihnen durch entsprechenden Druck auch Einhalt zu gebieten.
Sind weitere Schritte geplant, um diesen öffentlichen Druck herzustellen?
Es gibt in Karlsruhe ein Bündnis, das sich gegen Neofaschismus, Ausländerfeinlichkeit und Rassismus gegründet hat. Im Oktober
sind Aktionen geplant, die vor allem den strukturellen Rassismus in dieser Gesellschaft, zu dem die "verdachtsunabhängigen Kontrollen"
gehören, nur dadurch bekämpft werden können, indem die gesamten Sondergesetze gegenüber Ausländern und
Flüchtlingen aufgehoben werden.
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