Sozialistische Zeitung |
In die Diskussion über Einwanderung und Migration ist Bewegung gekommen. Die wesentiche Ursache dafür sind
aber nicht Forderungen und Beschwrden der MigrantInnen zur Verbesserung ihrer Situation. Ursache sind vielmehr Forderungen aus der Industrie, die an dem
seit 1973 bestehenden Anwerbestopp rüttelt und dessen Aufhebung, zumindest aber dessen Modifizierung verlangt. […]
Einwanderung ist eine Bereicherung
1. Einwanderung, insbesondere in wirtschaftlich reiche und blühende Gebiete und Staaten, ist keine neue Entwicklung. Seit Jahrhunderten
wandern Menschen aus wirtschaftlich rückständigen Gebieten in solche, die prosperieren. Wer den Menschen das Recht auf Einwanderung
verweigern will, verwehrt ihnen auch das Recht auf Auswanderung aus Gebieten bzw. Staaten mit wirtschaftlicher Not…
Eine Politik, die Armut nicht bekämpfen, sondern ignorieren und gegen daraus resultierende
Wanderungsbewegungen Dämme errichten will, ist nicht nur zum Scheitern verurteilt. Sie ist auch inhuman.
2. Menschen, die zu uns kommen, sind keine Belastung… Menschen sind Reichtum. Sie produzieren noch mehr Reichtum. Es kommt darauf an, sie von
Anfang an gleichberechtigt aufzunehmen und zu integrieren.
Wenn es nach der Propaganda der Konservative und Reaktionäre ginge, würden bei einer
Aufhebung des Anwerbestopps Millionen Arme aus allen Weltgegenden in dieses Land strömen. Diese Propaganda ist verlogen und falsch.
Bei der Süderweiterung der Europäischen Union hieß es, jetzt kämen
Millionen Spanier, Portugiesen, Griechen usw. in das Land. Das Gegenteil war der Fall. Die Zurückdrängung von Armut und Repression in
Südeuropa führte zu einer Rückwanderung von Menschen in diese Länder. Nicht anders wird es bei der Osterweiterung der EU sein,
wenn die EU eine Politik der Angleichung der Lebensverhältnisse verfolgt.
Außerdem: Wenn MigrantInnen von Anfang an gleichberechtigt sind, sinkt auch der Anreiz
für Unternehmer, die diese Menschen vielfach nur deshalb im Ausland rekrutieren, weil sie damit bei uns bestehende soziale und gewerkschaftliche
Standards umgehen bzw. aufheben wollen.
3. Allmählich wächst die Einsicht, dass die Bundesrepublik schon aus demographischen Gründen in den kommenden Jahren
Einwanderung braucht. In den vergangenen zehn Jahren sind etwa zwei Millionen Menschen mehr in die Bundesrepublik eingewandert als ausgewandert.
Mehr als die Hälfte davon kamen in den Jahren 1990 bis 1992. Seitdem ist die Einwanderung rückläufig, in den Jahren 1996 und 1997
sogar negativ. Die bundesdeutsche Bevölkerung ist schon jetzt überaltert und wird nach demographischen Schätzungen in den
nächsten 20 bis 30 Jahren absolut stark zurückgehen und zugleich im Durchschnitt noch älter werden. Schon allein deshalb ist nach
Schätzungen von UN-Experten eine jährliche Netto-Zuwanderung von mindestens 500.000 Menschen erforderlich.
Staatsbürgerschaftsreform gescheitert
Im Vordergrund der Diskussion um eine moderne Einwanderungs- und Migrationspolitik muss eine Korrektur der falschen Politik gegenüber
den Millionen Flüchtlingen und MigrantInnen stehen, die schon seit vielen Jahren bei uns leben.
Die rot-grüne Reform des Staatsbürgerschaftsrechts ist praktisch schon jetzt gescheitert.
Die Einbürgerung, die Gleichberechtigung der fast acht Millionen MigrantInnen, kommt nicht voran. Die bürokratischen Schikanen, die
Verfünffachung der Gebühren für die Einwanderung, das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft, das noch weitergehht als unter der
alten Regierung, und andere Hindernisse, führen zu einer Stagnation, wenn nicht sogar zu einem Rückgang der Einbürgerungszahlen.
1. Erforderlich ist deshalb ein neuer Anlauf zu einer demokratischen Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, ein Anlauf, der diesmal nicht gegen,
sondern mit den bei uns lebenden MigrantInnen stattfinden muss.
2. Erforderlich sind ebenfalls aktive und demokratische Integrationsprogramme, um die Isolierung und Diskiminierung der hier lebenden
MigrantInnen zu beenden. Integrationsprogramme, wie sie bei uns bisher nur für Aussiedler praktiziert werden, wie sie in den Niederlanden für
alle Zuwanderer längst üblich sind und wie sie jüngst auch der Städte- und Gemeindebund zu Recht gefordert hat.
Die Diskriminierung der MigrantInnen und Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt muss ersatzlos
abgeschafft werden. […]
Wieso haben bei uns nur ausgewählte Minderheiten wie die dänische, wie Sorben,
Friesen und Roma/Sinti Minderheitenrechte, nicht aber die Millionen anderen MigrantInnen? Selbst die UNO hat diese Ungleichbehandlung kritisiert.
Wir fordern gemeinsam mit dem DGB und anderen Kräften: Allen hier lebenden Minderheiten
muss das Recht und die Möglichkeit gegeben werden, ihre Kultur, Sprache und Religion zu pflegen.
3. Grundlage der diskriminierenden, rassistischen und inhumanen Politik ist seit Jahrzehnten das Ausländergesetz. Die PDS tritt … für
die ersatzlose Abschaffung dieses Gesetzes ein. Sie fordet die Aufhebung aller Bestimmungen, Gesetze und Verordnungen, die Menschen nichtdeutscher
Herkunft diskriminieren. Das gilt auch für den Familiennachzug. Sie fordert ein Anti-Diskriminierungsgesetz.
Gastarbeiterpolitik unter neuer Fassade
1. Nach unserer Meinung kann der 1973 verhängte Anwerbestopp vollständig aufgehoben werden. Wer einen Arbeitsvertrag
vorweisen kann, gleichgültig in welcher Branche, soll ungehindert einreisen können.
Aber zu einer solchen Freigabe der Einwanderung gehört zwingend auch die strikte
Gleichberechtigung der EinwanderInnen von Anfang an.
Die UN-Konvention für Wanderarbeiter, die eine strikte Gleichberechtigung für
Wanderarbeiter mit den Menschen in den Anwerbeländern verlangt, muss von der Bundesregierung endlich ratifiziert und umfassend umgesetzt werden.
Menschen, die zu uns kommen, müssen ein festes Niederlassungsrecht haben und
gleichberechtigt sein, d.h. auch umfassendes Wahlrecht haben. Sie müssen nach wenigen Jahren, in der Regel nach drei Jahren, das Recht haben, die
deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Das diskriminierende Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft muss aufgehoben werden.
2. Wenn Konservative und Reaktionäre sagen, bei einer Aufhebung des Anwerbestopps würden Millionen Arme zu uns kommen,
antworten wir ihnen: "Sie sind schon da!" Schaut euch doch um in den Küchen und Spülecken der feinen Gaststätten, in
denen ihr speist, bei den Putzkolonnen, die eure Büros und Wohnungen sauber halten, auf den Weinbergen, in der Landwirtschaft, auf den Baustellen,
bei all den schmutzigen und schlecht bezahlten Jobs in diesem Land!
Der Ausbreitung von immer mehr "schmutzigen" Arbeitsverhältnissen in diesen
und anderen Branchen durch brutale Ausnutzung der Rechtlosigkeit von Menschen … muss endlich offensiv entgegengetreten werden.
Es gibt Schätzungen, nach denen inzwischen eine Million oder noch mehr
"Illegale" in diesem Land leben und arbeiten. Viele wurden illegal rekrutiert, andere gerieten durch die restriktive "Ausländer- und
Asylpolitik" und persönliches Unglück in die sogenannte "Illegalität".
3. Die PDS fordert, diesen Menschen durch eine "Stichtagsregelung" (wie in Spanien, Frankreich und anderen EU-Ländern und in
den USA praktiziert) die Möglichkeit zu geben, sich ungestraft melden und "legalisieren" zu können und damit ein Aufenthaltsrecht
zu erwerben.
Im Übrigen vertreten wir den Grundsatz: Wer sechs monate nach Einreise seinen Lebensunterhalt
selbst bestreiten kann, soll Aufenthaltsrecht haben.
Giyas Sayan
Giyas Sayan ist Sprecher der AG MigrantInnenpolitik der PDS.X2
Mit dem Greencard-Vorstoß wird ein Instrument neu diskutiert, das man schon in der Mottenkiste verschwunden sah: ein
Einwanderungsgesetz… Den großen Wirtschaftsverbänden geht es um einen regulierten Zugang zum Arbeitsmarkt bzw. um eine regulierte
Verwertung von Arbeitskraft. Ihr Modell eines Migrations- und Grenzregimes ist das einer gezielten und selektiven Steuerung von Einwanderung und nicht
das einer rigorosen Abschottung. In diesem Sinn ist das Kapital liberaler als der deutsch-nationale Populismus.
Dass dieser Umgang mit Einwanderung wenig mit Humanität zu tun hat, dafür umso mehr
mit den Erfordernissen des Arbeitsmarkts, das hat die laufende Diskussion in dankenswerter Klarheit deutlich gemacht… Zuwanderungsbegrenzungsgesetz
heißt folgerichtig auch der Gesetzentwurf, den die FDP gern im Bundestag diskutieren möchte. Dabei bedient man sich unverblümt der
utilitaristischen Rhetorik. Die Worte "brauchen" und "nutzen" bilden Begriffspaare mit "Auslese" und
"nationalem Interesse"… Die Debatte zeigt auch noch eine andere Gefahr: CDU und CSU fordern ein Einwanderungsgesetz bei gleichzeitiger
Abschaffung des Asylrechts. Schily will offenbar auf diesen Zug aufspringen. […]
Vor zehn Jahren haben die Grünen ein quotenbewehrtes Einwanderungsgesetz als
Zuwanderungsbegrenzungsgesetz abgelehnt. Damals wie heute war richtig, dass es keines Einwanderungsgesetzes mit Quotenregelungen bedarf, um Kriegs-
und Bürgerkriegsflüchtlingen und Menschen, die vor geschlechtsspezifischer Verfolgung fliehen, einen sicheren Zugang ohne das
Nadelöhr des Asylverfahrens zu ermöglichen.
Wenn die Greencard-Diskussion eins zeigt, dann das, dass es gerade heute keine emanzipatorische
Bezugnahme auf ein Einwanderungsgesetz geben kann.
Es bleibt uns also gar nichts anderes übrig, als die Forderung nach offenen Grenzen zum
Ausgangspunkt unserer Argumentation zu machen. Denn wenn im globalisierten Kapitalismus das Kapital schon international ist, muss dies auch für
den Faktor Arbeit gelten… Für uns als SozialistInnen stellt sich hier die Frage nach einer gerechten Weltwirtschaftsordnung. […]
Franz Mayer
Wie die Greencard von uns einzuschätzen ist? Die erste Antwort kann nur lauten: positiv, sehr positiv. Was alle
gutgemeinten Initiativen und Argumente von den Lichterketten bis zum "Ausländer sind eine Bereicherung für Deutschland" nicht
erreichten, das hat Schröders Greencard fertiggebracht: Die gängige rassistische Ideologie, die öffentlich und in allen Ritzen unserer
Gesellschaft dominiert, ist angeschlagen, desorientiert, verunsichert. "Das Boot ist voll"? Von wegen: unterbesetzt ist es… Mit Computer-Indern
verkehrt man nicht in Baustellen-Deutsch, sondern in Englisch. Man ist auf sie angewiesen, damit Deutschland in der Standort-Konkurrenz mithalten kann…
Für unseren ideologischen Kampf gegen den Rassismus haben sich die Parameter
verändert. Und zwar verbessert. Das gilt es als erstes festzuhalten.
Der herrschende Rassismus muss und wird ideologisch umdisponieren. Die rassistischen Institutionen
und Gesetze, die rassistischen Gesellschaftsstrukturen und kulturellen Erscheinungen sind nicht erschüttert aber sie müssen umgepolt
werden: Diskriminierung darf dem "Standort", d.h. der Kapitallogik nicht schaden.
Als zweites gilt es zur Kenntnis zu nehmen: Diese Klimaveränderung ist keinem
antirassistischen Druck unserer Bewegung und keiner antirassistischen Einsicht der Regierung geschuldet. Es sind die Kapitalverwertungsinteressen, die
sich direkt durchsetzen und den störenden rassistischen Klimbim ungeduldig vom Tisch wischen. Die Arbeiterklasse und ihre Gewerkschaften sind im
Grunde dagegen; sie hat es genauso kalt erwischt wie die Linke.
Das ist keine "verkehrte Welt". Im Gegenteil. Kapitalisten und Lohnabhängige
manifestieren ihre "wohlverstandenen Interessen". Was unsere "Bündnispolitik" angeht, so müssen wir die Karten halt
endlich neu mischen.
Das führt zur dritten unangenehmen Evidenz: Die wirtschaftlichen Auswirkungen von
Greencard oder gar "offenen Grenzen" sind negativ für die Lohnabhängigen in Deutschland (außer für die neu
Hinzukommenden). […] Die Kapitalisten sind gegen rassistische Diskriminierung, weil sie dem "Standort" schadet. Wir sind andererseits aber
nicht deshalb gegen rassistische Diskriminierung, weil sie den Lohnabhängigen wirtschaftlich schadet ("Rassismus spaltet/schwächt die
Arbeiterklasse"). Denn dann würden wir das Problem Rassismus der Logik der Warenwirtschaft unterordnen, genauso wie die Kapitalisten. Und
wir hätten im Übrigen auch Unrecht: In der Regel macht der Lohnabhängige in Deutschland die Erfahrung, dass der gesellschaftliche und
institutionalisierte Rassismus ihm ökonomisch nützt: und nicht schadet. Rassismus spaltet nicht die Arbeiterklasse in Deutschland, Rassismus
eint sie…
Viertens: Arbeiterinteressen sind genauso schädlich wie Kapitalinteressen!
Den Rassismus kann man genauso wenig bekämpfen wie das Patriarchat oder die
Umweltzerstörung oder gar den Kapitalismus, wenn man gleichzeitig die Klasseninteressen der Lohnabhängigen verteidigt in der Logik der
Warenwirtschaft (höhere Löhne) und des bürgerlichen Sozialstaates (Erhalt der "Errungenschaften", der
"Standards")…
Wenn wir Forderungen finden müssen, "die alle Benachteiligten zusammenbringen, statt
sie auseinander zu treiben", dann dürfen wir nicht von den ökonomischen Interessen "aller Benachteiligten" auf dem Markt
ausgehen, denn hier sind sie Konkurrenten. Wir dürfen überhaupt nicht von (marktwirtschaftlichen) Interessen ausgehen. Marx lag da falsch: Die
Klasseninteressen der Proletarier sind nicht zugleich die Interessen der Menschheit, sondern immer nur die einer konkurrierenden Klasse in der
Warenwirtschaft. Die Begründung für Antirassismus kann nur moralisch sein oder philosophisch, nie wirtschaftlich. Auf der moralischen Ebene
müssen wir "alle Benachteiligten" zusammenbringen, auch gegen ihre jeweiligen Interessen.
Gerade die Lohnabhängigen in Deutschland können mit den rassistisch Diskriminierten
keine Solidarität "im Eigeninteresse" entwickeln aufgrund ihrer Funktion im warenförmigen Produktions- und Konsumtionsprozess.
Shahla Blum predigt seit 15 Jahren: Solidarität gegen Rassismus gibt es für uns nicht zum Nulltarif. […]
Ingo Speidel
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