Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 12.10.2000, Seite 3

PDS-Parteitag

Verkürzte Kapitalismusanalyse

Die Menschen benötigten "eine Partei, die … dafür eintritt, den immer spekulativeren, sozial-, umwelt- und wirtschaftsfeindlichen Charakter des gegenwärtigen Finanzsystems zu verändern" — das glauben die GenossInnen Bartsch, Claus und Zimmer und bringen in ihrem Leitantrag an den 7.Parteitag der PDS die "realwirtschaftliche Vernunft" gegen das "Internationale Finanzkapital" in Stellung.
Das hat ihnen nun den Vorwurf eingehandelt, eine solchermaßen ausgerichtete Kritik würde ungewollt auch Menschen mit einem völkischen oder strukturell antisemitischen Weltbild ansprechen. Diese Kritik trifft Sozialistinnen und Sozialisten natürlich hart — dass sie der Parteivorstand nicht auf sich sitzen lassen will, war abzusehen.
Bei ihrer Verteidigung schreckten Mitglieder des Parteivorstands nicht einmal davor zurück, den KritikerInnen vorzuhalten, diese wollten den Parteivorstand oder vielleicht sogar die ganze PDS "in die Tradition der SA" stellen, sie als völkische Geister denunzieren oder ähnliches. Die inhaltliche Auseinandersetzung über dieses Thema ist hingegen bislang fast völlig ausgeblieben. Sie muss jedoch unbedingt beginnen. Es muss und kann schlüssig begründet werden, wieso diese Formulierungen im Leitantrag analytisch falsch und gleichzeitig brandgefährlich sind.
Die kritische linke Öffentlichkeit beobachtet diese Entwicklung in der PDS seit längerem — teils mit Sorge, teils mit Hohn und Spott. Zu den ersteren mag man den bekannten Journalisten Burkhard Schröder zählen: In der Wochenzeitung Freitag vom 22.09.200 stellte er unter dem Titel "Doitscher Sozialismus" einen Vergleich von NPD- und PDS-Parolen an. "Die im kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftssystem florierende schrankenlose Vermehrung des Geldkapitals durch Subventions-, Steuer-, Kredit- und Zinsprivilegien führt zu gravierenden Fehlentwicklungen der Wirtschaft und muss deswegen eingedämmt werden" — diesem Zitat aus dem aktuellen Parteiprogramm der NPD sieht das "Investieren — nicht spekulieren" der PDS ziemlich ähnlich. Eigentlich könnten wir uns ja freuen, wenn unsere Parolen so populär sind, dass die Nazis auf ihren Erfolg aufspringen wollen — dass die NPD diese PDS-Parolen jedoch ohne Änderung abschreiben und in ihr Weltbild integrieren kann, ist auch ein Grund, nachdenklich zu werden.
Es scheint in einigen Teilen der Linken beträchtliche Verwirrung zu herrschen. Die "Realwirtschaft" deren Folgen Karl Marx und Friedrich Engels zu ihren Zeiten in Gestalt von Hunger, Not und Kinderarbeit noch deutlich vor Augen hatten, wird heute, da ihre größten Unwirtlichkeiten in den Trikont verlagert wurden, plötzlich zu einem emanzipatorischen Projekt der Moderne…
…wären da nicht noch geheimnisvolle, verschlagene und permanent menschenfeindlich gestimmte Kräfte: Das internationale Finanzkapital! Nur auf ihren Profit bedachte Spekulanten ruinieren die ganze Wirtschaft und das auch noch mit Geld, das nicht ihrer eigenen Hände Arbeit entstammt. Für brave Staatsbürger gehört es sich hingegen, ihr Geld in die Produktion zu investieren, nicht etwa des aus der Ausbeutung entspringenden Profites wegen, nein, nur aus moralischer Verpflichtung der "realwirtschafltichen Vernunft" gegenüber: In den Chefetagen von DaimlerChrysler, Bosch und VW wälzt man sich des Nachts im Bette, von der Sorge um die Arbeitsplätze getrieben.
Friedrich Engels hat zu diesem Thema schon eine Anmerkung gemacht: "In diesem fortwährenden Auf und Ab muss jeder suchen, den günstigsten Augenblick zum Kauf und Verkauf zu treffen, jeder muss Spekulant werden, d. h. ernten, wo er nicht gesäet hat, durch den Verlust anderer sich bereichern, auf das Unglück andrer kalkulieren oder den Zufall für sich gewinnen zu lassen … Und möge sich der ehrliche, ‚solide‘ Kaufmann nicht pharisäisch über das Börsenspiel erheben … Er ist so schlimm wie die Fondsspekulanten, er spekuliert ebensosehr wie sie, er muss es, die Konkurrenz zwingt ihn dazu, und sein Handel impliziert also dieselbe Unsittlichkeit wie der ihrige." (Friedrich Engels, MEW, Bd.1, S.515/516.)
Der Kapitalismus ist Spekulation — das wussten diejenigen schon, die seine sozialistische Theorie begründet hatten und zu deren Zeiten von Kapitalismus und internationalen Finanztransaktionen noch recht wenig zu hören war. Die Spekulation entspringt dem Wesen des kapitalistischen Produktionsprozesses: Auf zukünftige Gewinne wird ebenso spekuliert, wie dies der "ehrliche" Handwerker tut, wenn er Geld für sein Arbeitsmaterial vorstreckt. Die größten Börsenkapitale haben gleichzeitig auch den größten Einfluss auf die realwirtschaftliche Sphäre.
Die allseits verfemte Spekulation besteht darin, dass zukünftige Gewinne im Hier und Jetzt vorweggenommen werden. Sie müssen deshalb später um jeden Preis erzielt werden, da sonst das ganze Gebäude zusammenbricht — das tut es auch dann und wann, wenn die Anteilseigner die Gewinne im Voraus verbraten, die nie wirklich erzielt werden, wie z.B. in der "New Economy". Die Sorge darum sollte aber nicht diejenige von Sozialistinnen und Sozialisten sein.
Was uns interessieren muss : Wie kann die Diktatur des Kapitalverhältnisses welcher Form auch immer über das Leben der Menschen aufgehoben werden ? Durch das produktive Kapital sicher nicht. Wieso also die Unterscheidung ?
"Der Fabrikant hat seine Schuldner, die Arbeiter, in der Fabrik unter den Augen und kontrolliert ihre Gegenleistung, ehe er noch das Geld vorstreckt. Was in Wirklichkeit vorging, bekommen sie erst zu spüren, wenn sie sehen, was sie dafür kaufen können … Der Kaufmann präsentiert ihnen den Wechsel, den sie dem Fabrikanten unterschrieben haben. Jener ist der Gerichtsvollzieher fürs ganze System und nimmt das Odium für die anderen auf sich. Die Verantwortlichkeit der Zirkulationssphäre für die Ausbeutung ist gesellschaftlich notwendiger Schein." (Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung.)
Je weiter sich das Wirken des Kapitals von den "konkreten" Ursprüngen handwerklicher oder industrieller Verausgabung von Arbeitskraft fortbewegt, desto suspekter wird es dem "gesunden" Menschenverstand. Das hat nichts mit Erkenntnis zu tun, vielmehr mit "notwendig falschem Bewusstsein", also Ideologie. Zugespitzt könnte man sagen, dass die Unterscheidung zwischen industriellem und spekulativem Kapital die Ideologie der Marktwirtschaft darstellt.
Selbst zu immer mehr Spekulation im eigenen Leben gezwungen (Stichwort: "Flexibilisierung der Arbeitskräfte", "Unternehmer der eigenen Arbeitskraft"), wenden sich die Ausgebeuteten gegen diejenigen, die in ihren Augen Initiatoren und Profiteure der Spekulation sind. Im Grunde drückt der Hass gegen die, die "ohne eigene Arbeit" leben können, doch nur das verdrängte Bewusstsein aus, dass ein Leben, das nicht nur der kapitalistischen Verwertung gewidmet ist, heute schon für alle möglich wäre.
"Der Bankier wie der Intellektuelle, Geld und Geist, die Exponenten der Zirkulation, sind das verleugnete Wunschbild der durch Herrschaft Verstümmelten, dessen die Herrschaft sich zu ihrer eigenen Verewigung bedient" (Adorno).
Will die PDS dazu beitragen?
Eine weitergehende Analyse der schlimmen Folgen einer verkürzten Kapitalismuskritik hat Moishe Postone in seiner Grundlagenschrift Nationalsozialismus und Antisemitismus aufgezeigt: "Formen antikapitalistischen Denkens, die innerhalb der Unmittelbarkeit dieser Antinomie [der zwischen abstraktem und konkretem; T.S./A.K.] verharren, tendieren dazu, den Kapitalismus nur unter der Form der Erscheinungen der abstrakten Seite dieser Antinomie wahrzunehmen, z.B. Geld als ‚Wurzel allen Übels‘. Dem wird die bestehende konkrete Seite dann als das ‚natürlich‘ oder ontologisch Menschliche, das vermeintlich außerhalb der Besonderheit kapitalistischer Gesellschaft stehe, positiv entgegengesetzt. Dass konkrete Arbeit selbst kapitalistische gesellschaftliche Beziehungen verkörpert und von ihnen materiell geformt ist, wird nicht gesehen … So kann das industrielle Kapital als direkter Nachfolger ‚natürlicher‘ handwerklicher Arbeit auftreten und, im Gegensatz zum ‚parasitären‘ Finanzkapital als ‚organisch verwurzelt‘ … Kapital selbst — oder das was als negativer Aspekt des Kapitalismus verstanden wird — wird lediglich in der Erscheinungsform seiner abstrakten Dimension verstanden: als Finanz- und zinstragendes Kapital … Diese Form des ‚Antikapitalismus‘ erscheint daher nur so, als ob sie sehnsüchtig rückwärts gewandt sei; als Ausdruck des Kapitalfetischs drängt sie in Wirklichkeit vorwärts. Sie tritt auf im Übergang vom liberalen zum organisierten Kapitalismus." (Postone, Nationalsozialismus und Antisemitismus.)
Es ist also nicht so, dass die Nazi-Parolen, die sich gegen Globalisierung und die multinationalen Konzerne richten, deshalb existieren, weil Sozialismus gerade so hip ist, sondern weil die völkischen Totalitären die "rechte Hand der Globalisierung" (Slavoj Zizek) darstellen.
Diese Globalisierung hat jedoch keinen "kosmopolitischen" gar "antinationalen" Charakter wie von linken und rechten Deutschnationalen gerne behauptet, vielmehr ist sie ein imperiales Konzept der drei großen Wirtschaftsblöcke und geht mit einer Transformation der bürgerlichen Nationalstaaten einher, wie sie zum Beispiel Joachim Hirsch treffend beschreibt.
Der völkische Antikapitalismus ist also kein Plagiat der Nazis, nicht eine linke Ideologie, die rechts verkehrt wurde, vielmehr ist er ein originäres Projekt der Faschisten. Schon der NSDAP-Ideologe und geistige Ziehvater Hitlers, Gottfried Feder, schrieb 1927 vom "Leihkapital" das "entgegen allen sonstigen irdischen Erfahrungen ohne Mühe und Arbeit durch Zins, Dividende und Rente aus sich selbst gewissermaßen wächst", so dass "den Werteschaffenden in Werkstatt, Fabrik und Kontor (!) nur karger Lohn bleibe und der Gewinn der Arbeit … in die Taschen der anonymen Geldmacht als Zins und Dividende" fließe ("Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundlagen").
Hitler selbst ergänzte in Mein Kampf bezüglich der "Brechung der Zinsknechtschaft" als dem "wichtigsten Programmpunkt der Kampfes der deutschen Nation um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und Freiheit … Die scharfe Scheidung des Börsenkapitals von der nationalen Wirtschaft bot die Möglichkeit, der Verinternationalisierung der deutschen Wirtschaft entgegenzutreten, ohne zugleich mit dem Kampf gegen das Kapital überhaupt die Grundlage einer unabhängigen völkischen Selbsterhaltung zu bedrohen."
Hier wird ganz klar ausgesprochen, was das Programm der Nazis war und ist: Die Zerstörung der marxistischen Kapitalismuskritik!
Die PDS sucht nach Möglichkeiten, Antikapitalismus zu popularisieren. Das ist gut.
Sie muss dabei jedoch der Versuchung widerstehen, eingefahrene verschwörungstheoretische Erklärungsmuster zu bedienen, durch die sie zwar schnell Zuspruch erhalten könnte, die sich aber letztendlich gegen sie wenden werden.

Titus Stahl/Alexander King

Die Autoren sind Mitglieder der PDS in Baden-Württemberg. Titus Stahl ist im Landesvorstand der Partei und Delegierter auf dem 7.Parteitag der PDS in Cottbus.

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