Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 12.10.2000, Seite 5

Rentendiskussion

Mehr als eine Alternative

Walter Riester hat seine Rentenreformvorstellungen nach langem Hin und Her nun vorgelegt und will sie in den Bundestag zur Gesetzgebung einbringen. Riester schließt in seinem Entwurf von vornherein eine Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung und damit eine Erhöhung der Lohnkosten der Unternehmen aus.
Die Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) hat dagegen einen Entwurf vorgelegt, der mehrere Elemente enthält, die auch schon von anderen Wissenschaftlern und Instituten vorgebracht worden sind, um die tatsächlich möglichen Alternativen aufzuzeigen.
Diese alternativen Vorstellungen setzen vor allem an den Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten des bestehenden Systems an, versuchen aber auch, die in Zukunft steigende Zahl von Menschen im Rentenalter zu berücksichtigen. Es geht insbesondere um den Erhalt der paritätischen Finanzierung. Darunter wird verstanden, dass alle Beiträge zur sozialen Sicherung je zur Hälfte von den Beschäftigten und den Unternehmen aufgebracht werden sollen.
In einem Sondergutachten vom September hat die Memorandum-Gruppe nachgewiesen, dass es für die Aufgabe der paritätischen Finanzierung keinerlei ökonomische Gründe gibt. Die vorgeblichen Gründe lassen sich leicht widerlegen. Es ist politische Willkür, den Beitrag der Unternehmen auf 11% begrenzen zu wollen, während die Beschäftigten zusammen mit der privaten Zusatzversicherung 15% zahlen müssen.
Angesichts der zurzeit fast stagnierenden Realeinkommen der Lohnabhängigen und den massiv steigenden Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen in den letzten Jahren, bedeutet dieser Entwurf eine Umverteilung zugunsten der Unternehmen. Dagegen richtet sich die Forderung nach dem Erhalt der paritätischer Finanzierung.
Die teilweise Ersetzung des bisherigen Umlageverfahrens durch die Kapitalstockversicherung wird ebenfalls als unnötig kritisiert. Gesichert werden die Renteneinkommen in jedem System mit den Überschüssen der Produktion, die bisher als Lohnbestandteile der Aktiven berechnet und an die RentnerInnen ausgezahlt werden.
Mit dem Kapitalstock will Riester die Rente "an die Börse bringen". Die Überschüsse fallen als Zinsen an und werden dann an die RuheständlerInnen ausgezahlt. In beiden Fällen werden sie von den Beschäftigten erwirtschaftet, deren Produktivität die Einkommen der beschäftigungslosen Kinder und Alten sichern muss.
Im zweiten Fall werden die Renteneinkommen aber in viel stärkerem Maße der Willkür des Finanzmarkts ausgesetzt, was ausschließlich den beteiligten Finanz- und Versicherungsunternehmen nützt. Die Wirkungsweise des Finanzmarktes kann als "ökonomischer Zwang" noch weniger politisch beeinflusst werden, als das Umlagesystem mit seinen Verwaltungs- und Entscheidungsgremien.
Auch viele derjenigen GewerkschafterInnen, die eine Ergänzung des bestehenden Systems nicht ausschließen wollen, bestehen darauf, dass eventuelle Tariffonds oder andere tariflich vereinbarte Alterssicherungen zur Hälfte von den Arbeitgebern bezahlt werden.

Andere Rentenreform

Neben einer Kritik der Riester‘schen Reformpläne bringt die IG BAU neue Vorschläge ein, deren Verwirklichung eine deutliche Änderung der Rentenversicherung zugunsten der Beschäftigten zur Folge hätte. Der Hauptpunkt ist die Ausweitung der Versicherungspflicht auf alle Einwohner ab 16 Jahren. Jeder soll Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung werden, egal ob Beamter, Selbständiger oder abhängig Beschäftigter.
Diese Ausdehnung der Versicherungspflicht und der Einbeziehung aller in die allgemeine Rentenversicherung soll eine stabilisierende Wirkung auf die zukünftige Rentensicherheit haben. Auch politisch ist ein solches System vermittelbar: alle zahlen ein, alle bekommen Rente. Eine Privilegierung bestimmter Personenkreise wie Beamte, Selbständige oder Mandatsträger soll damit eingeschränkt werden.
Der Frauenrat weist außerdem darauf hin, dass insbesondere die Zeiten der Nichtbeschäftigung von Ehefrauen und Müttern in einer sog. "Versorgungsehe" nicht aus der Versicherung herausfallen sollen, sondern jede Frau aus dem Einkommen des Ehemanns, evtl. mit Zuschusspflicht des Staates, ihre Beiträge zahlt.
Mit der Ausdehnung der Versicherungspflicht verbunden ist der nächste wichtige Änderungsvorschlag: die Beitragspflicht soll auf alle Einkommen ausgedehnt werden. Weil immer weniger Menschen in den so genannten Normalarbeitsverhältnissen ihr Geld verdienen, sollen die Beiträge nicht nur aus abhängiger Arbeit bezahlt werden. Die IG BAU und der Frauenrat fordern die Einbeziehung aller Einkommensarten, die steuerpflichtig sind, in die Versicherungspflicht. Das betrifft dann auch Beamtengehälter, Einkommen aus selbständiger Arbeit sowie aus Vermögen, Kapital und Vermietung.
Weiterhin wird eine Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze von zurzeit monatlich 8600 Mark gefordert. Damit würden auch große Einkommen entsprechend mehr zur Versicherung beitragen.
Mittels dieser Maßnahmen könne der Beitragssatz um 5,4% gesenkt werden, so die IG BAU. Spielräume für weitere Maßnahmen zur Sicherung der Hinterbliebenenversorgung wären vorhanden. Außerdem würden Übergangsregelungen für die neu einbezogenen Menschen über einen längeren Zeitraum ermöglicht.
Ein Problem bei der Einbeziehung aller Einkommen, auch der hohen, ist die daraus resultierende Rentenhöhe. Die IG BAU schlägt eine Kappungsgrenze von 4500 Mark vor, d.h. dass keine aus der gesetzlichen Rentenversicherung mehr Rente erhalten könnte — eine Dynamisierung dieses Betrags ist jedoch eingeplant.
Dieser Punkt scheint innerhalb der gegenwärtigen Verfassung und Rechtsprechung besonders problematisch, aber die Berechtigung dieser Kappung scheint einsichtig. Großverdiener haben um so mehr Möglichkeiten, sich eine Zusatzversorgung anzusparen. Die IG BAU verweist zu Recht darauf, dass sich Großverdiener bisher aus der Finanzierung der Sozialversicherungen herausgezogen haben, und dass die negativen Folgen der Erwerbsarbeit einseitig zu Lasten der Beschäftigten gehen — Frühinvalidität und Arbeitslosigkeit, unregelmäßige Beschäftigungsverläufe senken ihre Renten zusätzlich.

Forderungen aus dem Frauenrat

Insbesondere in Frauenorganisationen sind die Vorschläge der IG BAU schon früher diskutiert worden. Sie setzen insbesondere an der bisherigen Benachteiligung von Frauen im Erwerbs- und damit auch im Rentenleben an, sowie an der relativen Altersarmut von Frauen durch niedrige Hinterbliebenenrenten.
Unter anderem forderte die AG Rentenreform des 24.Feministischen Juristinnentages eine weitergehende Änderung bei der Beitragszahlung des Unternehmensanteils. Dieser soll nicht mehr nach den Löhnen und Gehältern berechnet werden, sondern unabhängig von der Lohnsumme an Umsatz, Gewinn und der Wertschöpfung berechnet werden. So könnten Rationalisierungsgewinne, die bei der Vernichtung von Arbeitsplätzen entstehen, neu verteilt werden.
Von einer solchen Finanzierung des Arbeitgeberanteils erwarten sich die Juristinnen eine weitere Senkung der Beitragssätze, zusätzlich zur Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in die Versicherungspflicht. Sie fordern ebenfalls eine Mindestrente oberhalb des Existenzminimums — rund 1500 Mark — die alle erhalten, die aufgrund fehlender Erwerbstätigkeit nur niedrige Beiträge zahlen konnten.
Eine Maximalrente wird ebenfalls empfohlen. Sie soll etwa das Dreifache der Mindestrente betragen. Die AG Rentenreform bezieht sich dabei — wie übrigens auch andere Fachleute — auf die Schweizerische Volksversicherung, die wichtige Elemente dieser Vorschläge verwirklicht hat.
Frauenorganisationen fordern insbesondere eine Änderung bei der Hinterbliebenenversorgung. Längerfristig würde sich eine solche an die Rente und damit das frühere Erwerbseinkommen des Lebenspartners gebundene Altersversorgung erübrigen, wenn alle BewohnerInnen versicherungspflichtig, und damit auch rentenberechtigt wären. Für eine Übergangszeit wird die Aufteilung während einer Ehe erworbener Rentenansprüche gefordert, ähnlich wie es jetzt schon bei Scheidungen gehandhabt wird.
Aus dem Gesamteinkommen würden zwei selbständige Rentenansprüche gebildet, so dass die Ungerechtigkeiten des jetzigen Systems entfallen würden. Heute erhält der überlebende Mann zu 100% seine Rente, während die Witwe nur 60% erhält, in die ihre eigenen Ansprüche eingerechnet werden.
Der Frauenrat fordert insbesondere auch eine Aufwertung der Zeiten, die Frauen an der "normalen" Erwerbstätigkeit hindern, wie Zeiten der Pflege, Erziehung von Kindern, Ausbildung, Teilzeitarbeit. Es scheint so, dass Schröders Regierung bis auf die Verbesserung bei den Erziehungszeiten an der strukturellen Benachteiligung von Frauen nichts ändern möchte. Riesters Systemänderung hin zu einer kapitalgedeckten Zusatzversicherung führt im Gegenteil zu einer Verschärfung dieser Benachteiligung, da ein sozialer Ausgleich dort völlig fehlt.

Rolf Euler

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