Sozialistische Zeitung |
Das Abkommen, das General Motors (GM) und Fiat in diesem Frühjahr geschlossen und im Sommer konkretisiert haben,
sieht die Errichtung von zwei Joint Ventures in der Motoren- und Getriebeproduktion und der Einkaufsabteilung vor. Es bedeutet für das Turiner
Unternehmen eine radikalen Wandel, der eine tiefgreifende Reorganisierung der Produktion einleitet. Die italienischen und deutschen Arbeiter (aber auch
andere Arbeiter der Fabriken von GM in Europa) werden neue gewerkschaftliche und organisatorische Anstrengungen unternehmen müssen, um ihre
Einheit herzustellen und ihre Arbeitsbedingungen zu verteidigen.
Fiat (Fabbrica Italiana Automobili Torino) ist die wichtigste Unternehmensgruppe in Italien
ein multinationaler Konzern, der an zahlreichen industriellen Bereichen beteiligt ist und nicht nur Autos produziert, sondern auch Industriefahrzeuge,
landwirtschaftliche Maschinen, Baufahrzeuge, Bauteile für die Autoproduktion, Produkte der eisenverarbeitenden Industrie usw.
Der industrielle Sektor ist aber nur ein Stück des Imperiums der Familie Agnelli (die etwa 30%
von Fiat besitzt). Fiat ist auch im Finanz- und Dienstleistungsektor stark vertreten und gegenwärtig bemüht, sich in der sog. "new
economy" zu verankern.
Im Rahmen der internationalen Konkurrenz befindet sich Fiat nur in einer starken Situation in Bezug
auf die Bereiche Traktoren, Baumaschinen und Bauteilproduktion. Der Automobilsektor, der etwa 50% der Gruppe ausmacht, ist jedoch in einer schwierigen
Lage und konnte im Klima der verschärften Konkurrenz und der Fusionen großer Autohersteller beim gegebenen Grad der Produktivität
und des erzielten Absatzes nicht darauf hoffen, langfristig im Kampf ums Überleben allein zu bestehen.
Verschärfte Konkurrenz
Schon vor einigen Jahren hat es Versuche gegeben, mit anderen Unternehmen Abkommen zu schließen, aber davon wurde nichts verwirklicht,
und Fiat-Auto gelang es, seine Stellung zu behaupten. Dennoch hatte sich die Leitung der Fiat-Gruppe im Bewusstsein ihrer Schwächen in der zweiten
Hälfte der 80er Jahre bemüht, einige kleinere und mittlere Produzenten zu schlucken. Vor zwei Jahren wurde die Gelegenheit versäumt, sich
Volvo einzuverleiben, das stattdessen von Ford übernommen wurde.
Damit war Fiat-Auto in eine unmögliche Lage geraten: das Unternehmen konnte nicht mehr
darauf hoffen, sich durch die Übernahme anderer Unternehmen zu verstärken, sondern nur noch versuchen, an den besten Anbieter unter den besten
Bedingungen zu verkaufen. Zu diesem Zweck kam aus den USA ein neuer Präsident, Paolo Fresco.
Im ersten Moment schien sich ein Abkommen mit DaimlerChrysler abzuzeichnen; dieser Konzern wollte
plötzlich die gesamte Fiat-Gruppe übernehmen, da man die produktiven Abteilungen beider Konzerne leicht im Auto-, Industriefahrzeug- und
Luftfahrtsektor hätte integrieren können. Diese Integration wäre auch dadurch erleichtert worden, dass sich die Märkte beider
Konzerne geografisch ergänzen.
Eine solche Integration hätte dem Konzern ermöglicht, in verschiedenen Bereichen, inkl.
des Automobilsektors, um die führende Stellung zu konkurrieren. Dieser Gefahr war sich die Führung von General Motors bewusst, als sie Fiat
ein sehr vorteilhaftes Angebot unterbreitete, wobei der Wert von Fiat-Auto überbewertet wurde.
Tatsächlich hat GM 20% der Fiat-Aktien erworben, während Fiat im Gegenzug 5,6% der
Aktien des US-Konzerns erhalten hat. Es werden sofort zwei Joint Ventures gebildet, in denen GM tatsächlich schon die absolute Mehrheit halten soll
und in drei Jahren verlangen kann, die übrigen Teile von Fiat zu erwerben. Dies ist für die Fiat-Aktionäre lukrativ, und der alte
"Padrone" von Fiat, Giovanni Agnelli, wahrt sein Gesicht.
Verschiedene Kommentatoren haben betont, dass dieses Abkommen die Unabhängigkeit von
Fiat bewahrt und sollte es nicht funktionieren es dem Turiner Unternehmen erlauben würde, allein weiter zu machen. Das ist ein
Märchen: alle wissen genau, dass eine Umkehr unmöglich ist; es werden nicht viele Jahre vergehen, bis Fiat-Auto vollständig vom US-
Unternehmen geschluckt sein wird.
Die Mechanismen, die nun in Bewegung gesetzt werden, werden das Gesicht der Fiat-Gruppe
vollständig verändern. Die Einmaligkeit, die sie ausgezeichnet hat, wird schwinden: jeder Produktionsbereich wird verschiedenen Wegen
folgen. Der Eisenbahnsektor ist vor kurzem schon an ein französisches Unternehmen verkauft worden, aber andere können folgen. Wie sich
andererseits auch nicht ausschließen lässt, dass in den Bereichen, in denen Fiat am stärksten ist, neue Übernahmen geschehen, um die
Positionen zu bestätigen und zu verstärken. Dies gilt für die Traktorenabteilung, wo Fiat den US-Hersteller Case übernommen hat.
Die italienische Regierung war bei diesen Ereignissen völlig abwesend und hat dem Spiel des
Marktes freien Lauf gelassen oder, besser gesagt, die Interessen der Großaktionäre über die Zukunft von Fiat entscheiden lassen. Die
meisten Tageszeitungen und politischen Parteien haben die Entscheidung von Agnelli und Fresco vollständig unterstützt, aber sie hätten
auch zugestimmt, wenn diese anders entschieden hätten.
Einige Gewerkschafter haben eine gewisse Kritik vorgebracht, indem sie behauptet haben, dass eine
Integration mit DaimlerChrysler auf industrieller Ebene folgerichtiger gewesen wäre. Alle haben die von Fiat für die Zukunft für die
Arbeitsplätze gegebenen Garantien für bare Münze genommen. Diese Garantien bestehen jedoch in keiner Weise nicht in Italien,
und auch nicht für die Beschäftigten der Fabriken von General Motors in Deutschland.
Beide Unternehmen wirken auf dem Markt für untere Mittelklassewagen. Die beiden
Produktionen ergänzen sich daher nicht, sondern sie überschneiden sich. Das Abkommen und die Schaffung der beiden Joint Ventures hat die
Funktion, die Investitionen und die Kosten zu rationalisieren, d.h. mehr zu geringerem Preis zu produzieren, um so die Konkurrenten u.a. auf dem
europäischen Markt zu schlagen. Die Umstrukturierungen werden unvermeidlich und schwerwiegend sein, angefangen bei denselben Strukturen bei der
Planung der Motoren und Getriebe, die vereinheitlicht werden. Aber andere Bestandteile der Wagen können demselben Prozess der Standardisierung
unterwerfen werden.
Nationalistische Argumentation
In unserem Land gibt es viele führende Gewerkschafter, die eine schräge nationalistische Argumentation vertreten: sie hoffen, oder sie
haben die Illusion, dass angesichts der durchschnittlich geringeren Löhne und schlechteren Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen der italienischen
Arbeiter im Vergleich zu ihren deutschen Kollegen und der Tatsache, dass die Leitung von GM in amerikanischen Händen liegt, die Fabriken und die
Beschäftigung in Italien ein geringeres Risiko eingehen. Der Mechanismus des "Sozialdumpings" sollte so die italienischen Arbeiter zum
Nachteil der deutschen schützen.
Wenn man gegenwärtig berücksichtigt, dass die italienischen Gewerkschaften seit vielen
Jahren vollständig in einen Mechanismus der konzertierten Aktion mit den Unternehmen und der Regierung eingebunden sind, der zu ihrer
vollständigen Unterordnung unter die Interessen der Kapitalisten und die Regeln des Neoliberalismus geführt hat und einen starken Abbau von
Errungenschaften der Arbeiter und ihrer organisatorischen Stärke mit sich brachte, dann kann man verstehen, warum bisher in Italien die
Gewerkschaften passiv geblieben sind und keine Initiative zu den Folgen des Abkommens ergriffen haben.
Die Plattform für die Haustarifverhandlungen bei Fiat, die nach einer langen Vertagung endlich
im Juli zustande kam, scheint nicht nur sehr schwach hinsichtlich der Lohnforderungen und vor allem der Kontrolle über die Arbeitszeit und deren
Reduzierung sowie in Bezug auf den Kampf für die Umwandlung der immer weiter um sich greifenden prekären Beschäftigung in
"gute" Arbeitsplätze zu sein, sondern erweist sich auch als unklar darüber, wie die Probleme anzugehen sind, die sich aus der
Integration von Fiat in GM ergeben. Und die Direktion von Fiat hat vorläufig im Namen der "Wettbewerbsfähigkeit" eine totale
Mauer gegen alle erhobenen Forderungen errichtet.
Und doch sind die Probleme enorm: niedrige Löhne, eine Fabrik, die ihr Gesicht infolge der
Auslagerung der Produktion und der Verleihung eines Teils der Beschäftigten und der Fertigung an andere Firmen abgetreten werden, verändert
hat. So arbeiten im selben Produktionsbereich Belegschaften, die zu verschiedenen Unternehmen mit verschiedenen Verträgen gehören.
Außerdem gibt es noch die befristet Beschäftigten, die von Zeitarbeitsagenturen vermittelt werden. Die Spaltungslinien unter den
Lohnabhängigen werden vielfältiger, die Schwierigkeiten, die Einheit der Arbeitenden und ihrer Forderungen herzustellen, wachsen.
Die jüngsten Gewerkschaftswahlen führten immerhin bei Anwesenheit einer
starken Kritik der Arbeitenden an den Gewerkschaftsorganisationen, denen vorgeworfen wird, die Ansprüche der Arbeiter nicht entsprechend zu
berücksichtigen, aber auch in einem Rahmen der Inaktivität und Demoralisierung zu einem Übergewicht der
gemäßigteren gewerkschaftlichen Kräfte, jener Kräfte, die am stärksten mit einer Politik der Zusammenarbeit mit den
Unternehmern um jeden Preis verbunden sind. Die Metallgewerkschaft FIOM (die Teil des Dachverbands CGIL ist), die, bei vielen Unwägbarkeiten,
eine kämpferischere Politik will, blieb die relativ stärkste Gewerkschaft (32%), aber verlor 4 Prozentpunkte. Die Basisgewerkschaft SINCOBAS
stagniert ihrerseits, ohne die Kritik für sich zu nutzen, die an der Passivität der großen Organisationen vorgebracht wird.
Die Lage ist also objektiv schwierig, und es wird eine umfassende Arbeit erforderlich sein, um die
Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung mit den nötigen Instrumenten zu versehen, um dem Projekt der Unternehmer nicht allein auf nationaler, sondern
auch auf internationaler Ebene entgegentreten zu können.
Von den Parteien hat sich allein Rifondazione Comunista (PRC) bemüht, die Konsequenzen des
Abkommens FiatGM zu erläutern, und zu diesem Zweck Flugblätter und anderes Material verbreitet und Initiativen und Debatten
initiiert. Der piemontesische Regionalrat der PRC und Arbeiter bei Fiat, Rocco Papandrea, ist in Bochum mit einer Delegation von Opel-Arbeitern
zusammengetroffen, und Anfang September haben Opel-Arbeiter aus Bochum in Turin an einer Diskussion im Rahmen des Pressefests von Liberazione, der
Tageszeitung der PRC, teilgenommen und bei weiteren Treffen Informationen mit Aktivisten der Gewerkschaftslinken ausgetauscht.
Angesichts der Konzentrationsprozesse der großen Unternehmensgruppen, die im Gleichschritt
mit verstärkten Versuchen der Fragmentierung und Spaltung der Arbeitenden einhergehen, wird es für die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung
grundlegend, die eigenen nationalen Schranken zu überwinden und, im Fall GMFiat, eine enge Verbindung zwischen den italienischen und
deutschen Beschäftigten zu knüpfen, um gemeinsame Ziele und eine gemeinsame Ebene der Mobilisierung zu formulieren, damit die
Arbeitsplätze erhalten bleiben und tariflich geregelte normale Beschäftigungsverhältnisse für alle gelten.
Ein Beispiel: die Verteidigung der 35-Stunden-Woche der deutschen Arbeiter wird schwieriger sein,
wenn die italienischen Arbeiter nicht beginnen, einen sehr ernsten Kampf zu führen, um den italienischen Unternehmern das zu entreißen, was
sich ihre Kollegen in Deutschland bereits erkämpft haben.
Franco Turigliatto
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