Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 26.10.2000, Seite 2

Die Hungernden und die Satten

Kolumne: Jakob Moneta

Während in der Europäischen Union und in den USA "Agrarüberschüsse" abgebaut werden, leiden weltweit 826 Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung. 8 Millionen von ihnen leben in Industriestaaten, 26 Millionen in den Ländern des Ostens, die auf dem Weg zum Kapitalismus sind, und 792 Millionen in "Entwicklungsländern".
Der Welternährungsgipfel in Rom 1996 setzte sich zum Ziel, die Zahl der chronisch Hungernden bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Nun aber muss Jacques Diouf, Generaldirektor der UNO-Ernährungsorganisation FAO in seinem Welternährungsbericht feststellen, um dieses Ziel zu erreichen, hätte die Zahl der Unterernährten um mindestens 20 Millionen jährlich verringert werden müssen. "Die gegenwärtige Rückgangsrate von etwas weniger als 8 Millionen Unterernährten seit Beginn der 90er Jahre ist in bestürzendem Maße unzureichend."
Als Hauptursachen für den Hunger in den am stärksten betroffenen Ländern werden Kriege, Konflikte, Misswirtschaft und Missernte, Bevölkerungswachstum und Armut genannt. Zwar herrscht in FAO-Führungskreisen die Meinung vor, dass für die von Hunger schwer betroffenen Länder die Schulden "weitreichend" erlassen werden sollten. Sie müssten freien Zugang zu den Ländern der Industrieländer, mehr und qualitativ bessere Entwicklungshilfe erhalten.
Aber sind dies nicht nur fromme Wünsche, wenn die Industriestaaten 10 Milliarden Mark Entwicklungshilfe für die Bekämpfung der ländlichen Armut aufwenden, aber für ihre eigene Landwirtschaft über 360 Milliarden Mark ausgeben?
Aus einer Studie der FAO geht hervor, dass in Dänemark je Person und je Tag 3780 Kilokalorien verzehrt werden, die BRD erreicht mit 3300 weltweit Platz 18, das Schlusslicht bildet Somalia mit 1580 Kilokalorien. Eine Unter- und Mangelernährung gilt für unter 2300 Kilokalorien als wahrscheinlich.
Die Vorsitzende der Deutschen Welthungerhilfe, Ingeborg Schäuble, übt scharfe Kritik an Ländern wie Uganda, Angola und Zimbabwe, die am Kongo-Krieg beteiligt sind. Sie meint, dass für ein Land, das Krieg führt, die staatliche Entwicklungshilfe gestoppt werden müsse. Abgesehen davon, dass die meisten Kriege in armen Ländern im Interesse der reichen Industriestaaten und mit deren Waffen geführt werden, sollten wir uns doch fragen, ob es nicht möglich ist, durch eine andere Verteilung des Reichtums Kriege zu verhindern.
Aus einem UN-Bericht geht hervor, dass nur 4% des Vermögens der weltweit reichsten Dollarmillionäre ausreichen würden, um problemlos den Grundbedarf der Weltbevölkerung an Nahrung, Bildung, Trinkwasser und Gesundheit abzudecken.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sind also die Mittel vorhanden, um die Grundbedürfnisse aller Menschen auf unserem Globus zu befriedigen. Zugleich aber erfahren wir aus dem vor kurzem vorgelegten Armutsbericht der Weltbank:
Das Durchschnittseinkommen ist in den 20 reichsten Ländern 37mal höher als in den ärmsten 20 Ländern. Dieser gewaltige Abstand hat sich in den letzten 40 Jahren nicht verringert, sondern verdoppelt.
Von den 6 Milliarden Menschen auf der Erde leben 2,8 Milliarden — also fast die Hälfte — von weniger als 2 Dollar am Tag und 1,2 Milliarden sogar von weniger als 1 Dollar am Tag.
Ravi Konbur, der als Direktor die Ausarbeitung dieses Armutsberichts der Weltbank leitete, trat zurück, weil ihm nicht gestattet wurde, die wahren Schuldigen an den Verbrechen zu benennen, die Millionen Menschen zu einem frühen Tod durch Hunger, Krankheit oder schlicht Unwissenheit verurteilen. Das aber sind internationale Institutionen wie: der IWF, die Weltbank, das Welthandelsabkommen, die multinationalen Konzerne.
Genau das wurde aus dem Armutsbericht herausoperiert. Wie sagte doch ein linker Abgeordneter im Europaparlament: "Nicht trotz, sondern wegen der Eingriffe der Weltbank und des IWF hat sich die Armut verschärft."
Können wir uns darüber wundern, dass die Brutalität und Gnadenlosigkeit, die in den Vorstandsetagen der Finanzgewaltigen herrscht, ihr Anheizen des Wettbewerbs, des Konkurrenzdenkens unter den Menschen, das Mitgefühl mit den Hungernden erkalten lässt und die Solidarität als Grundlage eines humanen Weltbilds zerstört?X2

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