Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 26.10.2000, Seite 4

Strafe fürs Reisen

Die Residenzpflicht vor Gericht

Weil er sich weigert, einen Strafbefehl über 709 DM zu bezahlen, wird derzeit gegen Cornelius Yufanyi vor dem Amtsgericht Worbis in Thüringen verhandelt. Der Flüchtling aus Kamerun hatte mehrfach gegen die sog. Residenzpflicht verstoßen und den Landkreis Eichsfeld, in dem er gemeldet ist, ohne Genehmigung verlassen. Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine Geld- oder Gefängnisstrafe oder die Ausweisung.
Die Residenzpflicht verbietet Asylbewerbern während ihres Asylverfahrens den ihnen zugewiesenen Verwaltungsbezirk ohne schriftliche Genehmigung zu verlassen. Die Residenzpflicht ist im Asylverfahrensgesetz (AVfG) festgeschrieben.
Mit der Schaffung dieses Gesetzes im Jahr 1982 wurde auch die Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern eingeführt, die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge erheblich eingeschränkt und die Pflicht zu gering entlohnten gemeinnützigen Tätigkeiten festgelegt. Oft verweigern die Behörden die Genehmigung für eine Reise; ansonsten werden häufig Gebühren bis zu 20 Mark für eine Genehmigung verlangt.
Ausgenommen von der Genehmigungspflicht sind nur Anwaltstermine oder Termine bei Organisationen wie dem Flüchtlingshilfswerk der UNO (UNHCR). Wiederholte Verstöße gegen die Residenzpflicht werden bestraft. Nach §56 AVfG kann ein Verstoß gegen die Residenzpflicht mit 5000 Mark oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden.
Gegen die Einführung dieser Regelungen, besonders gegen die Unterbringung in Lagern, die Beschränkung der Bewegungsfreiheit und das Arbeitsverbot, hat das UNHCR seit 1982 immer wieder protestiert. Mit dem Asylverfahrensgesetz seien "Abschreckungsmaßnahmen gegen Asylbewerber zum Tragen gebracht worden … die einzigartig in Europa sind."
1997 urteilte das Bundesverfassungsgericht, die Gründe für die Einführung der Residenzpflicht seien nicht zu beanstanden. Außerdem sei die öffentliche Sicherheit nur zu gewährleisten, wenn der Flüchtling jeder Zeit erreichbar ist und Verstöße bestraft werden, so das Gericht in seinem Urteil.
1999 wurde Yufanyi während des G7-Gipfels in Köln verhaftet und erhielt eine Geldstrafe von 109 Mark, weil er seinen Lankreis ohne Genehmigung verlassen hatte. Für seinen zweiten Verstoß gegen die Residenzpflicht im April diesen Jahres soll er 600 Mark bezahlen.
Der Aktivist der afrikanischen Migrantenorganisation "The Voice" lebt in einem Asybewerberwohnheim im Landkreis Eichsfeld und war Mitorganisator des Flüchtlingskongresses "Gemeinsam gegen Abschiebung und soziale Ausgrenzung", der im April in Jena stattfand. Die zuständige Behörde verweigerte ihm die Genehmigung für die Reise zum Kongress mit der Begründung, er habe sein Kontingent von einer Genehmigung pro Monat für den Besuch politischer Veranstaltungen bereits ausgeschöpft, berichtete die junge Welt. Yufanyi fuhr trotzdem nach Jena.
Sein zuständiger Sachgebietsleiter Manfred Schäfer las in der Thüringer Allgemeinen ein Interview, das Yufanyi der Zeitung in Jena gegeben hatte und leitete es an die Polizei weiter. Yufanyi weigert sich den Strafbefehl zu bezahlen: "Ich kann nicht für meine von Geburt gegebene Bewegungsfreiheit zahlen", so der Voice-Aktivist, der bereit ist, bis vor den Europäischen Gerichtshof in Straßburg zu gehen. Er weist auf die Menschenrechtskonvention der UNO hin, die jedem Menschen "das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnorts innerhalb eines Staates garantiert".
UnterstützerInnen befürchten nun eine mögliche Ausweisung Yufanyis. Im Frühjahr diesen Jahres erhielt der Flüchtling José Maria Jones einen Ausweisungsbescheid wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht. "Unerlaubte Reisen" von AsylbewerberInnen beeinträchtigten nach Ansicht des zuständigen Landratsamts in Thüringen die "öffentliche Sicherheit und Ordnung maßgeblich".
Am 12.Oktober war der erste Verhandlungstag vor dem Amtsgericht im thüringischen Worbis. Yufanyis Verteidiger Ulrich von Klinggräf beantragte zu Beginn des Verfahrens, der Fall solle an das Bundesverfassungsgericht überwiesen werden: Die Aufenthaltsbeschränkung für AsylbewerberInnen widerspreche dem Grundgesetz in mehrfacher Hinsicht.
Der Antrag wurde zwar abgelehnt, aber Klinggräf zeigte sich mit dem Prozesstag zufrieden, da "das Gesetz ins Zentrum" gerückt wurde. "Es geht nicht nur um einen Freispruch. Das Gesetz muss weg", sagte Yufanyis Verteidiger gegenüber der Thüringer Allgemeinen.
Auch "Voice" und die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen beurteilen den Prozessauftakt positiv. Hoffnung machte ihnen vor allem, dass der Prozess nicht wie in solchen Fällen üblich innerhalb eines Tages abgeschlossen werden konnte. "Prozess gegen Menschenrechtsaktivist geplatzt" überschrieben sie eine gemeinsame Presseerklärung zur Verhandlung und forderten, das Verfahren ganz neu aufzurollen. Vor dem Gerichtsgebäude hielten AktivistInnen eine Kundgebung ab und veranstalteten eine Demonstration durch Worbis.

Patrick Hagen

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