Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 26.10.2000, Seite 12

Staatsbetriebe in Serbien

Belegschaften räumen auf

Die Streikbewegung, die Vojislav Kostunica ins Präsidentenamt gehoben hat, hat sich auch nach der Anerkennung seines Wahlsiegs fortgesetzt. Sie drückt aus, dass die Streiks auf einen Wandel nicht allein an der Spitze der Staatsmacht. sondern auch in den Betrieben gerichtet waren und sind.
Die Streikwelle ist auch nach dem Amtsantritt Kostunicas nicht abgeebbt. Die Bergarbeiter von Kolumbara, die in den Tagen vor dem Sturm auf das Belgrader Parlament eine zentrale Rolle gespielt haben, setzen ihren Streik fort. Sie fordern den Rücktritt des Bergwerkdirektors. Diese Forderung hat sich im Nu ausgebreitet.
In zahlreichen großen Fabriken, Krankenhäusern, Universitäten und anderen Teilen der Gesellschaft betreiben die Belegschaften die Absetzung der Direktoren — zumeist hohe Funktionäre der Partei von Milosevic (SPS) und seiner Frau Markovic (JUL) — sowie der mit ihnen verbundenen staatlichen Gewerkschaften. Die Streikenden bei den serbischen Radio- und Fernsehsendern haben die Kontrolle über die Redaktionen übernommen.
In den 90er Jahren wurden fast alle staatlichen Betriebe und Institutionen durch die beiden genannten Parteien kontrolliert — zusammen besetzten sie zwischen 3000 und 4000 Direktorenposten. Die staatlichen Gewerkschaften betätigten sich als ihre Transmissionsriemen; häufig saßen sie mit in den Unternehmensleitungen und bezogen dort Direktorengehälter und andere Privilegien. Soweit die Gewerkschaften Forderungen erhoben, waren sie fast immer mit den Unternehmensleitungen abgesprochen.
Wo unabhängige Gewerkschaften Proteste organisierten, wie im vergangenen Jahr an den Schulen, schloss sich die staatliche Gewerkschaft diesen an und machte sich zum bevorzugten Gesprächspartner der Regierung — in dieser Funktion sorgte sie dafür, dass der Streik beendet wurde.
Dieser ganze Mechanismus ist mit dem Sturz von Milosevic zusammengebrochen — in den meisten Fällen ohne dass die alte Nomenklatura dem Widerstand entgegengesetzt hätte.
Vor allem in den Großbetrieben haben die Belegschaften auf Betriebsversammlungen an die Stelle der Direktoren "Krisenkomitees" gewählt, die vorübergehend den Betrieb führen sollen. In der Presse werden hier immer wieder das Bergwerk Kolumbara, die Autofabrik Zastava, das Kupferbergwerk in Bor, die Versicherungsgesellschaft Dunav, die Handelsgesellschaft Genex und das größte Bankhaus, die in Belgrad ansässige Beogradska Bank, genannt.
Im Gesundheitsministerium hat die Ärztegewerkschaft vorübergehend die Amtsgeschäfte übernommen, nachdem der Gesundheitsminister seinen Rücktritt erklärt hatte. Bei der Übernahme der Betriebsleitung geht es nicht nur um die Amtsenthebung, sondern auch um die Kontrolle über die Konten und die Vermögensbestände der Unternehmen.
In einer Reihe von Fällen hat die Oppositionskoalition DOS jedoch versucht, den Führungswechsel in den Betrieben für ihre Zwecke zu nutzen und unter ihre Kontrolle zu bekommen. Das ist vor allem dort der Fall, wo die Belegschaften schlecht organisiert sind und sich deshalb schwer tun, eigene Kollektive aufzubauen.
Auch andere Teile der Gesellschaft sind in Bewegung: So kämpfen die Belgrader Studenten für die Abschaffung des Hochschulgesetzes, das Milosevic eingeführt hatte.
Die Beispiele verdeutlichen, dass Formen der Selbstorganisation in den Betrieben, Behörden, an den Hochschulen und in den Medien durchaus die Möglichkeit haben, den Entwicklungsweg der serbischen Gesellschaft zu beeinflussen. Das gilt um so mehr, als die Machtverhältnisse auf der Seite der institutionalisierten Politik alles andere als klar sind. Die Oppositionsbewegung DOS streitet sich um den einzuschlagenden wirtschaftpolitischen Weg, aber auch um ihre Haltung zur Partei von Milosevic, d.h. auch darum, wieweit Würdenträger des alten Regimes — z.B. in der Armee — auf ihren Posten bleiben sollen oder nicht.
Ebenfalls ungeklärt ist, wie der neue Präsident Kostunica die nationalen Fragen behandelt — vor allem das Verhältnis zu Montenegro und zum Kosovo.
Die unabhängigen Aktionen der Arbeiter und Studenten sind auch der DOS ein Dorn im Auge. Miroljub Labus, Vertreter der Ökonomen-Gruppe G17 im Oppositionsbündnis DOS, der (unter stillschweigendem Beifall des Westens) bereits als neuer Ministerpräsident handelt, obwohl er dazu kein Mandat hat, hat bereits vor einem "Chaos in Serbien" gewarnt.
Andererseits fordert er die Arbeiter dazu auf, das "Volkseigentum" zu schützen und die Direktoren daran zu hindern, dass sie Vermögen entwenden und Akten vernichten. Eine Sympathieerklärung für die Arbeiter ist das nicht.
Ein anderer Liebling des Westens, Zoran Djindjic, hat angekündigt, Serbiens Wirtschaft bedürfe einer "polnischen Schocktherapie". Die Bergarbeiter von Kolumbara wären die ersten, die dafür zu zahlen hätten. Ihnen droht dasselbe Schicksal wie den Bergarbeitern von Tuzla und denen von Trepca vor ihnen.
Die Frage ist, ob es zu gemeinsamen Kampfaktionen gegen die Privatisierung kommen kann. 1998 gab es schon einmal eine Konferenz gegen die Privatisierung, auf der Kumpels aus den drei Bergwerksunternehmen zusammengekommen waren.

Angela Klein

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