Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 26.10.2000, Seite 12

Jubilee 2000

Kampagne muss weitergehen

Offiziell läuft die seit Jahren größte internationale entwicklungspolitische Initiative, die Jubilee 2000 Kampagne zur Entschuldung der Länder der Dritten Welt und ihr deutscher Ableger, die Erlassjahrkampagne, mit Ablauf des Jahres aus.
Vor allem die Organisationen aus den Ländern des Südens, die den besonderen Erfolg von Jubilee 2000 darin sehen, die internationale Öffentlichkeit in einem nie gekannten Ausmass für das Problem der Verschuldung sensibilisiert zu haben, stellen diesen Endpunkt jedoch in Frage.
Denn selbst die "angekündigten Schuldenstreichungen oder -kürzungen sind unzureichend", erklärt ein Zusammenschluss von Kampagnenvertretern aus den Trikont-Ländern, den USA und Europa, die Anfang Dezember in Dakar zunächst ein afrikanisches und dann ein internationales Treffen organisieren.
Auf beiden Treffen soll die Zusammenarbeit zwischen den Süd- und Nordkampagnen intensiviert werden. Neben den Auswertungen der bisherigen Initativen zur Schuldenreduzierung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank und den bilateralen Programmen zur Streichung der Schulden einiger Gläubigerländer geht es auch um die Auswirkungen der neuen IWF-Programme zur Bekämpfung der Armut und für wirtschaftliches Wachstum (PRGF).
Ziel der Dakar-Treffen ist die Entwicklung kurz- und langfristiger Strategien zur Streichung der Schulden und gegen Strukturanpassungsprogramme.
Doch allein dabei soll es keinesfalls bleiben, vielmehr soll "Dakar 2000 — vom Widerstand zu Alternativen" Beiträge zu einer Entwicklungspolitik leisten, die sich auf die Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerung stützt.
Zu einigen der vorgeschlagenen Alternativen gehören von der jeweiligen Bevölkerung kontrollierte Entwicklungsfonds, die durch Schuldenstreichungen und angestrebte Reparationszahlungen finanziert werden sollen.
Dabei müsse allerdings geklärt werden, so die Organisatoren, was denn nun unter Zivilgesellschaft zu verstehen sei. "In Prag hat sich sogar [Multimilliardär] George Soros als Vertreter der Zivilgesellschaft vorgestellt", moniert die in Brüssel ansässige Nichtregierungsorganisation COCAD (Coordination for the Cancellation of the Debts).
Ein weiterer Schritt auf dem Weg in größere wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Norden ist der Aufbau regionaler Wirtschaftsstrukturen der südlichen Länder untereinander.

Der Süden brodelt

Nicht nur die Proteste gegen die IWF-Treffen dieses Jahr in Washington und Prag sind nach Ansicht der europäischen Mitorganisatoren der Dakar-Treffen Anzeichen für eine zunehmende Legitimitätskrise und wachsenden Widerstand gegen die Weltwirtschaftspolitik der supranationalen Organisationen.
Von den Medien kaum wahrgenommen gibt es gerade in den Ländern der Dritten Welt zahlreiche Mobilisierungen, die den Folgen der Schuldenpolitik eine besondere Bedeutung beimessen.
In Argentinien forderten im Juni dieses Jahres 100000 Menschen die einseitige Aufkündigung der Verträge mit dem IWF. Diese Forderung unterstützte ein Generalstreik im selben Monat. Im Januar besetzten Indios während ihres Aufstands in Ecuador den Präsidentenpalast und wollten u.a. die Zahlungen der Auslandsschulden einstellen.
Im Sommer sammelten dort soziale Initiativen über 1,5 Millionen Unterschriften für dieses Anliegen. In Bolivien gab es wütende Proteste, nachdem die Preise für die Trinkwasserversorgung rapide heraufgesetzt wurden. Auch eine Folge der IWF-Politik, die zuvor die bolivianische Regierung dazu genötigt hatte, die Wasserversorgungsunternehmen an Privatunternehmer zu verkaufen.
Die südamerikanische Kampagne El grito de los excluidos (Der Schrei der Ausgegrenzten) führt Referenden gegen die Zahlung der Auslandsschulden durch. In Brasilien nahmen an diesem Referendum, das u.a. von der dortigen Jubilee 2000 Kampagne, der Nationalkonferenz der katholischen Bischöfe, dem Gewerkschaftsdachverband CUT und der Landlosenbewegung MST vom 6. bis 20.September organisiert wurde, mehr als sechs Millionen Menschen teil. 5,6 Millionen sprachen sich für eine Aufkündigung des Abkommens mit dem IWF aus und fordern ihre Regierung auf, die Schuldenzahlungen einzustellen.
In Südkorea mobilisieren vor allem die Gewerkschaften gegen die IWF-Politik. Auch auf den Philippinen und in Indonesien gibt es zahlreiche Proteste für ein Schuldenmoratorium.
Erst am 20.Oktober demonstrierten mehrere zehntausend Menschen in Seoul gegen das dritte Treffen asiatischer und europäischer Regierungschefs (ASEAN), die dort ihre Wirtschaftspolitik berieten.
Auch in Afrika hat die Politik des IWF und der großen Industrienationen ihre Gegner, die sich seit 1998 koordinieren und im vergangenen Jahr Jubilee South als eigenständige Struktur offiziell ins Leben riefen.
In Afrika gibt es Initiativen und Kampagnen in Südafrika, Mali, Senegal, Benin, Zimbabwe, Zambia und Kamerun, die sich zum Teil aus den Strukturen der offiziellen Jubilee 2000 zusammensetzen und nun vor allem den afrikanischen Teil des Dakar- Treffens vorbereiten.

Unterstützung aus dem Norden

In den Ländern des Nordens gibt es eine zunehmende Unterstützung für die Jubilee South Positionen, die sich u.a. für eine bedingungslose Streichung der Schulden einsetzen. Vor allem in Kanada haben sich große Teile der offiziellen Jubilee 2000 Kampagne den radikalen Forderungen angenähert.
Auch der US-amerikanische Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO setzt sich für die vollständige Finanzierung des amerikanischen Anteils am Entschuldungsfonds für die ärmsten und am meisten verschuldeten Länder (HIPC) ein. In einem Brief an das US-Finanzministerium fordert der Dachverband außerdem, das Ministerium möge seinen Einfluss auf den IWF geltend machen, damit die auch unter den neuen Programmen zur Armutsbekämpfung vorgesehenen Auflagen zur Einführung von Gebühren für Gesundheits- und Bildungseinrichtungen wieder zurückgenommen werden. "Egal wie diese Gebühren genannt werden — ‚Aufteilung der Kosten‘ oder ‚gemeinschaftsfinanziert‘ — die Armen sind dadurch von der Grundversorgung ausgeschlossen", so der AFL-CIO.
In Europa ist es vor allem die von Frankreich ausgehende ATTAC-Initiative rund um die Monatszeitschrift Le Monde diplomatique, die die Anliegen der Südkampagnen unterstützt. Während die von COCAD wissenschaftlich begleitete Initiative in Deutschland weitgehend unbekannt ist, verfügt sie über funktionierende Netzwerke in der Schweiz und in Spanien. Unter anderem fordert ATTAC eine Besteuerung der internationalen Finanztransaktionen.
In Deutschland bezeichnet die Missionszentrale der Franziskaner die Jubilee South Deklarationen als "beeindruckendes Plädoyer aus dem Süden, das aus der Sicht der Betroffenen zu einer Fortsetzung und Vertiefung der Erlassjahrkampagne drängt". Als Teilnehmer an der deutschen Erlassjahrkampagne werden sie dort auf der kommenden Mitträgerversammlung die Forderungen aus dem Süden unterstützen.
Ob diese mehrheitsfähig sind und die Erlassjahrkampagne weitergeführt wird, ist nach Aussagen des Kampagnen-Pressesprechers, Friedel Hütz-Adams, derzeit noch offen. "Viele der insgesamt 2000 beteiligten Gruppen sind jedoch an weiterer Arbeit zum Thema interessiert", erklärt Hütz-Adams für die deutsche Kampagne.
Sollte bei den anstehenden Entscheidungen eine Fortführung der Aktionen beschlossen werden, könnte mit einer neuen Plattform der Erlassjahrkampagne eine Annäherung an die Jubilee South Positionen stattfinden. Doch zuvor müssten einige Wogen geglättet werden, die vor allem aus Grundsatzfragen und einer unterschiedlichen Herangehensweise resultieren. Während für die Süd-Kampagnen allein die Vorstellung, irgendwelche Schulden ihrer Länder könnten "bezahlbar" sein, ungeheuerlich ist, drängte Anne Pettifor, die Direktorin der britischen Jubilee 2000, Mitarbeiter von internationalen Kreditinstituten zu sofortigem Handeln, weil sonst "die armen Länder die Dinge selbst in die Hand nehmen".
In Dakar können diese Spannungsfelder bearbeitet werden. Allerdings unter der Vorgabe, dass die "Anzahl der Eingaben von Delegierten aus dem Norden begrenzt ist". Diese in der Einladung gemachte Einschränkung resultiert aus den Erfahrungen der ersten internationalen Treffen, bei denen einige Vertreter aus dem Norden in paternalistischer Manier die Wortführerschaft beanspruchten.

Gerhard Klas

http://users.skynet.be/cadtm

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