Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 26.10.2000, Seite 14

Hermann L. Gremliza

Schon besser gestammelt

Er hätte früher aufhören müssen, oder gar nicht erst anfangen. Spätestens nach zwei Absätzen und der Erkenntnis: "Es ist zum Heulen. Es ist auch zum Kotzen", hätte er den Laptop zuklappen sollen. Niemand wäre ihm böse, niemand zum Spott ermuntert. Aber Hermann L. Gremliza hat trotz dieser Gefühlslage weiter geschrieben an seinem Kommentar zum Aufstand in Palästina und den Reaktionen der israelischen Regierung und Armee darauf.
So wird das Novemberheft von Konkret leider mit einem fürchterlichen Gestammel zur Verteidigung "Israels" eingeleitet, für das Gremliza vom größten deutschen Freund des israelischen Staates, Axel Cäsar Springer, wenn er es denn noch hätte lesen können, sicherlich spontan ein Volontariat angeboten bekommen hätte.
Nun bleibt HLG aber nur noch die Chance, sich selbst in seiner nächsten "express"- Kolumne abzuwatschen. Für solche Blüten gibt es da in der Regel eins auf die Backen, dass das Amalgam aus den Zähnen fällt: "Die Geschichte, wie einen Zwölfjährigen auf dem Weg zum Gebrauchtwagenhändler die ehrenvolle Berufung zum Märtyrer für Jerusalem und die Aksa-Moschee ereilt, ist die Geschichte des jüngsten Palästinenseraufstands und der Berichte von ihm. In ihr spiegelt sich jenes Amalgam aus wahrer Verzweiflung und überzeugter Verlogenheit, das nur die Idealkonkurrenz von religiösem Wahn und Journalismus hervorzubringen vermag."
Die Idealkonkurrenz von Heulen und Kotzen trübt auf jeden Fall den Blick des Konkret- Herausgebers: "Man sieht Horden von Männern, Frauen und Kindern", sie werfen mit "schweren" Steinen und haben "blanken" Hass im Gesicht. Sie tragen "heiß ersehnte" Tote herum, um die "ganze" Bösartigkeit Israels zu zeigen. Und die Frauen "jeden" Alters kreischen dazu mit "viel System" und lassen die "gerade noch aufgehobenen" Steine fallen, "um die Hände zum wehklagenden Ringen freizuhaben". Da legen wir glatt die Brille bei Seite, um die Augenbrauen zum erstaunt fragenden Emporziehen frei zu haben. Im Übrigen gilt: viele bunte Attribute sind der Analyse Tod.
"Viel System" schimmert allerdings durch Gremlizas Zuordnung der Todesschützen: "Warum es diesmal mehr Tote gab als noch zu Zeiten der Intifada, erfährt man irgendwo am Rande, und einmal sogar in der ‚Tageszeitung‘: ‚Die Aktivisten der Tansim‘, einer militanten Organisation der Fatah, die von Arafat vertragswidrig bewaffnet worden ist, ‚werfen nicht mehr nur Steine, sondern sie schießen mit scharfer Munition.‘" Offensichtlich will uns HLG sagen, dass, wenn man sich "vertragswidrig" bewaffnet, der liebe Gott dafür sorgt, dass die Kugeln immer nur die eigenen Leute treffen.
Nicht das Heulen, sondern nur das Kotzen hat Gremliza bei der Suche nach den Kriegursachen geleitet: "Wie, beispielsweise, der Islam, zu dessen besonderen Features es gehört, jedem seiner zur Keuschheit verpflichteten jungen Gläubigen als Lohn für ein Attentat, bei dem er außer einer größeren Menge Juden auch sich selber in die Luft sprengt, im Paradies ein Dutzend Privatjungfrauen, ficks und fertig, bereitzulegen. Und so mußten, heißt es, in wenigen Tagen hundert Palästinenser und zwanzig Israeli sterben, weil ein israelischer Politiker auf dem Tempelberg in Jerusalem einen Rundgang gemacht hat, wie ihn täglich ungezählte Touristen machen."
Ach, hätte HLG in seiner Ursachenforschung doch noch hinzugefügt, dass "der israelische Politiker" bei seinem Rundgang nicht wie "ungezählte Touristen" Eintritt bezahlt hat — er hätte wenigstens einen der Wahrheit entsprechenden Punkt erwähnt. Ansonsten sollen andere, mehr einer Moral verpflichteten Zeitgenossen Gremliza für solchen latenten Rassismus abstrafen.
Der Sinn von Gremlizas Kommentar ist der öffentliche Aufschrei, dass "Israel" von allen früheren Verbündeten fallen gelassen wird. Wir teilen noch nicht einmal diese pauschale politische Schlussfolgerung. "Ein Israel" gibt es nicht (außer als Wahlparole von Barak). Es gibt einen Klassenstaat mit einer zerstrittenen herrschenden Klasse, mit einer arabisch- palästinensischen Bevölkerung, die sich erfreulich massiv an den Aufstandsaktionen der Menschen in den "unabhängigen" Distrikten und in den Flüchtlingslagern beteiligt. Und es gibt noch viele Dinge mehr, die in einer brauchbaren Analyse der Vorgänge im Nahen Osten nicht fehlen dürfen. Nur ein kleiner Teil davon wird zur Zeit von "internationaler Unterstützung" verlassen. Ein Grund für HLG mit einem Text aufzuwarten, der offensichtlich von allen guten Geistern verlassen ist?

Thies Gleiss

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