Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 09.11.2000, Seite 5

Menschenrechte und Rassismus

Residenzpflicht abschaffen

Nach der Vielzahl faschistischer und fremdenfeindlicher Anschläge hat die deutsche Regierung beschlossen, durchzugreifen, um die neuen Anhänger Hitlers in die Schranken zu weisen. Ein Kampf, den sie bislang nur sehr zögerlich und unentschlossen geführt hat.
Die Ergebnisse des neuen Erwachens haben nicht auf sich warten lassen. Zunächst wurden zwei Minderjährige zu jeweils neun Jahren Gefängnis verurteilt. Man wirft ihnen vorsätzlichen Mord an einem Schwarzafrikaner vor.
Es folgte das Verbot jedes öffentlichen Auftretens von Skinheads. Das ist eine konkrete und unmittelbare Reaktion. Man muss sich aber auch fragen, ob diese Neonazis nicht unbewusste Opfer eines Systems sind. Was kann aus den 16-jährigen Jugendlichen nach so vielen Jahren Gefängnis werden wenn nicht Bandenführer?
Das System fußt auf Gesetzen, die die Immigrantinnen und Immigranten um so härter treffen, als sie direkt ihre elementaren Menschenrechte in Frage stellen. Wie soll die deutsche Bevölkerung anders als mit Abgrenzung und Verachtung gegenüber Menschen reagieren, wenn sie per Gesetz sozial ausgeschlossen und von vornherein kriminalisiert werden?
Anders gesagt: Wüten die Faschisten nicht auf einem Terrain, das vorteilhaft für sie ist und sie begünstigt? Es ist schwer, darauf mit Nein zu antworten, wenn man weiß, was "Residenzpflicht" für Asylbewerber bedeutet und welche Folgen sie für diese Menschen hat.
Die anhängigen Strafverfahren sind nur der sichtbare Teil des Eisbergs.
Die Mobilisierung der Bevölkerung am vergangenen 12.Oktober vor und im Gericht von Worbis im Norden Thüringens war ein Schritt vorwärts im Prozess der Bewußtwerdung über die Lage der Asylbewerber.
Es ging um einen Prozess der örtlichen Ausländerbehörde gegen den Flüchtling Cornelius Yufanyi. Er ist angeklagt, die "Residenzpflicht" gebrochen zu haben, weil er seinen politischen Aktivitäten nachging, die von den Behörden anerkannt wurden. Dabei hatte er vorsorglich um Erlaubnis gebeten, seinen Aufenthaltsort zu verlassen — wie das Gesetz es vorsieht. Sie war ihm verweigert worden.
Immerhin hat die Sache die Richter nachdenklich gemacht; der Prozess wurde verschoben. Die vage Argumentation der Behörde hat in ihnen vielleicht den Zweifel genährt, ob das Gesetz nicht doch zutiefst diskriminierend und rassistisch ist.
Diese Sorte von Prozess wird in aller Regel in wenigen Minuten zuungunsten der Flüchtlinge abgehandelt. Dieser hier war von der Vorsitzenden Richterin auf 30 Minuten angesetzt, er dauerte zwei Stunden. Zwei Stunden, in denen es eine wirklich offene Debatte gab. Ein Beweis dafür, dass die diskriminierende Regelung zu einem Problem wird, seit im April der Kongress der Flüchtlinge eine Kampagne zur ersatzlosen Streichung dieses Gesetzes beschlossen hat — das auf der Welt einmalig ist.
Das Urteil ist noch nicht gesprochen. Die Qualität der Debatte während des Prozesses aber war ein ebenso starkes Signal an die Gesellschaft wie die Verurteilung der Neonazis. Das ist natürlich ein Aktivposten für den antirasstistischen Kampf in Deutschland. Aber die Angst bleibt. Durften nicht erst vor wenigen Tagen einige hundert Neonazis unbehelligt in Dortmund und in Düsseldorf demonstrieren?

Venant Adoville Saague

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