Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 09.11.2000, Seite 14

PDS: Nachlese zum Parteitag

... und tschüss!

Der neue PDS-Fraktionschef im Bundestag, vermeldete die Frankfurter Rundschau am 25.Oktober, habe "in ungewöhnlich scharfer Form auf grundsätzliche Kritík am Kurs der Partei reagiert". Mit den Worten "und tschüss" sei Roland Claus in der Fraktionssitzung nach dem Parteitag auf Distanz zu seinem baden-württembergischen Fraktionskollegen Winfried Wolf gegangen. Er werde sich mit Wolf nicht mehr über die Entwicklung der PDS auseinandersetzen. Dies sei für ihn eine "Befreiung aus der Enge der selbsternannten Bewahrer". Beobachter der Fraktionssitzung bemerkten, nur wenige aus dem Fraktionsvorstand hätten Claus in dieser Attacke beigepflichtet. Andere hätten den Ausgrenzungskurs offen kritisiert.
Zu jenen, die Claus hunderprozentig unterstützen, gehört offensichtlich Ruth Fuchs, vielfach ausgezeichnete Speerwerferin in der DDR und Mitglied des Bundestags. In einer Antwort auf den Kommentar zum PDS-Parteitag, den Winfried Wolf in der jungen Welt vom 18.Oktober schrieb, in dem er die Entwicklungsrichtung der PDS trotz der Ergebnisse des Cottbusser Parteitags als weiterhin offen beschreibt, vermerkt sie am 24.10.:

"Der Parteitag hat den Leitantrag von Zimmer, Bartsch und Claus mit überwältigender Stmmenmehrheit verabschiedet. Da ich den Delegierten ... nicht unterstelle — wie Winfreid Wolf das tut — dass sie ihre Entscheidung ,manipuliert‘ getroffen haben, kann ich nicht erkennen, wo da für einen ,Waffenstillstand‘ plädiert wurde. Ich erkenne auch nicht, wieso die ,Entscheidung über die Entwicklungsrichtung der PDS ... weiter offen‘ ist. Für mich hat sich der Parteitag im Leitantrag dazu ganz klar geäußert."
Die Botschaft ist klar: Die PDS hat in Cottbus zu einer neuen Linie gefunden. Münster war ein Versehen, Münster gilt nicht, es gilt Cottbus. Wer sich nicht in diesen Konsens stellen will, kann gehen. Das ist die alte SED in neuem Gewand. Im Westen hat das zu einer Reihe von Parteiaustritten geführt. Aus Kiel ist uns eine Begründung zugekommen, die wir auszugsweise dokumentieren.X2
X"Die PDS ist nicht mehr unsere Partei

Nach vielen Frustrationen und reichlich Überlegung haben wir uns entschlossen, die PDS zu verlassen, da wir in ihr und mit ihr keine Zukunft für soziale Befreiung sehen. Unabhängig davon erachten wir sie — weniger auf lokaler und regionaler als auf Bundesebene — weiter als einen wichtigen Bezugspunkt — durchaus auch im negativen Sinne —, dessen fortschreitende und letztlich nicht aufzuhaltende Anpassung an den bürgerlichen Mainstream die Linke nicht unberührt lassen sollte.
Wir mussten in den vergangenen Jahren die Erfahrungen machen, dass die PDS v.a. eine Veranstaltung ist, die sich um sich selbst dreht, die den überwiegenden Teil ihrer materiellen und personellen Ressourcen in Wahlkämpfe und Parlamentarismus steckt, in Arbeitsfelder mithin, die nur einen sehr begrenzten Wert für soziale Bewegungen haben. Laut dem immer noch gültigen Parteiprogramm spielen diese Bewegungen für sozialistische Politik zwar eine herausragende Rolle, in der Praxis der Partei ist dies aber längst in Vergessenheit geraten.
Ein besonders krasses Beispiel dieser bornierten Wahlkämpferei war 99/00 in Schleswig- Holstein zu beobachten, deren Ergebnis zu allem Überfluss im Anschluss auch noch als Erfolg hochgejubelt wurde.
Diese Entwicklung hat uns nicht überrascht. Jedoch hatten wir zumindest die Hoffnung, dass sich in den parteiinternen Auseinandersetzungen zumindest die Sozialisten zu einer handlungsfähigen Strömung formieren würden, d.h. all jene, die nicht in der Bundesrepublik ankommen wollen, sondern sich noch daran erinnern, dass Sozialismus nicht mehr und nicht weniger heißt, als das Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und den Sturz aller Zustände, in denen dieser ein geknechtetes, sich selbst entfremdetes Wesen ist.
Die Gründe dafür, dass dies offensichtlich nicht möglich ist, sind vielfältig und u.a. in der diskursfeindlichen Kultur der PDS zu suchen. In der Praxis führt das Fehlen einer entsprechenden Strömung dazu, dass Linke, die sich dem Anpassungsdruck der Parteiführung widersetzen, Gefahr laufen, sich an den innerparteilichen Auseinandersetzungen aufzureiben, ohne dass dabei für die Zukunft der sozialistischen Bewegung ein Nutzen zu erkennen wäre. Das Wenige, das von Einzelnen aus der PDS heraus für soziale Bewegung geleistet werden kann, steht in keinem Verhältnis zu dem Aufwand, der betrieben werden muss im Kampf gegen die tausend von der koalitionswütigen Parteiführung aufgestellten Windmühlen und Gummiwände.
Zu diesen vielfältigen Gummiwänden, gegen die wir in der PDS immer wieder haben anrennen müssen, gehört ein unsäglicher Parteifetischismus, der sich zudem bei manchem Mitglied in Schleswig-Holstein mit einer jämmerlichen Versessenheit auf Posten und Pöstchen paart. Politisches Eingreifen wird von den meisten lediglich unter dem Aspekt diskutiert, wie sich die PDS am besten profilieren kann. Überlegungen, wie soziale Bewegungen zu stärken wären, und dass dies für Sozialisten, die die Selbstorganisation der Gesellschaft anstreben, ein Wert an sich sein müsste, sind hingegen den allermeisten Mitgliedern vollkommen fremd. So genommen erscheint denn die Schwäche des hiesigen Landesverbandes auch eher als Segen, da andernfalls davon auszugehen wäre, dass mit einem derartigen Politikverständnis Bewegungen gnadenlos instrumentalisiert und majorisiert würden.

[...]

Kiel, im Oktober 2000

Horst Gripp, Marko Kampmann, Axel Lachnit, Jörg Meyer, Wolfgang Pomrehn, Christoph Schaumann"

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