Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 09.11.2000, Seite 14

‘Der Bär schaut seinen Ziesemann nie ohne stille Demut an‘

(Robert Gernhardt)

Da Weihnachten und Ostern, Zucker- und Opferfest partout nicht auf einen Tag fallen wollen, mussten die Vereinten Nationen, genauer UN Vienna ein wenig nachhelfen. Sie erklärten den 4.November — oder war‘s der 3.? — zum ersten Men‘s World Day. Eine tolle Sache, "eine globale Initiative der Stadt Wien, der UN Vienna, der Gorbatschow-Stiftung und Medical Connection mit sozialen, humanitären und karitativen Zielen, aber auch mit dem Bestreben, das Gesundheitsbewusstsein der Männer global zu verändern".
Sozial, global und humanitär — da fehlt nur noch irgendwas mit Freiheit oder liberal, um überall auf Begeisterung zu stoßen. Aber für eine Zwangsneurose namens Weltmännertag ist das vielleicht zu viel des Guten.
Jetzt warten wir nur noch auf einen Welttag des Geldes — es böte sich an: UN Geneva in Zusammenarbeit mit der George-Soros-Stiftung — damit allen Göttern der Neuzeit ihr Dienst geleistet wird.
Der "Gesamtorganisator des Men‘s World Day", Herr Georg Kindel, Telefon 0043- 676-4445044, und sein Mitinitiator Prof. Dr. Siegfried Meryn haben in der Wiener Hofburg eine famose Festveranstaltung auf die Beine gestellt und die "World Awards 2000" verliehen. Frisch gestärkt von seinem 0,7%-Wahltriumph in der russischen Realpolitik durfte Michail Sergejewitsch sein Urbi et Gorbi an echte Helden der Männerwelt vergeben:
Den "World Tolerance Award" erhielt Simon Wiesenthal, was diesen zu mannhaften Worten trieb: "Es gibt keine Freiheit ohne Gerechtigkeit. Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Wahrheit."
Den "World Health Award" erhielt Christiaan Barnard, der dem Männertag angemessen resümierte: "Was wir sind, und dass wir auf unsere Gesundheit schauen, verdanken wir unseren Frauen. Lassen Sie uns künftig noch mehr auf sie hören."
Den "World Social Award" erhielt José Carreras, weil er nach seiner Leukämie gesund geworden ist, und den "World Achievement Award" sackte Maximilian Schell ein, weil er nach einer gesunden Schauspielerkarriere krank geworden war.
Er setzte dem Abend eine schöne Krone auf: "Wer so krank war wie ich, versteht, wie wichtig dieser Preis ist. Ohne die Gesundheit sind wir alle nichts." Und dann soll Pia Douwes, ein "Star" aus Amsterdam, das Lied "Ich gehör nur mir" gesungen haben.
Im Abschlusskommunikee der Veranstaltung wird‘s dann echt kindelisch: "Dies war ein erster Schritt, doch es ist zu wenig, nur an einem Tag des Jahres die Ziele des Men‘s World Day zu verfolgen. Gemeinsam mit Präsident (!?!) Gorbatschow haben wir beschlossen, diese Aufgabe mit internationalen Partnern auf 365 Tage im Jahr auszudehnen."
Bleibt denn gar nichts mehr für die Frauen übrig? Kein kleiner Preis der herrschenden Klasse an ihr Küchenpersonal? Wenigstens ein medialer Klaps auf den Popo, der zeigt wo‘s langgeht?
Doch — beinahe haben wir es vergessen. Nicht die UNO, aber die UMU liebt Christine Scheel.
Die "Union Mittelständischer Unternehmen" — bei ihrer Gründung hieß es noch "Unternehmer" — hat ihren "Mittelstandspreis 2000" (Middle Classes Award) an die grüne Bundestagsabgeordnete verliehen. In der Männerwelt (Men‘s World) gibt es bekanntlich Linksträger, Rechtsträger und — wie man sieht auch den Mittelstand. Und der bedankt sich bei Frau Scheel für ihre unermüdliche Arbeit zugunsten von Steuersenkungen für die Reichen. "Gute Kapitalkontakte zahlen sich aus" — kommentierte die Presse.
Frau Scheel ist "die erste Frau", die diesen Preis erhält und sie folgt in der Preisträgerliste solch strammen Mannsbildern wie Edmund Stoiber und Gerhard Schröder.
Für ihre Dankesrede kann sich Frau Scheel bei ihrer früheren Parteichefin Gunda Röstel bedienen. Sie hat ihren Wechsel zur Grüßaugusta beim Energiekonzern EON mit dem offenen Bekenntnis zum Gagaismus erklärt, dass sie nach jahrelangem Kampf gegen die Castor-Transporte eine gute Berechtigung hätte, es jetzt mal von der anderen Seite zu versuchen.
Beenden wir die Groteske, wie wir sie begonnen haben, mit Robert Gernhardt:
"‚Viel schon ist getan, | mehr noch bleibt zu tun‘, | sprach der Wasserhahn | zu dem Wasserhuhn."

Thies Gleiss

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