Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 23.11.2000, Seite 4

ATTAC BRD

Netzwerk oder Organisation?

Eher enttäuschend fiel der dritte Ratschlag des "Netzwerks zur demokratischen Kontrolle der internationalen Finanzmärkte" aus, der am 17./18.November in Frankfurt stattfand. Waren auf den ersten beiden bundesweiten Treffen über hundert Leute zusammengekommen, nahmen diesmal knapp sechzig Personen teil, von denen die Jüngeren deutlich in der Minderzahl waren. Vertreten waren die dem Netzwerk angeschlossenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) — WEED, Share, Kairos, Pax Christi, Südwind, medico international, Informationsstelle Lateinamerika, BLUE 21 —, vereinzelte Umwelt- und FriedensaktivistInnen, GewerkschafterInnen sowie Mitglieder der Regionalgruppen Hamburg, Berlin und Rhein-Main. Per Akklamation wurde beschlossen, auch im Namen Bezug auf die internationale ATTAC-Bewegung zu nehmen: das Netzwerk firmiert künftig als "ATTAC BRD".
Damit ist das Gefälle zwischen der deutschen und den übrigen Sektionen in Europa, aber auch in Nord- und Südamerika nicht überwunden. Während sich ATTAC international zu einer sozialen Bewegung auswächst, die jeweils landesweit kampagnenfähig und in lokalen Gruppen verankert ist, ist ATTAC BRD bis jetzt eine NGO-Koalition. Dass dies nicht allein an der späten Gründung hängt, wurde im Bericht eines Vertreters von ATTAC Schweden offenbar. Obwohl die schwedische Sektion erst im Januar 2001 offiziell an die Öffentlichkeit treten wird, sind jetzt bereits 18 Ortsgruppen mit rund 2000 Mitgliedern entstanden. In diesen — und das ist der wesentliche Unterschied zu Deutschland — arbeiten AktivistInnen sämtlicher linker Organisationen mit Vertretern der Sozialdemokratie, der Grünen, der Gewerkschaften, der Kirchen und der NGO-Szene zusammen. Wie in Frankreich ist auch in Schweden die individuelle Mitarbeit in der lokalen Gruppe Grundlage des Organisierungsprozesses.
Den Übergang von der Netzwerkstruktur zu einer Föderation eigenständiger Regionalgruppen wünschten sich auch mehrere Teilnehmende des Frankfurter Ratschlags. Tatsächlich dürfte sich an dieser Stelle entscheiden, was aus ATTAC BRD werden kann. Das ein entsprechender Versuch nicht chancenlos ist, hatte sich am letzten Oktober- Wochenende gezeigt, als sich ebenfalls in Frankfurt achtzig Leute zur Gründung der Regionalgruppe Rhein Main zusammenfanden. Die Gründung weiterer Gruppen wird vorbereitet.
Ob dieser Prozess Dynamik gewinnt, hängt auch an der inhaltlichen Profilierung. Zu den klassischen ATTAC-Forderungen nach Besteuerung der internationalen Finanztransaktionen ("Tobin-Steuer"), Schließung der Off- Shore-Zentren und Schuldenstreichung für die Länder des Südens tritt jetzt der Widerstand gegen die rotgrüne Rentenreform.
Hier sucht das Netzwerk den Brückenschlag zu den Gewerkschaften, vor allem zur Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU). Deren Gegenkonzept, das im Kern die Erhaltung des umlagefinanzierten Solidarsystems durch Ausdehnung der Beitragspflicht auf alle hier lebenden Menschen vorsieht, fand auf dem Ratschlag breite Unterstützung; eine konsequent durchgeführte Kampagne könnte ATTAC BRD zu einem Knotenpunkt sozialer Opposition machen.
Zum Scheitern verurteilt wäre das Projekt ATTAC allerdings, wenn es sich auf die Positionen beschränken würde, die Sozialdemokraten, Grüne und Gewerkschaftsführung in ihrer Rechtsentwicklung gerade geräumt haben. Nachgerade gefährlich waren deshalb mehrfach eingebrachte Vorschläge, sich an der Rest"linken" in der SPD zu orientieren. Natürlich kann und muss ATTAC gerade in dieses Milieu intervenieren: aber doch nicht so, dass man sich dem "Frankfurter Kreis" als außerpalamentarische Plattform andient.
Dass hier andere Optionen offenstehen, zeigte sich auf der informellen Zusammenkunft von Mitgliedern des Netzwerks mit dem zeitgleich in Frankfurt tagenden Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft des Bundeskongresses entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO). Dieser hatte die Gründungserklärung des Netzwerks als staatsfromm verworfen und darauf insistiert, dass eine auf die Finanzmärkte reduzierte Kapitalismuskritik leicht in die Parteinahme für das "ehrliche" und "schaffende" Produktivkapital umschlagen könne.
Im direkten Dialog konnten Missverständnisse ausgeräumt und bleibende Differenzen umgrenzt werden — ein Klärungsprozess, der im nächsten Jahr in einer breiteren Diskussion vertieft werden soll. Mit von der Partie waren dabei auch AktivistInnen eines ganz anderen und deutlich jüngeren Netzwerks — der People‘s Global Action (PGA), eines weitverzweigten internationalen Bündnisses, das nicht nur in Seattle und Prag durch direkte Aktionen auf sich aufmerksam gemacht hat. In dieser Konstellation deuten sich Möglichkeiten an, die auszuloten sich lohnen könnte. Die Liste dessen, was zur "demokratischen Kontrolle (nicht nur) der Finanzmärkte" gehört, wird dann bedeutend zu erweitern sein.

Thomas Seibert

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