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Die Notwendigkeit der Veränderung gewerkschaftlicher Organisation und der gewerkschaftspolitischen Reaktion auf
neue Entwicklungen in der kapitalistischen Organisation der abhängigen Arbeit ist unbestritten. Dass es mit den DGB-Gewerkschaften, die seit 1993
nach der Gewerkschaftseuphorie des Anschlusses der DDR erhebliche Mitgliederverluste zu verzeichnen haben, in der herkömmlichen
Weise nicht weitergehen kann sowohl organisatorisch wie politisch ist fast allen Beteiligten klar.
Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis, ver.di als strategische Antwort der
Gewerkschaften auf die zunehmende Bedeutung des Dienstleistungssektors in modernen kapitalistischen Gesellschaften zu sehen. Diese Interpretation ist
zweifach falsch.
Erstens gibt es keine strategisch angelegten Diskurse über die angemessene Reaktion
der Gewerkschaften auf die Dominanz von "shareholder value" und das steigende Gewicht von "new economy". Zweitens basiert
ver.di nach wie vor auf zwei pragmatischen Entscheidungen.
Es geht um die Aufnahme der DAG in den Kreis der DGB-Gewerkschaften. Dabei muss
wegen des großen Organisationsspektrums der DAG das "Auffangbecken" der beteiligten DGB-Gewerkschaften relativ groß sein,
um die Konkurrenz mit den Industriegewerkschaften im DGB in Grenzen zu halten.
Die Abgrenzungsgespräche mit IG Metall und IG BCE verliefen zwar zunächst
erfolgreich, aber außerordentlich schwierig. Zugleich benötigen mindestens IG Medien und HBV eine breitere finanzielle Grundlage für die
Fortführung ihrer Interessenvertretung und Politik. So gesehen, entwickelt sich ver.di auch zu einem Projekt der Bestandssicherung gewerkschaftlicher
Handlungsfähigkeit.
Von den Versuchen, einer dem modernen Kapitalismus angemessenen Neudefinition
gewerkschaftlicher Politik oder einer neuen strategischen Ausrichtung ist im bisherigen Fusionsprozess sehr wenig zu spüren. Diese notwendige
"Politisierung" gewerkschaftlicher Interessenvertretung ist aber nur aufgeschoben. Sie wird den beteiligten Gewerkschaften aber aufgezwungen,
sowohl durch die faktische ökonomische Entwicklung, wie die Politik der Bundesregierung.
Die "Matrixorganisation" von ver.di wird eine Quelle ständiger Konflikte
sein. 13 vertikal aufgebaute Fachbereiche vermischen sich mit drei horizontalen, oder territorialen Ebenen: Bund, Landesbezirke und Bezirke. Um die
politische und finanzielle Teilautonomie der Fachbereiche gegenüber den Ebenen zu sichern, wurde ein kompliziertes und
überbürokratisches System von Konfliktlösungsmechanismen und zugleich geradezu bizarre Regeln der Verteilung der finanziellen Mittel
(= Budgetierungsrichtlinien) durchgesetzt.
In der Tendenz bedeutet das die weitere Bürokratisierung und
Verselbständigung des hauptamtlichen Gewerkschaftsapparates. Alle Leitungspositionen werden dabei von oben, nach einer dem Mitgliedsanteilen
entsprechenden "Gewerkschaftsquote", besetzt und für rund sechs Jahre werden Wahlen zur Bestimmung der Führungsfunktionen
ausgesetzt. Dahinter steht die Angst der kleineren Gewerkschaften bei demokratischen Verfahren durch ein mögliches Bündnis von ÖTV
und DAG schrittweise marginalisiert zu werden.
Wie auch bei anderen Fusionen sind die Erfolgsaussichten dieses Prozesses völlig
offen. Mit Sicherheit wird es bei der Umsetzung der Fusion Austritte von Mitgliedern geben. Wird an dem jetzt festgelegten starren Budgetierungsschema
festgehalten, wird der interne Kampf um die Zuweisung von Fachbereichen in die Ebenen, im Kern der Kampf um Geld, die notwendigen politischen
Entwicklungsprozesse blockieren.
Die Chancen für den Erfolg von ver.di hängen davon ab, ob es gelingt, dass die
13 Fachbereiche, deren Abgrenzung z.T. unbegründet ist, politisch und organisatorisch möglichst rasch zusammenwachsen und das im Prozess
erzeugte, manchmal schon feindliche Gegeneinander der Gewerkschaften auf lokaler und regionaler Ebene aufgelöst wird. Dafür gibt es,
ausgelöst durch die unsoziale Politik der Bundesregierung durchaus Chancen.
Das persönliche Scheitern von Herbert Mai im ver.di-Prozess signalisiert auch die
grundsätzliche Beschränktheit eines rein technokratischen Verständnisses von Gewerkschaftsfusionen. Seine Nichtkandidatur für
den ÖTV-Vorsitz hat die Chancen der Fusion deutlich erhöht.
Michael Wendl
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