Sozialistische Zeitung |
kljlk"Ja, ich bin sehr gut zurückgekommen … reich beladen gleich einer Batterie … mit vielen positiven und
negativen Impulsen. Sicherlich aber reich an Begegnungen … Ja, die starken Frauen auch sie haben mich beeindruckt besonders aus dem
Süden." Das schrieb mir Anna, eine neu gewonnene Freundin aus Brasilien. Und Sonja aus Deutschland: "Für mich waren sowohl
die wissenschaftlichen, als auch die persönlichen Erfahrungen, die ich dort sammeln konnte von außerordentlicher Bedeutung. Zurück in T.
wird mir die Dichte von Informationen und Erfahrungen erst noch mal richtig klar."
Die Internationale Frauenuniversität "Technik und Kultur" (ifu) fand vom
15.Juli 2000 bis 15.Oktober 2000 am Rande der Expo statt. An fast hundert Tagen wurde in sechs Projektbereichen gelehrt, diskutiert und geforscht:
Migration, Körper, Wasser, Stadt, Information und Arbeit.
Mehr als 900 Teilnehmerinnen aus 115 Ländern, gut die Hälfte von ihnen aus
Afrika und Asien, konnten drei Monate lang an der Internationalen Frauenuniversität mitarbeiten. Zwischen 21 und 61 Jahren alt, hatten alle mindestens
einen Bachelorabschluss und verfügen über gute Englischkenntnisse. Manche waren bereits fest im Beruf verankert, andere kamen aus
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und wieder andere suchten noch.
Räumlich war die Internationale Frauenuniversität über vier
Universitäten verteilt: Die Projektbereiche Arbeit, Körper und Migration waren an der Universität Hannover angesiedelt, Wasser an der
Fachhochschule Suderburg (bei Uelzen), Information an der Universität Hamburg, Stadt an der Gesamthochschule Kassel.
Das Professorinnenkollegium von 230 Dozentinnen war ebenfalls international es
kam aus vierzig Ländern. Jeder Projektbereich wurde von einer deutschen und einer ausländischen Dekanin, einigen Eckprofessorinnen und
zahlreichen Tutorinnen während des ganzen Zeitraumes betreut. Für alle technischen, organisatorischen und auch persönlichen Fragen
stand ein Servicecenter zur Verfügung.
Das Projekt hat ungefähr 18 Millionen Mark gekostet. Finanziert wurde es zu einem
Drittel vom Bundesbildungsministerium, 5 Millionen kamen vom Land Niedersachsen, der Rest vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), dem
Land Hamburg, diversen Stiftungen, darunter. Hans-Böckler-Stiftung und Friedrich-Ebert-Stiftung, sowie Kommunen und Sponsoren. Die Expo gab
eine halbe Million Mark und vierzig Freikarten für den Besuch derselben. Dafür schmückte sie sich mit dem Projekt und benützte es
als feministisches Aushängeschild.
Die Vorgeschichte
Mindestens seit dem Beginn der "neuen" Frauenbewegung, also seit ungefähr dreißig Jahren, diskutieren Frauen über
die Veränderung der bestehenden Hochschule und Wissenschaft. Im Jahre 1990 hat eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Politikerinnen, der ich
auch angehörte, die Broschüre Hat die Technik ein Geschlecht? verfasst.
Einer von vielen Vorschlägen, die in der Broschüre gemacht wurden, war die
"Technische Hochschule von Frauen". Sie sollte den Auftrag erhalten, für das Leben und den Frieden da zu sein. Keine Mark, so hieß
es damals, kein Gedanke, kein Experiment sollte der zerstörerischen Innovationskraft des Militärs dienen. Kein anderer Vorschlag wurde an so
vielen Orten und so ausführlich diskutiert wie der Vorschlag der Frauenuniversität. Zahlreiche Gruppen innerhalb und außerhalb von
Hochschulen entwickelten bereits ähnliche Ideen.
1994 veröffentlichte eine von der damaligen niedersächsischen
Wissenschaftsministerin Helga Schuchardt berufene Frauenforschungskommission einen Bericht, in dem unter Verweis auf die immer wieder auszutarierende
Balance der Wissenschaft von und für Frauen zwischen "Tradition und Traditionsbruch" eine Frauenuniversität als Reformexperiment
gefordert wurde. Am Rande der Arbeit dieser Kommission entstand die Idee, während der Zeit der Expo 2000 in Hannover eine Frauenuniversität
durchzuführen.
Als ich im Februar 1998 zusammen mit anderen Frauenforscherinnen mit internationalen
Kontakten zu einer Findungskommission eingeladen wurde, war ich zunächst zurückhaltend. Sollte ich mir noch mehr Arbeit aufhalsen? Ein
Pausengespräch mit Regina Becker-Schmidt, der späteren Dekanin, überzeugte mich schließlich, dass wir gemeinsam den Aufbau der
Curriculumarbeitsgruppe (CAG) Arbeit vorantreiben sollten. Wir forschten im In- und Ausland nach Kolleginnen, die mit dem Thema
"Frauenarbeit" vertraut waren, für eine Kooperation in der CAG.
Schließlich waren wir sechs Wissenschaftlerinnen aus West-, Mittel- und Osteuropa
unser Forschungsschwerpunkt zum Thema , eine Koordinatorin und eine Vertreterin des Vorstands der Internationalen
Frauenuniversität. Es folgte eine fast zweijährige solidarische Zusammenarbeit, wie ich sie selten erlebt hatte. Nach eineinhalb Jahren stand das
Curriculum. Es bestand aus acht Themenblöcken, von der Sozialgeschichte der Frauenarbeit über theoretische Begriffsklärungen, Frauen in
beruflichen Männerdomänen, Globalisierungsprozessen, Transformation unter der Perspektive "Geschlecht und Arbeit" bis hin zum
Thema "Zukunft der Arbeit".
Was hat die Frauen fasziniert?
Immer wieder fanden die Teilnehmerinnen Gemeinsamkeiten oder auch Aha-Erlebnisse: Manche Südafrikanerin stellte erst in der Diskussion
mit Frauen aus Westeuropa fest, dass im Norden auch nicht alles wunderbar ist, dass es auch da Erwerbslosigkeit, Armut und Gewalt gibt.
Es waren nicht nur die Vorlesungen. An den Nachmittagen bestand die Möglichkeit,
in durch Tutorinnen und Dozentinnen angeleitete Arbeitsgruppen die Inhalte weiter zu diskutieren und zu vertiefen bzw. über die je eigene
Forschungsarbeit zu reflektieren. Alleine oder in Gruppen wurden Forschungsprojekte erarbeitet und an den letzten Tagen der Frauenuniversität
präsentiert.
Die Qualität der Präsentationen und das Engagement der Teilnehmerinnen
waren außerordentlich. Eine Veröffentlichung der Ergebnisse würde sich lohnen. Wann sonst besteht die Möglichkeit, Frauen aus
allen Kontinenten mit ihren Vorstellungen und innovativen Ideen an einem Platz zu haben?
Zahlreiche, auch von den Studentinnen selbst organisierte politische Veranstaltungen
begleiteten das Lehrprogramm. Etliche Teilnehmerinnen fuhren Ende September nach Prag, um gemeinsam mit Menschen aus sozialen Bewegungen,
gewerkschaftlichen Initiativen, antirassistischen Netzwerken und anderen Gruppen gegen die Politik von IWF, Weltbank und WTO zu demonstrieren.
Bemerkenswert war auch der Workshop for intercultural exchange of demonstration slogans
and protest songs and for painting banners for the demonstration, der anlässlich des Open Space am 29.September 2000 stattgefunden hat. Er diente als
Vorbereitung für die Antirassismusdemonstration für und mit Ifu-Studentinnen am 3.Oktober 2000, dem "Tag der deutschen Einheit",
den zu feiern niemand einen Grund sah. Stattdessen wollten die Frauen auf den Rassismus in der "Dominanzkultur" aufmerksam machen und
zeigen, dass Frauen aus aller Welt sich einmischen und sich nicht alles gefallen lassen.
Negative Erlebnisse?
Eine Frauenuniversität in eine traditionell patriarchalisch organisierte Hochschullandschaft zu setzen, erfordert Mut, erfordert, vorgegebene
Pfade zu verlassen, und erfordert die Fähigkeit, auch Kritik aufzunehmen und zu ertragen. Manche es waren eher Frauen aus dem Norden
fanden, das Thema "Lesben" würde vernachlässigt.
Frauen aus dem Süden fanden, dass die Schwerpunktsetzung im Bereich
"Arbeit" an ihren Arbeitsbedingungen im Süden vorbeigeht. Wohlfahrtsstaat, "Normalarbeitsverhältnis" und staatliche
Sicherungssysteme kannten sie in ihrem Land nicht. Andere zogen Vergleiche, berichteten von ihren eigenen Erfahrungen und aus ihren Forschungen. Allen
wurde deutlich, dass Transformationen der Arbeit in erster Linie dazu benutzt werden, Frauen an die ihnen scheinbar zukommenden Orte zu verweisen.
Hartnäckig hielt sich der Vorwurf, wir würden eine Eliteuniversität
fördern. Vor allem die hohen Studiengebühren wurden kritisiert. Freilich gibt es nach wie vor Länder, in denen fast ausschließlich
Töchter aus "gehobenen Schichten" Zugang zur Universität haben. Daran kann eine ifu zunächst nichts ändern. Die
Studiengebühren waren ganz offensichtlich für ein postgraduales Studium nicht zu umgehen.
Die vielen Stipendien, die wir eingeworben haben, machten es möglich, dass keine
Frau aus finanziellen Gründen ausgeschlossen werden musste. Schließlich wurden für 60% aller Teilnehmerinnen Stipendien besorgt.
Zudem war das Projekt so angelegt, dass zwölf Selbstzahlerinnen eine Frau aus den armen Ländern Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und
Osteuropas finanzierten.
Viele Frauen machten Erfahrungen mit Frauen aus anderen Ländern und Kulturen, die
ihnen ohne die ifu verstellt gewesen wären. Dass in der Bundesrepublik Deutschland neofaschistische und fremdenfeindliche Anschläge
eskalierten, erfüllte uns mit Zorn und Wut. Auch die scheinbar zur weltoffenen Stadt gewordene Expo-Stadt Hannover machte keine Ausnahme:
"Ich habe gelernt, mit meinem Kopftuch sehe ich aus, wie eine Türkin, und Türkinnen mögen die Deutschen nicht", so eine
Kollegin aus dem Sudan. Sie wollte aufgrund ihrer Erfahrungen nach Einbruch der Dunkelheit das Haus nicht mehr verlassen.
Die ifu war von vornherein als einmaliges Projekt auf Zeit angelegt. Ob das Projekt mit der
Verabschiedung der Teilnehmerinnen und den großen und kleinen Abschiedsparties nun zu Ende ist, ist unklar. Noch weiß niemand, wie es
weiter gehen wird. Und niemand weiß, wer ein Anschlussprojekt finanzieren wird. Jedenfalls haben sich Teilnehmerinnen, Tutorinnen und Dozentinnen
vernetzt, Adressen ausgetauscht, Broschüren mit Anschriften und Arbeitsschwerpunkten verteilt und in die virtuelle ifu, abgekürzt: vifu,
eingebracht.
Gisela Notz
Die Adresse der virtuellen Internationalen Frauenuniversität lautet:
www.vifu.de.
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