Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 23.11.2000, Seite 8

Jenaer Ratschlag

Mehr Aktion, weniger Philosophie

"Die Einheit gibt uns die Kraft zur Veränderung der Verhältnisse."

Die Friedrich-Schiller-Universität in Jena bot am Samstag, dem 4.November, den Rahmen für den 10.Antifaschistischen und Antirassistischen Ratschlag, der unter der Schirmherrschaft des Thüringer DGB stand. "Eine Zusammenkunft mehr", um eine Bestandaufnahme zu machen und auszuloten, wie aktiver Widerstand geleistet werden kann. Die sehr repräsentative Zusammensetzung der Beteiligten sorgte für Debatten auf hohem Niveau — trotz der verbleibenden Zweifel über die Standhaftigkeit der einen und anderen.
Um 10 Uhr begann der Ratschlag mit einer Straßendemonstration von ca. 300 Leuten, eingerahmt von wehrhaften Polizeikräften. Die Demonstrierenden skandierten lautstark Parolen gegen die "Komplizenschaft der Polizei bei neofaschistischen Angriffen". Sie wandten sich damit sowohl gegen die gewalttätigen Angriffe der Nazis wie auch gegen die Rolle der Polizei und der staatlichen Behörden. Die AnwohnerInnen schien dies nicht zu schockieren, sie sind wohl an diese Sorte von Demonstrationen gewöhnt. Die Demo schloss mit einer Abschlusskundgebung.
Bei der Auftaktveranstaltung des Ratschlags gab der Streit zwischen den beiden Hauptrednern den Ton an: Die Journalistin Erika Fischer und ihr Kritiker, Franz Schandl aus Wien, stritten sich um den Wert der Demokratie im antifaschistischen Kampf. Fischer meint, dass die Demokratie der Ausgrenzung entgegenarbeitet, Schandl macht gerade die Demokratie für den Aufschwung der Rechtsextremisten verantwortlich. Glücklicherweise setzte der Beginn der zehn Arbeitsgruppen der Auseinandersetzung ein Ende, die in einen Zank auszuarten drohte. Die Zahl 10 sollte zweifellos für die zehnte Durchführung dieses Ratschlags stehen.
Die Diskussion in den Arbeitsgruppen verlief in einem konstruktiven Klima, trotz der kurz bemessenen Zeit. Auch trotz der allzu philosophischen Wendung, die diese Sorte von Beratungen oft nimmt. Wo man doch konkrete Beschlüsse über Aktionen vor Ort bräuchte! Darauf wartete man dann ungeduldig auf der abschließenden Plenumssitzung.
Nach der Vorstellung der Berichte aus den Arbeitsgruppen konnten sich die anwesenden Gewerkschafter, Parteienvertreter (auch der PDS, die jedoch in den Institutionen zu wenig Gewicht hat), antifaschistischen und antirassistischen Gruppen und Flüchtlinge auf ein gemeinsames Urteil einigen: Die Regierungen und die Institutionen trifft eine hohe Verantwortung für den Wiederaufschwung des Rechtsextremismus und der Intoleranz. Das muss offen angeprangert und der Widerstand unterstützt werden. Wie Osaren Igbinoba, der Koordinator von The Voice, erklärte: "Der Widerstand muss von unten, nicht von oben kommen." Mit "unten" sind natürlich die MigrantInnen, Flüchtlinge, kurz: die Ausgeschlossenen gemeint. In dieser gemeinsamen Überzeugung gingen die Teilnehmenden am Abend auseinander und verabredeten sich zu einem Seminar über Flüchtlinge in der Sozialhilfe, das vom 1. bis 3.Dezember im nordthüringischen Hütten stattfinden soll. Einmal mehr wird es vom DGB-Bildungswerk Thüringen mit Unterstützung des Flüchtlingsrats organisiert.
Die Gewerkschaften versuchen dort zu helfen, wo die Parteien versagen. Das ist sehr ermutigend und ein gutes Omen für das Motto, unter dem der 10.Antifaschistische Ratschlag stand: "Wehret den Zuständen!"

Venant Adoville Saague

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