Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 23.11.2000, Seite 11

Weltfrauenmarsch 2000

Grundstein für eine neue Frauenbewegung

Begleitet von Liedern und dem Skandieren von Losungen demonstrierten Frauen in der zweiten und dritten Oktoberwoche in 159 Ländern der Welt. Der Weltmarsch der Frauen gegen Armut und Gewalt war ein riesiger Erfolg — obgleich die Medien ihn fast überall ignorierten.
Am 15.Oktober demonstrierten 20000 Frauen in Washington, darunter auch 2000 Frauen und Männer aus Ländern außerhalb der USA. In New York zogen etwa 10000 Frauen und Männer vor den Palast der Vereinten Nationen und von dort zum Union Square. Es waren Frauen aus fast 100 Ländern gekommen. Auffallend darunter eine große Delegation aus Europa, die noch beflügelt war vom Erfolg des Europäischen Frauenmarsches, der am 14.Oktober in Brüssel mit einer Demonstration von über 35000 Frauen zu Ende gegangen war. Aus Mexiko waren 250 Frauen in einem Autokonvoi nach New York gekommen, der sich von Chiapas aus in Bewegung gesetzt hatte. 50 Frauen waren aus Japan da, außerdem Frauengruppen aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten sowie Indìgenas.
Die Zusammensetzung der Demonstration war Ausdruck sowohl der Kontinuität der Frauenbefreiungsbewegungen der 70er Jahre wie auch der neuen Generationen junger Frauen, die gegen Armut und Gewalt kämpfen. Diese verstehen sich als Teil der Mobilisierungen gegen die neoliberale Globalisierung, die in Seattle, Washington, Melbourne und Prag auf die Straßen gegangen war. Der Weltfrauenmarsch konzentrierte sich folgerichtig auf die Auswirkungen, die diese Globalisierung auf die Frauen hat.
Der Weltfrauenmarsch 2000 zeichnete sich durch zwei neue Merkmale aus:
1. er formulierte eine radikale Kritik an der neoliberalen Globalisierung und eine antipatriarchale Plattform;
2. die meisten Beteiligten waren seit vier Jahren dabei und aktiv an der Organisation beteiligt; so konnten in jedem Land parallel zum Marsch in New York Aktionen organisiert werden.
Der Weltfrauenmarsch 2000 spitzte die Plattform auf das "weibliche Antlitz der Armut" zu. Die Plattform fordert die Abschaffung der Schulden der Dritten Welt und die Ablehnung der Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank. Sie stellt eine Verbindung zwischen Armut und Gewalt gegen Frauen her; sie beschreibt, wie auch in vielen reichen Ländern patriarchale Gesetze und politische Maßnahmen Frauen zu Menschen zweiter Klasse machen und somit die Gewalt, die Frauen erleben, verstärken und verstetigen. Der Weltmarsch der Frauen forderte von der UNO und ihren Mitgliedstaaten konkrete Maßnahmen zur Beseitigung der Armut und der verschiedenen Formen der Gewalt an Frauen. Er forderte, dass die Rechte aller Frauen ungeachtet ihrer Herkunft. ihrer sexuellen Orientierung, ihrer sozialen oder kulturellen Zugehörigkeit geachtet werden.
Damit ist zugleich auch eine Schwäche des Weltfrauenmarschs 2000 angesprochen. Seine Plattform war zwar radikal, die Strategie jedoch die der Lobbyaktivität gegenüber Regierungen und ihren verschiedenen Institutionen, national wie international. Dies hat mit dem Ursprung des Weltfrauenmarsches zu tun. Nach der UNO-Frauenkonferenz in Peking 1995 ergriff die Föderation der Frauen von Québec (FFQ) die Initiative und rief zu einem Weltfrauenmarsch auf. Wie andere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hatte die FFQ an der Parallelkonferenz der NGOs teilgenommen, die zeitgleich zur offiziellen Konferenz, aber am Rande von Peking stattgefunden hatte.
Der Schwerpunkt der Frauenföderation lag auf Lobbypolitik gegenüber den Regierungen; doch im Anschluss an den überraschend erfolgreichen Frauenmarsch "Brot und Rosen", der 1995 in Québec stattfand, befand sie, dass Regierungen eher auf öffentliche Aktionen denn auf privates Klinkenputzen reagieren; so verfasste sie den Aufruf zu einem Weltfrauenmarsch 2000. Die anfänglichen Kontakte und Trägerinnen waren die Frauen-NGOs, die in Peking gewesen waren. Der Aufruf richtete sich an die Institutionen: IWF, Weltbank und die nationalen Regierungen als die Ursache der Probleme. Sie sollten sich reformieren und Menschenrechte in ihre Gesetze aufnehmen, die Frauen vor Gewalt schützen und prompte Aktionen gegen Armut und ihre Auswirkungen auf Frauen und Kinder veranlassen.
Die FFQ respektierte jedoch den unterschiedlichen Umgang mit dem Aufruf in verschiedenen Ländern und trachtete nach demokratischen Verfahren. So konnte sie die Mittel für die Durchführung einer Konferenz 1998 in Montréal (Québec) auftreiben; hier wurde die Plattform weiterentwickelt. Der Schwerpunkt lag nun auf der Herausbildung nationaler Bündnisstrukturen zur Durchführung des Marsches in jedem Land sowie auf der Erarbeitung landesweiter wie internationaler Forderungen und Aktionen.
Die Konferenz motivierte viele Frauen, doch es gab einen Konflikt über die Art, wie Entscheidungen getroffen werden sollten: nach dem Konsensprinzip oder per Mehrheitsvotum? Streit gab es auch über die Frage, ob Forderungen nach Rechten für lesbische Frauen in die internationale Plattform integriert werden sollten, wenn dies dazu führte, dass viele Frauenorganisationen aus Ländern außerhalb der USA und Europa deswegen ihre Beteiligung absagten. Die Auseinandersetzung um die Repräsentativität und die manchmal bürokratische Arbeitsweise des Marsches beschäftigte ihn die Dauer seiner Vorbereitungen hindurch.
Der Druck der neoliberalen Globalisierung veranlasste dennoch viele Frauengruppen, sich am Marsch zu beteiligen:
aus der Ersten Welt beteiligten sich Frauen, die die Errungenschaften der 70er und 80er Jahre dahinschwinden sehen und sich gegen Einsparungen im Dienstleistungsbereich zur Wehr setzen müssen, die zu erhöhter Erwerbslosigkeit und Arbeitsbelstung für Frauen führen;
aus der Dritten Welt beteiligten sich Frauen, die Opfer der Strukturanpassungsprogramme des IWF und der Weltbank, insbesondere im Bereich der Bildung und der sozialen Dienstleistungen werden — mit der Folge, dass der öffentliche Gesundheitssektor fast vollständig abgebaut wird, Mütter- und Kindersterblichkeit massiv zunimmt, Seuchenkrankheiten wie Tuberkulose und Cholera, die als ausgerottet galten, zurückkehren;
aus Kriegsgebieten beteiligten sich Frauen, die Opfer der Gewalt feindlicher Soldaten wie auch in den Flüchtlingslagern wurden. Auf dem Frauenmarsch in New York sprachen sechs Frauen aus Afghanistan, Kolumbien, Kurdistan, Palästina, Rwanda und Jugoslawien mit bewegenden Worten über die verheerenden Auswirkungen der Kriege, vor allem für das Leben von Frauen und Kindern. Sie formulierten Anklagen gegen die Todesindustrie, die von Land zu Land zieht und Waffen und andere Vernichtungsmittel vertreibt.
Insgesamt arbeiteten Frauen aus 159 Ländern an dem Projekt Frauenmarsch. Sie sammelten fast fünf Millionen Unterschriften aus allen Teilen der Welt zur Unterstützung ihrer zwei zentralen Forderungen: Ausmerzung der Armut und der Gewalt gegen Frauen, und überreichten die Unterschriften der UNO.
Die begleitenden Aktionen in den einzelnen Ländern standen unter jeweils spezifischen Forderungen: sie reichten vom gesetzlichen Mindestlohn über bessere Förderung von Frauenzentren bis zur besseren Ausbildung für Mädchen usw.
Das Ergebnis der Aktionen liegt kaum in einer unmittelbaren Verbesserung der Lage der Frauen. Aber Frauen haben ihre Fähigkeit erkannt sich zusammenzuschließen, und sie haben Kraft aus der gemeinsamen Solidarität gezogen.
So wurde der Beschluss gefasst, das organisatorische Netzwerk, das zur Durchführung des Weltfrauenmarschs errichtet wurde, weiterzuführen. Nun soll Bilanz gezogen und Perspektiven für künftige Aktionen diskutiert werden. Sozialistisch-feministischen Strömungen fällt dabei die Aufgabe zu, die Plattform stärker in die Richtung einer antikapitalistischen Analyse zu entwickeln, über Lobbyaktionen hinauszugehen und ein gesundes Misstrauen in die Fähigkeit nationaler und internationaler Institutionen zu säen, Menschenrechte in ihr Gesetzeswerk aufzunehmen und sich selbst zu fortschrittlichen Strukturen zu reformieren.
Das Netzwerk muss auch breiter werden und in allen Ländern mehr Frauengruppen an der Basis ansprechen. Das wirft erneut die Frage nach wirklich repräsentativen Entscheidungsstrukturen auf.
Dennoch: Die Reaktivierung von Feministinnen der Generation der 70er und 80er Jahre und die Einbeziehung junger Frauen der "Seattle-Generation" bietet Anlass zur Hoffnung. Die jüngeren Frauen sind häufig spontan antikapitalistisch, weil sie in Opposition zur neoliberalen Globalisierung stehen; da sie aber auch die Errungenschaften der Frauenbewegung erlebt haben, sind sie spontan antipatriarchalisch eingestellt.
Das Wiederaufleben einer Frauenbefreiungsbewegung steht deshalb erneut auf der Tagesordnung. So bleibt die alte Losung aus den 70ern auch heute aktuell: "Keine Frauenbefreiung ohne sozialistische Revolution, keine sozialistische Revolution ohne Frauenbefreiung."

Susan Caldwell

Susan Caldwell ist in der kanadischen Frauenbewegung aktiv. Sie leitet zur Zeit das Internationale Institut für Forschung und Bildung (IIRE) in Amsterdam.



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