Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 23.11.2000, Seite 12

USA nach den Wahlen

Grüne Partei als Alternative?

Steve Bloom (New York) ist Mitglied der revolutionär-sozialistischen Organisation Solidarity. Mit ihm sprachen Eckart Thiel (Radio Lora) und Paul B. Kleiser über die Wahlen in den USA und deren Bedeutung für die US-amerikanische Linke. Das Interview wurde am 11.November 2000 geführt.

Nach wie vor ist der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA ungewiss. Ist es in Florida zu Unregelmäßigkeiten gekommen?

Steve Bloom: Solche Dinge gelten bei Wahlen in den USA als durchaus normal; immer wieder kommen Unregelmäßigkeiten vor. Das Besondere an der jetzigen Situation ist, dass beide Kandidaten so dicht beisammen liegen, dass ein paar tausend Stimmen in Florida wohl über den Wahlausgang entscheiden.

Man wundert sich immer wieder über das antiquierte Wahlsystem, denn es steht fest, dass Gore die Stimmenmehrheit der US- WählerInnen gewonnen hat.

Steve Bloom: Das Wahlsystem ist in der Tat veraltet. Es wurde mit der Verfassung vor über 200 Jahren geschaffen, um zu bestimmten Ausgleichsmechanismen zu kommen. Dabei kommt es ist höchst selten vor, dass ein Kandidat die Stimmenmehrheit bekommt und der andere die Mehrheit im "electoral college", also im Kollegium der Wahlmänner und -frauen. Zuletzt war das um das Jahr 1880 der Fall. Trotzdem hat es seither einige Wahlen gegeben, die sehr knapp ausgegangen sind. Alle kennen das Problem und viele wollen Abhilfe schaffen, doch es ist in den USA sehr schwierig, etwas zu ändern, was so sehr institutionalisiert ist.

Die politischen Unterschiede zwischen den beiden Kandidaten sind nicht besonders groß. Trotzdem hat sich die Konfrontation zwischen den beiden Lagern doch erheblich aufgeschaukelt. Haben die AmerikanerInnen die politischen Unterschiede wahrgenommen oder hat die "Performance" die größte Rolle gespielt?

Steve Bloom: Ich denke, die Wahrnehmung, dass es keine grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Kandidaten oder Parteien gibt, trifft ins Schwarze. Aber es wird natürlich überall behauptet, dass der Unterschied bedeutsam sei. Und viele Leute glauben auch an diese Beteuerungen, dass Gore weiter links steht, dass er mehr für die arbeitenden Menschen tun wird, während Bush eher den Reichen zugeneigt ist.
Viele Menschen haben ihre Stimme nach solchen vermeintlichen Unterschieden abgegeben. In Wirklichkeit sind die Unterschiede ziemlich klein. Die politische Diskussion in den USA ist in den letzten 25 Jahren fast kontinuierlich nach rechts gewandert. Die Linke stellt keine wirkliche Kraft dar, und so hat es für die Demokraten keine Notwendigkeit gegeben, mehr auf die Bedürfnisse der Arbeitenden einzugehen. Es reichte ihnen, dass sie die Unterstützung der Gewerkschaftsbürokraten behielten.
Als wir die Debatte über den Freihandel hatten, hat die Führung des Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO ein großes Geschrei veranstaltet, sie würden mit den Demokraten brechen, aber alle wussten, dass das nicht wirklich ihre Absicht war. Gore hat in keiner Frage den Gewerkschaften Zugeständnisse gemacht. Die in den Wahlen sichtbaren Unterschiede hängen also mit den Interessen der "politischen Mitte" zusammen, daher versucht jeder Kandidat, dem andern programmatisch ganz nahe zu sein, um eben diese Mitte für sich zu gewinnen.
Bush weiß, dass er immer die Stimmen des rechten Lagers bekommt, und Gore weiß, er kriegt die der meisten Linken, wenn man einmal davon absieht, dass bei dieser Wahl Ralph Nader für die Grünen angetreten ist. Die großen Parteien tun also so, als gäbe es große Unterschiede, in Wirklichkeit liegen sie nahe beieinander.

Es sieht im Moment so aus, als ob Nader verhindert hat, dass Gore Präsident wird. Hat Nader diese Möglichkeit einkalkuliert und war das im Sinne der Grünen?

Steve Bloom: Sollte Bush in Florida gewinnen, dann könnten die paar tausend Stimmen für Nader in Florida tatsächlich den Unterschied ausgemacht haben. Allerdings wären auch viele Leute, die jetzt für Nader gestimmt haben, ohne diese Kandidatur den Wahlen ferngeblieben. In diesem Sinn lässt sich wohl sagen, dass Nader den Wahlausgang bestimmt hat.

Hatte diese Kampagne für die US-amerikanische Linke eine größere Bedeutung?

Steve Bloom: Für die Linke war Naders Wahlkampagne sehr bedeutsam. Denn die Grüne Partei in den USA ist nicht wie die deutschen Grünen. In Deutschland hat sich die Grüne Partei klar zugunsten des Kapitalismus entschieden. In den USA hat es keine solche Entscheidung gegeben, und es gibt in den US-Grünen eine starke sozialistische Strömung. Wenn man die Plattform der US-Grünen liest, dann klingt sie sozialistisch.

Aber dort heißt es auch, sie seien eine nichthierarchische Organisation, und Kandidaten müssten nicht unbedingt die Plattform anerkennen. Nader stimmte mit dieser Plattform nicht überein, er tritt für einen liberalen Kapitalismus ein. Sind die Grünen eine Alternative für Arbeiterbewegung und die Linke?

Steve Bloom: Darüber wird heftig diskutiert. Diese Frage wäre noch wichtiger geworden, wenn Nader die Fünf-Prozent- Hürde genommen und die Partei staatliche Wahlkampfkostenerstattung erhalten hätte.
Denn das hätte bedeutet, dass beim nächsten Mal ein grüner Kandidat mit erheblichem Gewicht in die Wahlauseinandersetzung hätte eingreifen können. Ich kenne die Wahlergebnisse der Grünen noch nicht, ich denke aber, dass die Kampagne den Grünen ermöglichen wird, in mehr Staaten vertreten zu sein als bisher.
Neben den Grünen gab es auch eine Reihe von sozialistischen Kandidaturen von relativ kleinen sozialistischen Parteien, so die Socialist Workers Party, die Workers World Party, die Socialist Party, aber alle diese Parteien haben, wie zu erwarten, nur sehr wenig Stimmen bekommen.

Die USA sind eine Weltmacht, doch Militär- und Außenpolitik spielt im US-Wahlkampf praktisch keine Rolle. Sind die Wähler außenpolitisch nicht interessiert?

Steve Bloom: Die meisten AmerikanerInnen verstehen die Rolle nicht, die die USA weltpolitisch als repressive Kraft spielen. Sicherlich möchten weder die Demokraten noch die Republikaner aus diesen Fragen ein Wahlkampfthema machen oder den Menschen helfen, solche Fragen zu verstehen.
Die Dinge werden so dargestellt, dass US-Soldaten immer als Friedensstifter oder Vermittler in den verschiedenen Konflikten auftreten, etwa im Nahen Osten oder in Irland. In Wirklichkeit besteht die Rolle der USA im Nahen Osten darin, Israel zu unterstützen und von den Palästinensern Zugeständnisse zu verlangen. Bei der Mehrheit der Bevölkerung in den USA ist das ziemlich unbekannt.

Woher kommt dieses Desinteresse?

Steve Bloom: Die meisten Amerikaner interessieren sich vor allem für sich und ihr Leben, denn für die Mehrheit der Menschen ist das Leben in den USA doch recht angenehm. Natürlich gibt es die "Underclass" und die Farbigen, die häufig von der Prosperität ausgeschlossen sind.
Doch solange viele Menschen einigermaßen gut leben und die nackte Repression in unserem Land nicht auf den Bildschirmen erscheint, gibt es kein Interesse, sich um solche Fragen zu bemühen. Während des Vietnamkriegs haben sich die Menschen natürlich sehr für die Fragen der Außenpolitik interessiert, doch der Krieg dauerte schon viele Jahre, und die Bilder des Krieges kamen übers Fernsehen in die Wohnzimmerstuben. So entstand dann eine Bewegung, die den Krieg in Frage stellte.
Beim Golfkrieg gab es zwar eine klare Opposition, doch der Krieg war bald vorbei, wodurch die Wirkung in die Gesellschaft auf linke Kreise beschränkt blieb. Es war nicht genügend Zeit, den Leuten zu zeigen, was eigentlich los war.

Könnte man sagen, dass die meisten Amerikaner sich völlig ans System gewöhnt haben, dass sie sich nichts anderes vorstellen können?

Steve Bloom: Die Leute kennen nur das und wachsen damit auf. Das ist der größte Unterschied zu Europa, denn seit den 30er Jahren hat es in den USA keine bedeutsame sozialistische Bewegung mehr gegeben. Und seit 70 Jahren hat man den Menschen gesagt: Sozialismus, das sind die Zustände in der Sowjetunion, also die stalinistische Diktatur. Weshalb sollten die Menschen sich also dafür interessieren?
Auch die tagtäglichen Erfahrungen der Menschen in den USA bestätigen diese Methode, denn es gibt ja einen wundervollen Kapitalismus, jedenfalls für diejenigen, die dazugehören. Natürlich begreifen sie nicht, dass dieser Wohlstand auch auf der Ausbeutung der ganzen übrigen Welt beruht.

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