Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 23.11.2000, Seite 12

USA und Migrantinnen

Legalisierung auf halbem Weg

Die Kampagne für eine Legalisierung aller Einwanderer ohne Papiere in den USA breitet sich im ganzen Land aus. Rund um dieses Thema organisieren sich derzeit mehrere Gewerkschaftsbündnisse sowie religiöse und Community-Organisationen. Doch einige Gruppen fragen sich inzwischen, ob es der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO wirklich ehrlich meinte, als er im letzten Februar eine generelle Legalisierung aller "illegalen" forderte.
Die Intensität dieses Engagements, das die Organisationen an den Tag legen, wurde im September in Chicago besonders deutlich: Ein Bündnis für die Reform der Einwanderungsgesetze (SEIU) organisierte am Tag der Arbeit eine Massendemonstration für die Generalamnestie sowie eine Wahlregistrierungskampagne, und auch die Illinois-Koalition für Einwanderer- und Flüchtlingsrechte mobilisierte am 23.9. zu einer Demonstration, an der rund 11000 Personen teilnahmen. Die National Coalition for Dignity and Amnesty schließlich rief für Mitte Oktober zu einem Marsch auf, ebenfalls in Chicago.
Mit Schwerpunkt auf ihrer Wahlregistrierungskampagne mobilisierte unterdessen die SEIU ihre Mitglieder für den 14.Oktober zu einem Marsch nach Washington, außerdem unterstützte sie die am gleichen Tag stattfindende Demonstration in Chicago, indem sie ihre Infrastruktur zur Verfügung stellte.
Ein Ergebnis dieser Anstrengungen bestand in der Verabschiedung einer Resolution des Chicagoer Stadtrats, in der die Forderung nach Legalisierung unterstützt wurde. Gewählte Vertreter aus Gewerkschaften und Politik, darunter auch der Stellvertreter des Kongressabgeordneten Luis Gutierrez, hielten eine Pressekonferenz ab, auf der sie zur Beteiligung an der Demonstration am 14.Oktober aufriefen.
Dabei steht Chicago nicht allein. In Kalifornien mobilisierte das zentrale Forum der gewerkschaftlichen Interessenvertretungen in Verbindung mit ImmigrantInnen und Bürgerrechtsgruppen sowie dem Netzwerk der ArbeitsmigrantInnen LION tausende, die an verschiedenen Demonstrationen und Anhörungen teilnahmen. 20000 Personen waren es anlässlich einer Anhörung, die im Juni in Los Angeles zum Thema Migrantenrechte stattfand. LION plant gemeinsam mit dem Rat der gewerkschaftlichen Interessenvertretung in Almeda für das nächste Jahr eine massive Mobilisierung in Oakland.
Die National Coalition organisierte, während sie tausende von Unterschriften für die Petition zur bedingungslosen Legalisierung sammelte, regionale Demonstrationen am 14.Oktober, nicht nur in Chicago. Für den gleichen Tag plant "Coordinadora 2000", eine Gruppe, die sich für die Rechte der MigrantInnen einsetzt, eine nationale Demonstration in Washington.
Trotz einer mangelhaften Koordination zwischen den verschiedenen Gruppen sollte es im Endeffekt mit diesen Aktionen gelungen sein, mit diesen Mobilisierungen eine breitere Basis von Menschen zu schaffen, die sich für Legalisierung einsetzen.
Die mangelhafte Koordination hat jedoch auch zu Spannungen in der Washingtoner Gesetzgebungsarena beigetragen. Die National Coalition machte ihren Einfluss auf den Kongressabgeordneten Gutierrez gelten, um über ihn die Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens zur Generalamnestie rechtzeitig vor der ablaufenden Legislaturperiode zu diskutieren. Er war einverstanden. Doch die Asociación Tepeyac, eine New Yorker Community Organization, beschuldigt die AFL-CIO, Gutierrez davon überzeugt zu haben, die Gesetzesinitiative auf die folgende Legislaturperiode zu verschieben.
SEIU unterrichtete seine Unterstützer in Chicago, dass die Gesetzgebung verschoben worden sei, um Zeit für die Organisierung von Pressekonferenzen überall im Land zu gewinnen. Andere Quellen in diesem Zusammenhang sprechen von der Hoffnung, mit der Verschiebung sei ein Zuwachs an Realisierungschancen für ein anderes Gesetz — Latino Immigrant Fairness Act — verbunden, das eine Teilamnestie für Zentralamerikaner und für MigrantInnen, die vor 1986 ins Land gekommen sind, vorsieht.
Wieder andere beschuldigten den AFL-CIO, das Gesetz für eine Generalamnestie bis nach den Präsidentschaftswahlen "auf Eis gelegt zu haben", um Gore davor zu schützen, eine Position ergreifen zu müssen.
Ein Sprecher des Kongressabgeordneten Gutierrez sagte, dass er nicht verstünde, "um was sich die Sorgen drehten". Der Entwurf sei im Wesentlichen fertig gestaltet und solle vor der letzten Kongresssitzung eingebracht werden.
David Bacon, Anwalt für Migrantenrechte und Mitglied von LION, kommentiert, es handele sich um "einen Sturm im Wasserglas". Er hält die Bewegung für die Durchsetzung des Gesetzes für noch zu schwach. "Wir brauchen alle Organisationen, die potenzielle Verbündete für die Gesetzgebung sind", sagte er. "Ansonsten bekommt die Industrie, was sie will, und wir bekommen nichts."
Der Kongress weitete erst kürzlich die Anzahl zeitlich beschränkter Visa für IT-Beschäftigte aus — eine Entwicklung, die von den Lobbyisten des Silicon Valley begrüßt, von den gewerkschaftlichen Interessenvertretungen jedoch abgelehnt wurde.
Während es zweifelhaft ist, ob überhaupt irgendeine Gesetzgebung zum Thema Arbeitsmigration in dieser Legislaturperiode zum Abschluss kommt, führt das Hickhack um die Politmanöver zu Misstrauen zwischen den verschiedenen Teile der Bewegung. Wenn es wirklich ernst gemeint ist mit der Organisierung der Einwanderer, muss jetzt mit anderen Verfechtern der Amnestiekampagne zusammengearbeitet werden, statt weiterhin auf unilaterale Aktivitäten zu setzen.
Ansonsten riskiert man, dass die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaftsbewegung unter den MigrantInnen beschädigt wird — einige haben schon E-Mails an den AFL-CIO geschickt, in denen sie diesen beschuldigen, ihnen den Rücken zugekehrt zu haben.

Teófilo Reyes

Der Autor ist Mitarbeiter der Zeitschrift Labor Notes und von TIE North America.

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