Lieber Fidel, Wilfried Huismann
Sozialistische Zeitung |
Nach Buena Vista Social Club, Lagrimas Negras und Havanna, mi amor kommt nun innerhalb eines Jahres der vierte
Dokumentarfilm über Kuba in die deutschen Kinos. Eines der letzten nichtkapitalistischen Länder scheint die FilmemacherInnen aus der
marktradikal-kapitalistischen (von sozialer Gerechtigkeit) "freien" Welt zunehmend zu faszinieren. Diesmal geht es nicht um kubanische Musik
und nicht um das Alltagsleben im heutigen Kuba, sondern um Liebe und Spionage.
Es wird die Lebensgeschichte der 1939 geborenen Deutschen Marita Lorenz erzählt.
Die Tochter eines Bremer Schiffskapitäns lernte Fidel Castro im Februar 1959 auf dem Schiff ihres Vaters im Hafen von Havanna kennen und
lieben. Castro und seine Barbudos hatten die kubanische Hauptstadt erst kurz zuvor eingenommen und die Revolution gegen das Batista-Regime zu einem
siegreichen Ende geführt. La Alemanita, wie Fidel seine neue Geliebte nannte, blieb in Havanna an der Seite des maximo líder. Als dieser sie zu
einer Abtreibung zwang, war zwar nicht die Liebe aber die Beziehung zu Ende.
Es war dies nicht die erste Erfahrung Maritas mit sexualisierter Gewalt. Als Kind war sie im
Alter von fünf Jahren zusammen mit ihrer Mutter, der amerikanischen Schauspielerin und Agentin Alice June Lofland, in das KZ Bergen-Belsen
eingeliefert worden, weil ihre Mutter ZwangsarbeiterInnen zur Flucht verholfen hatte. Nach der Befreiung wurde sie im Alter von sieben Jahren von einem US-
amerikanischen Soldaten vergewaltigt.
Nach dem Ende ihrer Beziehung zu Castro wurde Marita für die CIA interessant. Sie
wurde angeworben, um Castro zu vergiften, denn sie hatte immer noch Zugang zu ihm. Doch sie warf nach ihrer Darstellung das Gift fort und
rettete ihrem Barbudito so das Leben.
Auch das weitere Leben der Marita Lorenz war so abenteuerlich, dass es manchmal kaum
glaubhaft erscheint. Nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Castro wurde sie in Florida als einzige Frau unter mehreren hundert Männern zur Anti-
Castro-Söldnerin ausgebildet. Sie traf den mutmaßlichen Mörder von John F. Kennedy, Lee Harvey Oswald, der ihrer Aussage nach sehr
wohl ein Mann der CIA war. So trägt der Film nicht nur zum Castro-, sondern auch zum Kennedy-Mythos bei. In den 60er Jahren hatte sie eine
Affäre mit dem venezolanischen Ex-Diktator, Castro-Hasser und Multimillionär Jiménez, aus der eine Tochter hervorging. In den 70er
Jahren bespitzelte sie im Auftrag des FBI als "Hausmeisterin" zusammen mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen Sohn (!) osteuropäische
UNO-Diplomaten. Nachdem sie 1977 vor einem Untersuchungsausschuss ihre Kenntnisse über den Mord an Kennedy preisgegeben hatte, bekam sie
keine Anstellung mehr bei einer US-Bundesbehörde. 1981 sah sie Fidel Castro noch einmal wieder. Heute lebt sie als Sozialhilfeempfängerin in
New York.
Der Film besteht aus Interviews mit Marita Lorenz, mit der zusammen die FilmemacherInnen
an die verschiedenen Stationen ihres Lebens reisen. Darüber hinaus werden Zeitzeugen befragt. Darunter der ehemalige Castro-Vertraute Pelletier,
ehemalige CIA- und FBI-Agenten, ihr Vater und ihre Kinder. Das Filmteam begleitet Marita Lorenz auf einer erneuten Reise nach Havanna, wo sie versucht,
Castro noch einmal wiederzusehen, doch der hat keine Zeit für seine ehemalige Geliebte. Es kommen auch einige negative Dinge über Kuba zur
Sprache. So erzählt Pelletier, dass er 1960 bei Castro in Ungnade fiel und wegen "proamerikanischer Tätigkeit" zu 15 Jahren
Gefängnis verurteilt wurde. Heute gehört er einer illegalen Menschenrechtsgruppe auf Kuba an. Der Film ist aber kein anticastristischer
Propagandafilm im Stile des Kalten Krieges. Er bleibt stets auf Distanz, verkündet keine Botschaft und lässt einfach die Menschen zu Wort
kommen.
Man merkt allerdings, dass der Regisseur von den Personen Fidel Castro und Marita Lorenz
fasziniert ist. Um die beiden dreht sich der Film. Herausgekommen ist dabei ein durchaus spannendes Stück Zeitgeschichte, in dem Dichtung und
Wahrheit vermutlich eng beieinander liegen und das manchmal die Grenze zur Berichterstattung der yellow press streift, nach dem Motto
"Berühmter Revolutionär und Staatsmann liebt unbedeutendes Mädchen aus der deutschen Provinz". So liegen also nicht nur
Dichtung und Wahrheit, sondern auch Kitsch, Klatsch und Politik eng beieinander. Die LeserInnen mögen es sich selbst anschauen und sich ihren
Reim darauf machen. Spannend ist es allemal und bietet Stoff nicht nur für einen Dokumentar-, sondern für mehrere Spielfilme.
Andreas Bodden
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