Sozialistische Zeitung |
Seit einigen Wochen beunruhigen die Pläne der Europäischen Kommission das Ruhrgebiet. Der sog.
Kohlekompromiss von 1997 sollte nicht genehmigt werden. Die Kommission mit der für Energie zuständigen Kommissarin Loyola de Palacio
nimmt Anstoß an der Höhe der Subventionen für die Deutsche Steinkohle AG (DSK, Tochter des RAG-Konzerns).
Zur Erinnerung: Im März 1997 zogen tausende von Bergleuten nach Bonn, um
für ihre Arbeitsplätze zu kämpfen, und um der Kohl-Regierung zu zeigen, dass man nicht mit der Stilllegungspolitik des
Wirtschaftsministers Rexrodt einverstanden war. Der anschließende Kompromiss beinhaltete einen Zeitplan von 1997 bis 2005, in dem die
jährlichen Subventionen für die Steinkohle von 9 auf 5,5 Milliarden DM abgebaut werden sollten. Dabei sollte die Förderung von 50 auf
30 Millionen Tonnen gesenkt, acht Zechen geschlossen und die Belegschaft von 85000 auf 37000 abgebaut werden.
Die EU wollte die Subventionen für das Jahr 2000 nicht genehmigen, da der Anteil
der Fördersubventionen zu hoch gegenüber dem Anteil der Stilllegungssubventionen sei. Dies geht unter anderem auf eine Klage der britischen
Bergwerksgesellschaft zurück, die eine Privilegierung des deutschen Steinkohlebergbaus vermutete.
Inzwischen ist jedoch der erstreikte Kompromiss von 1997 schon längst von der
DSK übertrumpft worden. Schon im nächsten Jahr werden die bis 2005 geplanten Stilllegungen vollzogen sein. Die geplante Fördermenge
wurde schon stillschweigend auf 26 Millionen Tonnen korrigiert. Der Personalabbau wurde extrem beschleunigt, statt vorgesehener rund 6000 vernichteter
Arbeitsplätze pro Jahr sollen in diesem und im nächsten Jahr 20000 Beschäftigte der DSK ihren Arbeitsplatz aufgeben. Das hieße,
dass die Zahlen für 2005 schon im Jahr 2002 erreicht worden wären. Die Folgen für die betroffenen Bergleute und Städte sind
schwerwiegend, die Arbeitslosigkeit befindet sich im nördlichen Revier auf hohem Niveau.
Subventionspoker
Das alles genügt jedoch der EU-Kommission nicht. Die vom Bund und dem Land NRW gezahlten Subventionen für die DSK sollen
weniger für die laufende Förderung und mehr für die Stilllegungen aufgeteilt werden.
Der sofortige Vollzug der angedrohten Subventionskürzung hätte nach Ansicht
von Fachleuten zu einem lange dauernden Rechtsstreit zwischen EU und BRD geführt. Das wollte die Regierung Schröder angesichts des im
Jahr 2002 auslaufenden EGKS-Vertrags vermeiden. In diesem Jahr endet die 50-jährige Geschichte der "Europäischen Gemeinschaft
für Kohle und Stahl" (EGKS), die die Grundlage der bisherigen Kohlenpolitik gewesen ist.
Inzwischen setzen alle Beteiligten Politik und Industrie, vor allem aber der
Branchenriese Ruhrkohle AG auf Importkohle, die trotz des hohen Dollarkurses zu rund 80 Mark die Tonne in Rotterdam angeboten wird.
Angesichts der drohenden weiteren Stilllegungen ging das Gerücht im Revier um, es
gebe erneut eine Mobilisierung der Beschäftigten. Das wurde aber schnell von der zuständigen Gewerkschaft IG BCE dementiert. Sie setzte auf
Verhandlungen, die Wirtschaftsminister Müller, NRW-Ministerpräsident Clement und die beiden Vorsitzenden der IGBCE, Schmoldt und
Südhofer, in Brüssel führten.
Die deutschen Teilnehmer verwiesen ausdrücklich auf die vorzeitige Erfüllung
der Maßnahmen durch die DSK, um die Kommission gewogen zu stimmen. Kein Wort über die Probleme, welche die vorfristigen
Personalkürzungen überall verursachen. Stattdessen gab es beruhigende Worte, dass Clement und Müller auf der Seite der Bergleute
stehen würden, und die Erfüllung der 97er Vereinbarungen damit garantiert sei.
Im Ergebnis boten Wirtschaftsminister Müller und der RAG-Vorstand der EU-
Kommission einen Kompromiss an, der vor wenigen Wochen angenommen wurde. Die RAG verpflichtet sich, die Subventionen der Jahre 2000 und 2001 in
Höhe von über einer Milliarde Mark in die Stilllegung von Zechen zu investieren, und sie der laufenden Produktion zu entziehen.
Das Kalkül ist offensichtlich: Die damit verringerten Subventionen für die
Förderung aus Ruhrzechen können durch Produktionskürzungen und den gestiegenen Dollarkurs (der den Abstand zwischen dem
Importkohlepreis und dem Ruhrkohlepreis beeinflusst) aufgefangen werden. Die vorgezogenen Stilllegungen etwa der Zeche
"Ewald/Hugo" in Herten und Gelsenkirchen, der Zeche Göttelborn an der Saar und der Kokerei Kaiserstuhl in Dortmund sind
finanziert. Und die Differenz zwischen eigentlich geplanter und tatsächlicher Förderung kann die RAG durch Eigenimporte ersetzen
daran verdient der Konzern entscheidend.
Die Kumpel haben das Nachsehen
Die Drohungen der EU haben natürlich Unruhe bei den Kumpels auf den Schachtanlagen ausgelöst. Insbesondere die
Äußerungen von Clement im Anschluss an die Verhandlungen in Brüssel, dass ab 2005 dann nur noch 20 Millionen Tonnen Kohle pro
Jahr gefördert werden, und damit zwei weitere Zechen zumachen müssen, kann nicht zur Beruhigung beitragen. Die Beschleunigung des
Anpassungsprozesses hat im nördlichen Ruhrgebiet zur Abkehr von über 1000 Kumpels in andere Berufe geführt.
Die Vorruhestandsregelungen greifen nicht mehr in dieser hohen Zahl. Umschulungen
finden zwar noch statt, doch die Kurse laufen Ende dieses Jahres aus. Viele Kollegen, die sich bei Handwerksfirmen melden, um dort einen
"Schnupperkurs" zu machen, kehren nach einigen Monaten zurück, weil nach dem Auslaufen der Lohnzuschüsse durch die DSK die
dort zu erzielenden Einkommen ihnen nicht ausreichen. Da Handwerker mit der besten Ausbildung natürlich leichter einen Arbeitsplatz ausserhalb des
Bergbaus finden, wird in vielen Revieren mit Unterdeckung gefahren.
In den Zeitungen wird hauptsächlich über die "Ringeltauben" (wie
man im Revier sagt: die guten Ausnahmen) unter den Arbeitsplatzangeboten berichtet, nicht aber über die Probleme, weitere 2000 Menschen in der
Emscher-Lippe-Region in einen anderen Arbeitsplatz zu vermitteln. Das Nachsehen haben dabei natürlich auch die Langzeitarbeitslosen, die bei den
Arbeitsämtern nun umsonst Schlange stehen.
Diese Widersprüche im Anpassungsprozess führen dazu, dass auf den Zechen
viele Kumpels übrig bleiben werden, die dann weite Fahrtwege womöglich bis nach Ibbenbüren (bei Osnabrück) in Kauf nehmen
müssen. Auch ins Saarland versucht man Kollegen zu vermitteln angeblich gibt es dort einen Mangel an Aufsichten unter Tage.
Das Problem, das in der EU als Nachfolge des EGKS-Vertrages ausgehandelt wird, ist
damit auch noch nicht vom Tisch. Wie es heißt, sind die Subventionen auf der genannten Basis nur bis 2001 möglich eine weitere
Hängepartie für die Bergleute und ihre Familien.
Eine Seifenblase, die Politik und Wirtschaft in den letzten Monaten schillern ließen
die mögliche Ansiedlung eines BMW-Werks im nördlichen Ruhrgebiet mit 3000 neuen Arbeitsplätzen ist jetzt auch
geplatzt: BMW hat abgewunken.
Adam Reuleaux
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