Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 07.12.2000, Seite 6

EU-Kommission

Subventionspoker um Zechensterben

Seit einigen Wochen beunruhigen die Pläne der Europäischen Kommission das Ruhrgebiet. Der sog. Kohlekompromiss von 1997 sollte nicht genehmigt werden. Die Kommission mit der für Energie zuständigen Kommissarin Loyola de Palacio nimmt Anstoß an der Höhe der Subventionen für die Deutsche Steinkohle AG (DSK, Tochter des RAG-Konzerns).
Zur Erinnerung: Im März 1997 zogen tausende von Bergleuten nach Bonn, um für ihre Arbeitsplätze zu kämpfen, und um der Kohl-Regierung zu zeigen, dass man nicht mit der Stilllegungspolitik des Wirtschaftsministers Rexrodt einverstanden war. Der anschließende Kompromiss beinhaltete einen Zeitplan von 1997 bis 2005, in dem die jährlichen Subventionen für die Steinkohle von 9 auf 5,5 Milliarden DM abgebaut werden sollten. Dabei sollte die Förderung von 50 auf 30 Millionen Tonnen gesenkt, acht Zechen geschlossen und die Belegschaft von 85000 auf 37000 abgebaut werden.
Die EU wollte die Subventionen für das Jahr 2000 nicht genehmigen, da der Anteil der Fördersubventionen zu hoch gegenüber dem Anteil der Stilllegungssubventionen sei. Dies geht unter anderem auf eine Klage der britischen Bergwerksgesellschaft zurück, die eine Privilegierung des deutschen Steinkohlebergbaus vermutete.
Inzwischen ist jedoch der erstreikte Kompromiss von 1997 schon längst von der DSK übertrumpft worden. Schon im nächsten Jahr werden die bis 2005 geplanten Stilllegungen vollzogen sein. Die geplante Fördermenge wurde schon stillschweigend auf 26 Millionen Tonnen korrigiert. Der Personalabbau wurde extrem beschleunigt, statt vorgesehener rund 6000 vernichteter Arbeitsplätze pro Jahr sollen in diesem und im nächsten Jahr 20000 Beschäftigte der DSK ihren Arbeitsplatz aufgeben. Das hieße, dass die Zahlen für 2005 schon im Jahr 2002 erreicht worden wären. Die Folgen für die betroffenen Bergleute und Städte sind schwerwiegend, die Arbeitslosigkeit befindet sich im nördlichen Revier auf hohem Niveau.

Subventionspoker

Das alles genügt jedoch der EU-Kommission nicht. Die vom Bund und dem Land NRW gezahlten Subventionen für die DSK sollen weniger für die laufende Förderung und mehr für die Stilllegungen aufgeteilt werden.
Der sofortige Vollzug der angedrohten Subventionskürzung hätte nach Ansicht von Fachleuten zu einem lange dauernden Rechtsstreit zwischen EU und BRD geführt. Das wollte die Regierung Schröder angesichts des im Jahr 2002 auslaufenden EGKS-Vertrags vermeiden. In diesem Jahr endet die 50-jährige Geschichte der "Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl" (EGKS), die die Grundlage der bisherigen Kohlenpolitik gewesen ist.
Inzwischen setzen alle Beteiligten — Politik und Industrie, vor allem aber der Branchenriese Ruhrkohle AG — auf Importkohle, die trotz des hohen Dollarkurses zu rund 80 Mark die Tonne in Rotterdam angeboten wird.
Angesichts der drohenden weiteren Stilllegungen ging das Gerücht im Revier um, es gebe erneut eine Mobilisierung der Beschäftigten. Das wurde aber schnell von der zuständigen Gewerkschaft IG BCE dementiert. Sie setzte auf Verhandlungen, die Wirtschaftsminister Müller, NRW-Ministerpräsident Clement und die beiden Vorsitzenden der IGBCE, Schmoldt und Südhofer, in Brüssel führten.
Die deutschen Teilnehmer verwiesen ausdrücklich auf die vorzeitige Erfüllung der Maßnahmen durch die DSK, um die Kommission gewogen zu stimmen. Kein Wort über die Probleme, welche die vorfristigen Personalkürzungen überall verursachen. Stattdessen gab es beruhigende Worte, dass Clement und Müller auf der Seite der Bergleute stehen würden, und die Erfüllung der 97er Vereinbarungen damit garantiert sei.
Im Ergebnis boten Wirtschaftsminister Müller und der RAG-Vorstand der EU- Kommission einen Kompromiss an, der vor wenigen Wochen angenommen wurde. Die RAG verpflichtet sich, die Subventionen der Jahre 2000 und 2001 in Höhe von über einer Milliarde Mark in die Stilllegung von Zechen zu investieren, und sie der laufenden Produktion zu entziehen.
Das Kalkül ist offensichtlich: Die damit verringerten Subventionen für die Förderung aus Ruhrzechen können durch Produktionskürzungen und den gestiegenen Dollarkurs (der den Abstand zwischen dem Importkohlepreis und dem Ruhrkohlepreis beeinflusst) aufgefangen werden. Die vorgezogenen Stilllegungen — etwa der Zeche "Ewald/Hugo" in Herten und Gelsenkirchen, der Zeche Göttelborn an der Saar und der Kokerei Kaiserstuhl in Dortmund — sind finanziert. Und die Differenz zwischen eigentlich geplanter und tatsächlicher Förderung kann die RAG durch Eigenimporte ersetzen — daran verdient der Konzern entscheidend.

Die Kumpel haben das Nachsehen

Die Drohungen der EU haben natürlich Unruhe bei den Kumpels auf den Schachtanlagen ausgelöst. Insbesondere die Äußerungen von Clement im Anschluss an die Verhandlungen in Brüssel, dass ab 2005 dann nur noch 20 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr gefördert werden, und damit zwei weitere Zechen zumachen müssen, kann nicht zur Beruhigung beitragen. Die Beschleunigung des Anpassungsprozesses hat im nördlichen Ruhrgebiet zur Abkehr von über 1000 Kumpels in andere Berufe geführt.
Die Vorruhestandsregelungen greifen nicht mehr in dieser hohen Zahl. Umschulungen finden zwar noch statt, doch die Kurse laufen Ende dieses Jahres aus. Viele Kollegen, die sich bei Handwerksfirmen melden, um dort einen "Schnupperkurs" zu machen, kehren nach einigen Monaten zurück, weil nach dem Auslaufen der Lohnzuschüsse durch die DSK die dort zu erzielenden Einkommen ihnen nicht ausreichen. Da Handwerker mit der besten Ausbildung natürlich leichter einen Arbeitsplatz ausserhalb des Bergbaus finden, wird in vielen Revieren mit Unterdeckung gefahren.
In den Zeitungen wird hauptsächlich über die "Ringeltauben" (wie man im Revier sagt: die guten Ausnahmen) unter den Arbeitsplatzangeboten berichtet, nicht aber über die Probleme, weitere 2000 Menschen in der Emscher-Lippe-Region in einen anderen Arbeitsplatz zu vermitteln. Das Nachsehen haben dabei natürlich auch die Langzeitarbeitslosen, die bei den Arbeitsämtern nun umsonst Schlange stehen.
Diese Widersprüche im Anpassungsprozess führen dazu, dass auf den Zechen viele Kumpels übrig bleiben werden, die dann weite Fahrtwege womöglich bis nach Ibbenbüren (bei Osnabrück) in Kauf nehmen müssen. Auch ins Saarland versucht man Kollegen zu vermitteln — angeblich gibt es dort einen Mangel an Aufsichten unter Tage.
Das Problem, das in der EU als Nachfolge des EGKS-Vertrages ausgehandelt wird, ist damit auch noch nicht vom Tisch. Wie es heißt, sind die Subventionen auf der genannten Basis nur bis 2001 möglich — eine weitere Hängepartie für die Bergleute und ihre Familien.
Eine Seifenblase, die Politik und Wirtschaft in den letzten Monaten schillern ließen — die mögliche Ansiedlung eines BMW-Werks im nördlichen Ruhrgebiet mit 3000 neuen Arbeitsplätzen — ist jetzt auch geplatzt: BMW hat abgewunken.

Adam Reuleaux

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