Sozialistische Zeitung |
Auf dem Cottbusser Parteitag der PDS diente als Saalschmuck ein Spruchband mir der Aufschrift "…dass ein gutes
Deutschland blühe", und die Parteivorsitzende Gabriele Zimmer gab zu Protokoll: "Deutschland ist schön. Ich liebe es und ich hasse
zugleich Dinge, die es … hässlich erscheinen lassen. (Ich) bekämpfe das, was Deutschland nicht als gutes Deutschland blühen lässt
… Ganz im Brechtschen Sinne … George Marchais … schloss jede Parteitagsrede mit dem Satz: Vive la France! Vive la France würde ich mir
auch noch trauen."
Winfried Wolf erklärte, dies weise politisch in die falsche Richtung, auch wenn es
nicht nationalistisch gemeint sei. Damit löste er einerseits eine rüde Anmache seitens des neuen Fraktionsvorsitzenden der PDS-
Bundestagsfraktion Roland Claus aus ("Und tschüss"), andererseits eine interessante Debatte, die u.a. in den Spalten der
überregionalen Tageszeitung junge Welt geführt wird. Da es nicht möglich ist, diese Debatte in einem kurzen Beitrag nachzuzeichnen,
manche der Teilnehmenden sich aber auf Marx und die marxistische Tradition berufen, will ich hier nur auf zwei Probleme eingehen, nämlich auf die
marxistische Haltung zu Nation und Nationalität.
Roman Rosdolsky wies in seinem Aufsatz "Die Arbeiter und das Vaterland. Zur
Auslegung einer Stelle des ‚Kommunistischen Manifests"* nach, dass Marx und Engels den Begriff der Nation im Sinne des Staates bzw. der in
einem Territorialstaat lebenden Bevölkerung gebraucht haben. Wenn im Kommunistischen Manifest dem proletarischen Kampf ein
vorübergehend nationaler Charakter zugeschrieben wird, dann aus recht profanen Gründen: "Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach
der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muss natürlich zuerst mit seiner
eigenen Bourgeoisie fertig werden."
Insofern gibt der Feind mit seiner nationalstaatlichen Organisation und Beherrschung der
Gesellschaft einfach einen Rahmen für den Kampf vor, dem sich das Proletariat nicht völlig entziehen kann. Daher kritisiert Rosdolsky jene
Tradition, die mit dem sozialdemokratischen Theoretiker Heinrich Cunow begann, und die auch vom Stalinismus zu eigenen Zwecken aufgegriffen wurde
und allerlei Nationallastiges in missverstandene Sätze des Kommunistischen Manifests hineingeheimnist hat. So heißt es im Manifest etwa:
"Indem das Proletariat sich zunächst die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren
muss, ist es selbst noch national…"
Doch sich "national als Klasse konstituieren" hieß für Marx und
Engels nichts anderes als über lokal, betriebs- und branchenmäßig beschränkte Kämpfe hinausgehen und sich landesweit
koordiniert dem Klassenfeind entgegenstellen (und ihn möglichst schlagen). Die reformistischen Theoretiker mussten natürlich, um das
einschlägige Missverständnis zu produzieren, die vielen anderen eindeutigen Stellen des Manifests übergehen, die den internationalen
Charakter des proletarischen Kampfes betonen, angefangen mit dem schönen Satz: "Die Arbeiter haben kein Vaterland."
Die Welt, die Marx und Engels anstrebten, ist eine Welt ohne Staaten und daher auch ohne
Nationalstaaten, ohne Staatsgrenzen. Wer sich in die Tradition dieser beiden Altvorderen stellt und z.B. den Begriff der deutschen Nation positiv besetzen
will, kommt ca. 150 Jahre zu spät.
Hinzu kommt, dass Lenin bekanntlich ab 1914 auch einen Beitrag zur Frage gewisser
("imperialistischer") Nationalstaaten geleistet hat. Es geht heute nicht mehr um die Konstituierung eines deutschen bürgerlichen Staates als
Überwindung der feudalen Kleinstaaterei.
Der Kapitalismus ist ein Weltsystem geworden, das der Menschheit eine höchst
ungerechte Weltarbeitsteilung aufzwingt, und die reichen kapitalistischen (imperialistischen) Industrieländer sind in Staaten organisiert, deren
Vernichtung Vorbedingung ist für das, was manche ein wenig bieder eine "gerechte Weltwirtschaftsordnung" nennen. Aus marxistischer
Sicht gibt es keinen Grund, solche Nationalstaaten zu verteidigen oder sich auch nur entfernt mit ihnen zu identifizieren.
Ludwig Elm warf in der jungen Welt vom 17.11. Winfried Wolf vor, er unterscheide nicht
zwischen Nation und Nationalität. In dieser Debatte hatte Winfried Wolf das auch nicht nötig, denn er diskutiert ja nicht als Ire unter Iren, als
Kurde unter Kurden, nicht einmal als Katalane unter Katalanen. Was will Ludwig Elm uns denn mit diesem Einwurf sagen? Ist Winfried Wolfs Kritik
vielleicht wackelig, weil ein positiver Bezug auf Deutschland als Nation bzw. Nationalstaat zwar nicht korrekt ist, aber vielleicht doch auf Deutschland als
Nationalität? Roman Rosdolsky bspw. erklärt ja die Nationalität für etwas, was durch die sozialistische Befreiung nicht
überwunden werden muss, sondern in manchen Fällen sogar erst richtig zur Entfaltung kommt (weil vorher durch Unterdrückung
niedergehalten).
Meiner Meinung nach setzen sich aber die neuen "sozialistischen"
Deutschlandduseler einer viel härteren Kritik aus, wenn angenommen wird, sie bezögen sich auf Deutschland als Nationalität. Bisher hat
Winfried Wolf offenbar angenommen, der Beelzebub hinter den neuen, vielleicht ungewollt den Nationalisten zuspielenden Tönen liege in den
Anpassungstendenzen innerhalb der PDS, in dem Wunsch, bügerlich salon- und koalitionsfähig zu werden. Das eingangs angeführte
Zimmer-Zitat lässt noch anderes Schlimme ahnen. Der positive Bezug auf Deutschland als Nationalität ist eine abstoßendere Sünde
als die allgemeine Anpassungstendenz an die bügerlichen Verhältnisse.
Gegenstand von Befreiungskampf und bis zu diesem Grad von positiver Identifikation mit
Nationalität aus marxistisch-sozialistischer Sicht kann nur die Befreiung von nationaler Unterdrückung sein. Sie widerspricht dann nicht der
"der revolutionären Arbeiterbewegung innewohnende[n] kosmopolitische[n] Tendenz, ihr Streben nach der Überwindung der nationalen
Beschränktheit und der nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker" (Rosdolsky, das Manifest paraphrasierend), denn
emanzipatorischer Universalismus ist nicht kulturelle Gleichmacherei, sondern betrachtet im Gegenteil die von Menschen entwickelten Eigenarten (inkl. der
Sprachen und Überlieferungen) als kostbares, zu bewahrendes und zu entwickelndes Gut. Eine Sache (ach, wenn es die einzige wäre!), von der
die heutigen deutschen "Antinationalen" nichts kapiert haben, weshalb sie sich eine so zynische Hinwegsetzung über die Anliegen nationaler
Befreiung erlauben.
Was die deutsche Nationalität betrifft, so liegt die Sachlage um folgende
"Nuancen" anders: Die Deutschen sind eine vollgefressene, privilegierte Unterdrückernation; von Deutschland sind zwei mörderische
Weltkriege und die bislang schlimmsten Verbrechen gegen die Menschheit ausgegangen; Deutschland ist offiziell Nachfolgestaat des Hitlerschen
Dritten Reichs, und Hitler ist weltweit Synonym für das Böse schlechthin; deutsche Staatsdoktrin ist heute das "Schwamm
drüber" über die verbrecherische Vergangenheit; deutsche Realität heute ist die systematische Diskriminierung von gut 8 Millionen
Inländerinnen und Inländern wegen ihrer Herkunft.
Wenn daher "SozialistInnen" heute auf die romantische Tour in Sachen
deutscher Nationalität kommen, als ob es sich hier um ein (von wem, bitte?) unterdrücktes Bedürfnis handele, so verspielen sie zugleich
jede Chance, als deutsche Sozialistinnen und Sozialisten auf irgendetwas stolz sein zu können. Denn die Anwendung der Lehren aus der Vergangenheit
gegen die heutige bürgerliche Wirklichkeit ist nur möglich auf den Trümmern der deutschen Ideologie und des deutschen Staates; gerade
die Deutschen können nur als Weltbürger frei werden.
Manuel Kellner
*Zuerst veröffentlicht aus dem Nachlass in: die Internationale, Nr.12, Februar 1978, nachgedruckt in: Inprekorr, Nr.225, März 1990.
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