Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.26 vom 21.12.2000, Seite 5

Energiepolitik 2000

Mehr Geld für weniger Leistung

Die Energiepreise steigen auf breiter Front. Nicht nur an den Tankstellen ist offensichtlich, dass mehr Geld für weniger Leistung zu bezahlen ist. Auch die Heizkostenabrechnung, die viele Menschen in diesem Herbst bekommen, hat für viele eine böse Überraschung parat.
Das Heizöl verteuerte sich um fast 70%, parallel zu den Diesel-Preisen. Aber auch die Gasversorgung wurde teurer — um rund 40%. Nicht etwa, weil die Kosten für die Gasförderung gestiegen wären, sondern weil der Gaspreis der Versorgungsunternehmen an den Ölpreis gekoppelt ist. Nun erhalten alle, denen vor Jahren die günstigen Gaspreise das Umsteigen erleichterten, eine Weihnachtsüberraschung von ihrem Versorgungsunternehmen. Nachzahlungen von mehreren hundert Mark für Mieter von zentralbeheizten Wohnungen sind keine Seltenheit — und das trotz des warmen Winters im letzten Jahr.
Zum 1.Dezember erhöhen die Gasversorger im Einzugsgebiet des neuen RWE (einschließlich der ehemaligen VEW-Versorgungsgebiete) in NRW erneut die Erdgaspreise für den Endverbraucher. Damit wird die Steigerung sogar 60% gegen Juli, für die Heizkosten heißt das erneut ein Sprung von 25 Mark im Monat oder zusätzlichen 300 Mark im Jahr.
Für den sog. Durchschnittsverbraucher wurden 1600 Mark mehr Jahreskosten für Auto und Heizung ausgerechnet. Da ist es ein Hohn, wenn die offizielle Statistik behauptet, die Preise stiegen nur um 2,5% im Jahr. 150 Mark Mehrausgaben im Monat müssen erst mal erarbeitet werden, und von einer Lohnerhöhung in dieser Höhe ist der Durchschnittsverbraucher seit Jahren weit entfernt.
Ein zusätzliches Problem stellt der ökologische Aspekt dar. Die steigenden Preise haben keine Lenkungswirkung im Sinne einer Politik, die sich von einer klimaschädlichen Energieversorgung verabschieden würde. Alternativen gibt es für die Verbraucher nicht. Weder der öffentliche Nahverkehr, noch das Bahnangebot, noch die Wärmedämmung in Wohnungen ist eine Alternative für viele Pendler und Mieter.

Stromversorger langen zu

Nach der Fusion der vier Großunternehmen der Energiewirtschaft VEBA und Bayernwerke einerseits zu E.ON und VEW und RWE andererseits zu RWE (neu) hat sich die Branche erneut stärker monopolisiert. Noch zu Kohls Zeiten war der "Wettbewerb" für die Stromversorgung eingeführt worden, nachdem früher die Versorger getrennte gesicherte Versorgungsgebiete hatten, bei denen sie die Preise bestimmen konnten. Schon damals gehörten die vier genannten zu den größten, hatten sie sich doch auch mit Hilfe von Tochterunternehmen die ostdeutsche VEAG gesichert.
Damals sanken für die Industrie die Strompreise um 30%, für die Privatverbraucher jedoch nur um 10%.
Jetzt wird von den Unternehmen das neue Stromeinspeisegesetz zum Vorwand genommen, die Strompreise für die Verbraucher wieder zu erhöhen. VEW machte noch vor der endgültigen Fusion den Vorreiter in Westfalen und kündigte für die Tarife eine Erhöhung um 1 Pfennig je Kilowattstunde an.
Während die Umstellung auf Wettbewerbstarife gleichzeitig eine Verringerung der VEW-Belegschaft mit sich brachte, und eine Umstellung von Kundenzentren in den Städten auf ein Call-Center, das nie richtig funktionierte, hat die Fusion weiteren tausenden Arbeitsplätzen den drohenden Abbau beschert.
Mit Billigtarifen sollten die Kunden zum Wechsel animiert werden. Die Täuschung mit angeblich "blauem" oder "grünem" Strom zielte auf das Umweltbewusstsein.
Der billigste Anbieter — "Yello Strom" — hörte mit der massiven Werbung in diesem Jahr auf, nachdem sich herausstellte, dass selbst importierter Strom nicht so billig an den Kunden zu bringen war — ein Zusatzgeschäft, das der Muttergesellschaft von Yello, den Badenwerken, zu teuer wird.

Sonnenenergie ist teuer

Die erneute Erhöhung der Strompreise kommt angeblich daher, dass die Versorgungsunternehmen den privaten Erzeugern von Wind- und Sonnenenergie mehr zahlen müssen. Tatsächlich wurde in diesem Jahr das Gesetz zugunsten der Einspeisung von umweltfreundlichem Strom (nach der gängigen Definition: aus Sonne und Wind) geändert.
Wer sich Sonnenkollektoren auf das Dach setzen lässt, bekommt sowohl einen Investitionskostenzuschuss vom Staat, als auch für zwanzig Jahre eine Abnahmesicherheit. Der örtliche Elektrizitätsversorger muss dem Einspeisenden 99 Pfennige je Kilowattstunde vergüten.
Damit rechnen sich solche Anlagen nach einigen Jahren, da der Verbrauch des privaten Erzeugers weiterhin zu den ortsüblichen Preisen bezahlt werden muss.
Inwieweit dieses "100000-Dächer-Programm" zu einer Einsparung von CO2 führt, muss sich noch zeigen. Dass die Elektrizitätsversorger aber jede Maßnahme, die als umweltschonend gelten muss, sich teuer bezahlen lassen, ist schon länger bekannt.
Der Akzeptanz von umweltfreundlicher dezentraler Stromerzeugung dient das natürlich nicht. Denn die Stromversorger wollen natürlich die Großanlagen, vor allem die Kernkraftwerke, möglichst billig in voller Auslastung betreiben.

Arbeitsplatzvernichtung

Die Konzentration der großen Energiemultis führt zu massiven Arbeitsplatzvernichtungen. Nachdem in den letzten zehn Jahren rund 60000 Arbeitsplätze in der Energieerzeugung vernichtet wurden, haben allein die beiden Großfusionen schon im Sommer vorsorglich 5000 Beschäftigte als überflüssig erklärt. Synergieeffekte sollen sich in den Bilanzen niederschlagen. Zusätzlich wurde nun im Herbst ein Stilllegungsprogramm für Kraftwerke angekündigt.
Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) schreibt in ihrer Mitgliederzeitung Magazin: "Wenn die deutsche Stromwirtschaft international mithalten will, geht an Rationalisierung und Konzentration also kein Weg vorbei. Deshalb hat die IG BCE die Fusionen mitgetragen und zugleich dafür gekämpft, dass der Personalabbau sozialverträglich erfolgt."
Die ehemalige Preussenelektra (VEBA-Tochter) und die ehemaligen Bayernwerke — heute zu EON-Energie zusammengeschlossen — will Kraftwerke mit einer Leistung von 4800 Megawatt im nächsten Jahr vom Netz nehmen. Der Erlös sei niedriger als die Erzeugungskosten — das betrifft vor allem Braunkohle-, Steinkohle- und Ölkraftwerke. Ebenfalls zu diesem Stilllegungsbereich wird das AKW Stade im Jahr 2003 gerechnet. In Bayern sollen 700 Arbeitsplätze, in Niedersachsen 500, in NRW 200 und in Hessen 100 Arbeitsplätze entfallen.
Die neue RWE will bis 2004 eine Kapazität von 5000 Megawatt stilllegen, eingerechnet das nie in Betrieb gewesene AKW Mülheim-Kärlich. Insbesondere Gaskraftwerke, aber auch Steinkohleblöcke werden zugemacht, angeblich gehen dabei nur 180 Arbeitsplätze verloren.
Die Betreiber betonen, dass die Stromversorgung trotz der Stilllegungen sicher bleibt — und das bei einem geplanten Rückgang der bisher installierten Leistung von 100000 Megawatt um rund 10%. Hier wurden in den letzten Jahrzehnten riesige oft ungenutzte Reserven vor allem bei der Atomkraft von den Stromverbrauchern bezahlt, die nun auch die Stilllegungen wieder finanzieren sollen.
Der Unmut der Belegschaften richtet sich oft genug gegen eine angeblich arbeitsplatzvernichtende ökologische Politik, anstatt gegen die Profiteure dieser Energiepolitik in den Konzernen.

Import von "schmutzigem" Strom verstärkt

Die Liberalisierung des Strommarkts in der EU nützt den großen Energieversorgungsunternehmen, die weitere Konzentrationsschritte gemacht haben. Die Durchleitungspflicht besagt, dass Strom von jedem Erzeuger an jeden Verbraucher geleitet werden muss. Dafür gibt es aber Gebühren. Die Folge ist vor allem, dass die Versorgungsunternehmen den Strom dort einkaufen, wo er am billigsten ist. Das kann mal Wasserkraft aus Norwegen, Atomkraft aus Frankreich oder Braunkohlestrom aus der Lausitz sein.
Behauptet wird, dass vor allem die Exporteure von Atomstrom von der Entwicklung in der BRD profitieren. Wirtschaftsminister Müller hat verlangt, dass kein sog. "schmutziger Strom" an Stelle von stillgelegten Kapazitäten tritt. Dies richtet sich vor allem gegen Atomkraft aus Osteuropa wegen der Sicherheitsstandards oder gegen filterlose Kohlekraftwerke.
Die osteuropäischen Länder haben jedoch zum Teil Tauschabkommen geschlossen, in denen Stromlieferungen gegen Umrüstung der Kraftwerke und andere Investitionen vereinbart sind. Die Länder wollen ihren Strom zu niedrigsten Preisen absetzen und das begünstigt natürlich die Profite der hiesigen Versorgungsunternehmen, die sich deshalb auch scharf gegen alle Absichten der Regierung gewandt haben.
Der europäische Stromverbund ist aber inzwischen eine Realität, in dem von "schmutzigem Strom" in Gegensatz zu "sauberem" nicht geredet werden kann. Der Energiemix ist auf Jahrzehnte in Richtung Atomkraft ausgebaut worden. Der geringere Sicherheitsstandard der osteuropäischen Reaktoren ist genau so ein Problem wie das Überangebot an Atomstrom in Frankreich, aber auch das ist nicht durch Verbot des Handels, sondern durch Stilllegung der Atomkraftwerke zu regeln.
Dieser billige Strom ist teuer erkauft, wie die IG-BCE-Zeitung zu Recht bemerkt — aber ohne die nötigen Konsequenzen zu ziehen.

Rolf Euler

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