Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.26 vom 21.12.2000, Seite 6

PDS/Offene Liste im Duisburger Rat

Interview mit Hermann Dierkes

Seit über einem Jahr bist du nun Fraktionsvorsitzender der PDS/Offene Liste im Duisburger Stadtrat. Wir bilanziert ihr eure bisherige Arbeit?

Hermann Dierkes: Die PDS/Offene Liste (PDS-OL) ist ein Bündnis aus verschiedenen Organisationen (PDS, DuisBürgerBündnis — DUBB, eine radikaldemokratische und ökologische kommunale Wählervereinigung, die 1994 entstanden ist, DKP) und Einzelpersonen. 1994 hatte ich bereits zusammen mit anderen GenossInnen mit dem DuisBürgerBündnis (DUBB) zu den Kommunalwahlen kandidiert; im Norden der Stadt erzielten wir damals über 4%, stadtweit rund 2%.
1999 kam es zur Bildung der PDS-Offene Liste, der sich das DUBB überwiegend angeschlossen hat. Es hat sich deshalb nicht aufgelöst, es hat auch keine Spaltung über diese Beteiligung gegeben, obwohl eine Minderheit Vorbehalte gegenüber der PDS hatte. In den nördlichen Stadtbezirken Hamborn und Meiderich hat die PDS-Offene Liste nicht zur Bezirksvertretung kandidiert, da ist das DUBB allein — und mit Erfolg — angetreten.
Im Rahmen des PDS-Wahlkampfs hat die PDS-OL hat als einzige in NRW den Status einer Ratsfraktion erobert. Sie ist mit 3 Mandaten (von 74) vertreten. Die örtlich seit Jahrzehnten dominierende SPD war zum ersten Mal unter die 50%- Marke gerutscht und gezwungen, eine De-facto-Koalition einzugehen. Jeder erwartete, sie würde dies mit der CDU tun, weil sie mit ihr schon seit langem zusammenarbeitet und es in wesentlichen Fragen völlige Übereinstimmung gibt. Zu aller Überraschung hat sie dann aber eine Zusammenarbeit mit den Grünen vereinbart — ohne jede gemeinsame Plattform, nur auf der Basis interner Absprachen. Rechtlich gibt es zwar keine Koalition auf der Kommunalebene, dennoch funktioniert das Ganze weitgehend wie eine Koalition, bei der natürlich die SPD den führenden Part spielt. Die Grünen, die hier einmal als linker Kreisverband galten, haben sich völlig angepasst.
Die PDS-OL sitzt ausserdem noch in den Bezirksvertretungen Innenstadt und Duisburg- Rheinhausen. Wir sind in 13 Ratsausschüssen vertreten. In einigen wenigen können nur die Ratsmitglieder selbst teilnehmen. Darüber hinaus bietet die Gemeindeordnung in NRW aber die Möglichkeit, sog. bürgerschaftliche Mitglieder in die Ausschüsse zu entsenden, die selber nicht gewählt sind, die die Fraktion aber nominiert. Es gibt ausserdem die Institution der sog. sachkundigen EinwohnerInnen, also solcher BürgerInnen, die keinen EU-Pass haben. Davon haben wir Gebrauch gemacht.

Sind das vollberechtigte Ausschussmitglieder?

Hermann Dierkes: Nein, leider nicht. Nach der Streichung der 5%-Hürde bei Kommunalwahlen durch das Verfassungsgericht NRW hat es der Landtag versäumt, die Gemeindeordnung auch von zahlreichen kleineren 5%-Hürden zu reinigen. Eine Reform der Gemeindeordnung wäre dringend notwendig; sie ist in vielen Punkten undemokratisch. Unter anderem sieht sie vor, dass die Ausschüsse nach dem Hondtschen Verfahren zu besetzen sind, ein Rechenverfahren, das Mehrheiten begünstigt und Minderheiten benachteiligt. Wir haben in der ersten Ratssitzung gerade diesen Konflikt ausgetragen.
Die Gemeindeordnung sagt: Der Rat und niemand sonst verständigt sich über Anzahl und Besetzung der Ausschüsse. Was aber ist gelaufen? Unter Ausschluss der PDS-OL haben sich die Abgeordneten der anderen Parteien auf die Anzahl der Ausschüsse geeinigt und sind nach d‘Hondt vorgegangen. Dabei sind wir überall hinten runter gefallen. Jetzt dürfen wir in jedem Ausschuss nur noch ein beratendes Mandat wahrnehmen — das immerhin konnte man uns nicht verweigern, das wäre auch ein formeller Verstoß gegen die Gemeindeordnung gewesen.
Wir haben ihnen dann angekündigt, dass wir jeden Sachverhalt, den wir für politisch wichtig erachten, in den Rat bringen werden, wo wir auch abstimmen können, und uns nicht damit bescheiden, ihn nur in den Fachausschüssen zu diskutieren. Das tun wir auch.

Wie organisiert ihr eure Arbeit?

Hermann Dierkes: Wir führen monatlich eine Vollversammlung der PDS-OL im Rathaus durch; sie ist öffentlich, jede und jeder kann da hin. Dort diskutieren wir die großen Linien kommunalpolitisch relevanter Themen. Ziel ist, dass die Gesamtfraktion (Ratsmitglieder, Fachausschussmitglieder, Bezirksvertreter, Fraktionsgeschäftsführung) die Anregungen aufgreift und im Rat umsetzt. Seit über einem Jahr kommen regelmäßig zwischen 30 und 50 Leute auf diese Versammlungen. Das sind bei weitem nicht nur PDS-OL-Mitglieder. Einige schnuppern nur mal rein, andere bleiben und werden zu festen MitstreiterInnen. Abstimmungsberechtigt ist nur, wer mindestens dreimal teilgenommen hat.
Die PDS-OL gibt zusammen mit der Ratsfraktion eine Zeitung namens Standpunkt heraus, die eine Auflage von 10000 Exemplaren hat. Derzeit bereiten wir die fünfte Ausgabe vor, mit einer Auflage von 14000 Exemplaren. Wir verteilen sie überwiegend gezielt in den Stadtteilen, von Hand. Die Zeitung findet großen Anklang. Sie ist ein wichtiges Instrument, u.a. weil die örtliche Presse unsere Positionen nur sehr verkürzt darstellt, obwohl wir vor jeder Ratssitzung oder bei wichtigen politischen Fragen Pressekonferenzen abhalten, zu der die Tagespresse und das Lokalradio auch regelmäßig kommen.
Am Anfang sind die Medien buchstäblich auf uns geflogen, auch die überregionalen., aber wenn es in die "Niederungen" der Kommunalpolitik geht, lässt das Interesse leider nach. Wir arbeiten ja jetzt auf sehr vielen kommunalpolitischen Gebieten und haben zu vielen Fragen Positionen entwickelt. Wir haben deshalb oft den Eindruck, die Lokalredaktionen schrecken davor zurück, zuviel PDS-OL zu bringen, das brächte sie in Konflikt mit Inserenten und großen politischen Interessengruppen. Wir sind halt nur eine kleine Gruppe, ein dicker Floh im Nacken unserer Gegner, aber mehr auch nicht. Das schafft auch eine Begrenzung im Medienecho.
Die Ratsfraktion hat einen Solifonds eingerichtet, der sich aus Spenden der Mandatsträger und SympathisantInnen speist. Jährlich stehen uns so rd. 10000 DM zur Verfügung, die in politische und soziale Projekte fließen.
Die Gesamtfraktion tagt ebenfalls monatlich. Über den Fraktionszuschuss der Stadt (rd. 14000 DM) finanzieren wir die Fraktionsgeschäftsstelle und deren laufende Arbeit. In Kürze werden wir sie zu einem Zentrum mit multifunktionaler Nutzung ausgebaut haben, wo wir kleinere Veranstaltungen u.ä. anbieten.
Die Mitarbeiter in den Ausschüssen sind aufgefordert, sich jeweils Arbeitskreise zu schaffen; das funktioniert bisher ganz gut in den Bereichen Umwelt, Verkehr und Schule, ist aber noch ausbaufähig. Im Umweltausschuss z.B. vertritt uns Jürgen Kind, ein bekanntes Mitglied der Bürgerinitiative gegen Umweltgifte, die seit Mitte der 80er Jahre im Duisburger Norden aktiv ist. Als er sich bereit erklärte, das Mandat anzunehmen, wurde er sofort aus der SPD ausgeschlossen. Die Anträge und Stellungnahmen werden vom Arbeitskreis vorbereitet, in dem Mitglieder aus verschiedenen Umweltgruppen und kompetente Fachleute sitzen, die an der Basis verankert sind und die Probleme aus der Praxis diskutieren und bewerten können.
Ähnlich funktioniert es im Schulausschuss und im Verkehrsausschuss. Aber leider haben längst nicht alle Ausschüsse, in denen wir sitzen, diese enge Verbindung zu den sozialen Bewegungen hinbekommen.
Wir suchen auch Bürgerinitiativen und Vereine auf. Ein Beispiel: Im Duisburger Norden gibt es eine alte Zechenhaussiedlung, die denkmalgeschützt ist, wo viele ältere Menschen wohnen. Diese befindet sich in der Hand einer städtischen Gesellschaft und ist in katastrophal schlechtem Zustand. Die Gesellschaft ist seit Jahren durch Ratsbeschluss gehalten, die Siedlung zu verkaufen; sie macht deshalb nur noch Allernötigste an Instandhaltungsarbeiten. Die Häuser sind feucht, es hat sich Schimmel gebildet. Wir haben Kontakt zu den BewohnerInnen aufgenommen und die Sache publik gemacht.

An welchen Fragen konntet ihr gesellschaftliche Auseinandersetzungen zuspitzen und in den Rat hineintragen?

Hermann Dierkes: Es gab eine massive Auseinandersetzung über den Umgang mit Flüchtlingen in der Stadt. Eine Familie wurde nach Mazedonien abgeschoben. Zusammen mit kirchlichen Kreisen, GewerkschafterInnen und Flüchtlingsinitiativen haben wir uns für den Verbleib der Familie eingesetzt. Der Fall war zweimal im Petitionsausschuss des Landtags, wurde dort als sog. Altfall befürwortet. Nichtsdestotrotz ist die Stadt vor Gericht gezogen und hat sich von dort grünes Licht für die Abschiebung geholt. Wir haben eine massive Öffentlichkeitsarbeit gemacht und die restriktive Flüchtlingspolitik der Stadt angeprangert. Im Rat hat es dazu widerwärtige Auseinandersetzungen gegeben, mit offenem Rassismus und üblen Beschimpfungen. Wir haben das Wortprotokoll dieser Ratssitzung und haben daraufhin Anzeige auf üble Nachrede erstattet.
Wenn die Mehrheitsparteien politisch in die Ecke getrieben werden, neigen sie leicht dazu, ausfällig zu werden, nicht nur in diesem Fall. Gerade von der CDU, dieser offenen Vollzugsanstalt für die Helden der Schwarzkassen, sind wir inzwischen einiges gewöhnt.
Eine andere Auseinandersetzung läuft um die Präsenz einer Neonazisszene in Duisburg. Die ist bei uns mit Anschlägen noch nicht in Erscheinung getreten, obwohl wir kürzlich Hinweise erhalten haben, dass die Nazis kurz davor waren, unsere Geschäftsstelle abzubrennen. Das haben wir zum Glück verhindern können. Die Neonazis sind hier bisher nur in Nachbarstädten aktiv, sie gehen nach Düsseldorf und in andere Städte und zerkloppen dort Jugendzentren u.ä. Die hiesige Polizei leugnet ständig die Existenz dieser Szene, das greifen wir öffentlich massiv an.
Auch darüber gab es im Rat heftige Auseinandersetzungen. Als wir dort aussprachen, war später Thierse u.a. auf Großdemonstrationen bekannten, dass der Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft kommt, gab es eine richtige Hexenjagd gegen uns, von CDU und SPD. Als ich gesagt habe, wir, die Politiker, müssen sehr genau darauf achten, welche Argumentationsmuster und welche Leitbilder wir benutzen, damit wir nicht vorhandene Vorurteile bestärken oder sogar mobilisieren, die Zündstoff für Neonazis geben können, da haben Teile der SPD getobt und ein halbes dutzend CDU-Räte ist aufgesprungen und hat den Saal verlassen!
Inzwischen hat sich ein Bündnis Humanes Duisburg gebildet, das die drei Komponenten des Rassismus aufs Korn nimmt: den staatlichen Rassismus, die Vorurteile in der Masse der Bevölkerung und die Umtriebe der Neonazis. Noch arbeiten die Grünen darin mit, natürlich auch wir. Die Sache ist allerdings nicht spannungsfrei. Die Grünen wollten nach der Abschiebung der Roma-Familie eine kommunale Härtfallkommission einrichten, die ein Anhängsel des Ordnungsamts sein sollte. Das halten wir für unakzeptabel; sie muss unabhängig sein, sich aus Vertretern den Flüchtlingsarbeit zusammensetzen, die die faktische Lage der Betroffenen beurteilen können, vor allem in den Asylunterkünften — die Zustände dort sind verheerend. Wir haben eine Untersuchung darüber laufen, haben mit der PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke demonstrativ zwei Heime begangen, um Öffentlichkeit herzustellen, und fordern die konsequente Unterbringung in privaten Wohnungen. Das will die Stadtverwaltung aber nur in Ansätzen. In der Ratsdrucksache fand sich eine offen rassistische Argumentation. Auch in dieser Frage haben wir die Oberbürgergermeisterin als Chefin der Verwaltung wegen Volksverhetzung angezeigt, leider ohne Erfolg.

Wie kriegt ihr die Offene Liste ans Arbeiten und welches Verhältnis habt ihr zum Kreisverband der PDS?

Hermann Dierkes: Das Monatstreffen der PDS-OL ist ein niederschwelliges Angebot für alle Interessierten. Ein Teil dieser Menschen kommt aus Basisinitiativen und Bewegungen und bringt entsprechende Erfahrungen mit, macht auch eigene Vorschläge. Wir haben uns auch vorgenommen, mit anderen politischen Strömungen zu sprechen, z.B. mit solchen, die aus den Grünen ausgetreten sind. Die Diskussion über die Themen und die Verständigung über Aktivitäten ist ein gutes Mittel, um Menschen in praktische Aktionen einzubeziehen — z.B. in den Widerstand gegen das asoziale Bäderkonzept in der Stadt, gegen die Flüchtlingspolitik etc.
Es gibt das Angebot, entweder in den Arbeitskreisen mitzuarbeiten, oder selber Initiativen zu ergreifen: Flugblätter, Aktionen. So können wir mit der Zeit mehr Menschen in Aktionen einbeziehen. Die Vollversammlung hat einen gewählten Arbeitsausschuss, der die Aktivitäten der Offenen Liste leitet. Er ist von den Fraktionsmitgliedern im Rat völlig getrennt.
Der Kreisverband der PDS in Duisburg ist zahlenmäßig sehr schwach und politisch gespalten: ein Teil orientiert sich an der KPF, ein anderer neigt mehr der Parteivorstandsmehrheit zu. Letzterer ist überwiegend politisch passiv. In der Vergangenheit gab es einige unnötige und sehr ideologisierte Auseinandersetzungen, die wenig von der politischen Praxis bestimmt waren.
Ich selbst bin bisher nicht Mitglied der PDS und nehme auch an den KV-Sitzungen nicht teil. Die Partei vor Ort ist von der Arbeit in Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und anderen Bewegungen ziemlich abgeschnitten. Das ist ein Problem, das sie bisher nicht überwunden hat.

Das Interview führte Angela Klein.

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