Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.26 vom 21.12.2000, Seite 10

Bürgerbahn statt Börsenbahn

Für eine grundlegende Wende der Verkehrspolitik

Die Initiatoren der Erklärung "Bürgerbahn statt Börsenbahn" gehören vier im Bundestag vertretenen Parteien an, einer von ihnen ist Belegschaftsvertreter des führenden Bahntechnikherstellers in Deutschland. Sie sind tief beunruhigt über die katastrophale Situation im Schienenverkehr und bei der Deutsche Bahn AG. Sie sehen als Hauptverantwortliche die Verkehrspolitik in Bund und Ländern und das Topmanagement der Deutsche Bahn AG.
In einer ausführlichen Erklärung analysieren sie die tiefe Krise der Bahn und ihre Ursachen. Die Schlussfolgerungen, die sie daraus ziehen, sind verkürzt die folgenden:



1. Eine neue Verkehrspolitik muss auf die Grundsätze verpflichtet sein: vermeiden, verkürzen, verlagern. Viel derzeit stattfindender Personen- und Güterverkehr ist überflüssig bzw. bestehende Verkehrs- und Transportwege können mit einer entsprechenden Struktur- und Preispolitik verkürzt werden. So sind die externen Kosten des Verkehrs zu berücksichtigen. Ein dringend erforderlicher neuer Bundesverkehrswegeplan muss umgekehrte Prioritäten als alle bisherigen haben: Ausbau der Schiene — in der Summe kein weiterer Bau von Straßen und Landebahnen. Dies erfordert nicht nur eine vorausschauende Klimaschutzpolitik, sondern eine Vorsorgepolitik zu Gunsten all derjenigen, die heute oder künftig sich kein Auto leisten und die einen Beitrag zum Klimaschutz bringen wollen.

2. Die Orientierung der Deutschen Bahn AG an Börse und auf eigenwirtschaftliche Rentabilität ist zumindest unter den gegebenen Bedingungen abzulehnen. Ähnlich wie in den Sektoren Ausbildung, Gesundheit und Altersvorsorge halten wir den Gedanken einer Grundvorsorge des Gemeinwesens für eine Errungenschaft der bestehenden Gesellschaft. Der Bund muss auf absehbare Zeit 100%iger Eigentümer der Deutsche Bahn AG bleiben. Schienenstrecken sind als infrastrukturelle Grundversorgung des Gemeinwesens zu verstehen.

3. Notwendig ist der flächenhafte Erhalt und Ausbau des Schienennetzes mit seinen Infrastruktureinrichtungen. Wie im Straßenverkehr und wie beim Internet muss im Zentrum der Netzgedanke stehen — auch hinsichtlich Geschwindigkeit: Wichtig ist eine insgesamt ausreichend hohe "Netzgeschwindigkeit", nicht Höchstgeschwindigkeiten von Zentrum zu Zentrum. Dieses Ziel wird in erster Linie durch eine optimale Abstimmung von Nah-, Regional- und Fernverkehr realisiert ("integrierter Taktverkehr").

4. Auf der Tagesordnung steht eine umfassende Modernisierungsoffensive im Schienenverkehr. Intelligente Technik, die mehr Komfort und weniger Energieverbrauch garantiert, ist weitgehend vorhanden. Die Gesellschaft muss die Bahnindustrie als strategische Industrie für die Verkehrswende und für eine umweltverträgliche Politik begreifen.

5. Die Tarife und Preise im Verkehrssektor müssen die Politik der Verkehrswende flankieren. Öffentlicher Verkehr muss deutlich preiswerter als der motorisierte Individualverkehr sein. Dabei kommt Angeboten wie BahnCard, Umweltmonatskarten und Jobtickets eine große Bedeutung zu. Solche Angebote sind in ihrer Funktion auszubauen und als universelle Zugangskarten zu "Komfortmobilität" zu verstehen. Strikt abzulehnen sind die Pläne des Bahnmanagements, die BahnCard erneut zu verteuern und in ihrer Funktion zu reduzieren.

6. Im Mittelpunkt einer Politik der Verkehrswende steht der Mensch — auf beiden Seiten, als Kunde und als Beschäftigter. Es geht im öffentlichen Verkehr um Fahrgäste und nicht um Beförderungsfälle. Das erfordert eine kundenorientierte und kundennahe Geschäftspolitik. Oft ist es billiger und sinnvoller, dass Personal in ausreichender Zahl an Schaltern und auf Bahnhöfen präsent ist, als in Hochgeschwindigkeit zu investieren: Teuer erkaufte Minutengewinne auf der Strecke verliert der Fahrgast oft durch Warten vor Schaltern und Automaten. Vergleichbares gilt für den Güterverkehr und das Verhältnis Bahn zur Wirtschaft.
Der weitere Abbau der Belegschaft der Deutsche Bahn AG ist kontraproduktiv, weil damit elementare Standards für Service und Sicherheit gefährdet werden. Stattdessen ist im Rahmen der Politik der Verkehrswende eine Personalpolitik zu verfolgen, die den bei der Bahn Beschäftigten das erforderliche Selbstwertgefühl zurück gibt und zu einer inhaltlich begründeten Identifikation mit Unternehmen und Unternehmenszielen führt ("Corporate Identity").
Diese Zielsetzungen sind nur zu verwirklichen in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis, zu dem sich Freundinnen und Freunde der Bahn in Verbänden, Gewerkschaften und Initiativen zusammenfinden müssen. Die Unterzeichnenden* verlangen eine Bürgerbahn statt einer Börsenbahn und fordern für die hier skizzierten Zielsetzungen zu einem solchen breiten Bündnis auf.

*Johannes Hauber, Andreas Kleber, Heiner Monheim, Jürgen Rochlitz, Winfried Wolf.

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