Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.26 vom 21.12.2000, Seite 12

Chiapas

Neue Hoffnung für Zapatisten?

In 15 Minuten werde er den Konflikt mit den aufständischen Zapatisten in Mexikos südlichem Bundesstaat Chiapas lösen, hatte Vicente Fox im Wahlkampf großpurig verkündet. Als seit wenigen Wochen amtierender Präsident wird sich der Unternehmer und Politiker von der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) an andere Zeitrechnungen gewöhnen müssen. Aber innerhalb von sechs Tagen setzte er bezüglich Chiapas mehr ermutigende Zeichen als sein PRI-Vorgänger Ernesto Zedillo in sechs Jahren. Die indianischen Aufständischen und ihr weißer Sprecher Subcomandante Marcos haben das honoriert: Sie brachen ihr monatelanges Schweigen und ließen erstmals nach dem Verhandlungsabbruch 1996 durchblicken, dass sie eine friedliche Einigung mit der Regierung wieder für möglich halten.
Kein Tag in diesem Monat verging ohne neue Nachrichten aus dem Konfliktgebiet. Fox hielt seine Versprechen, mit dem Amtsantritt einen Teilrückzug der Bundesarmee zu befehlen und durchzusetzen. Prompt folgte am 2.Dezember die Antwort der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee (EZLN) mit ihrem Dialogangebot: In seiner ersten Stellungsnahme seit über sechs Monaten rechnete Subcomandante Marcos mit der scheidenden Regierung von Ernesto Zedillo ab und bot Präsident Fox Gespräche an, zu denen er selbst mit hochrangigen EZLN-Kommandanten in die Hauptstadt reisen wolle. Auf die gleichzeitig gestellten Minimalbedingungen — unter anderem die Freilassung von zapatistischen Häftlingen — reagierte der neue Präsident postwendend mit einer Zusage.
Anfang Dezember brachte Fox im Parlament einen Gesetzesentwurf zur Stärkung der Indígena-Rechte ein und räumte damit die Hürde aus dem Weg, die vor Jahren die Friedensverhandlungen zum Erliegen brachte. Damals scheiterte ein parteiübergreifender Gesetzentwurf zur verfassungsrechtlichen Umsetzung des Dialogs von San Andrés am Veto von Ernesto Zedillo, nachdem die Zapatisten ihm zugestimmt hatten.
Die jüngste Entwicklung ist angesichts des langen Stillstandes geradezu atemberaubend. Gegen eine vorschnelle Euphorie sprechen aber mehrere Gründe. Fox selber legt oft ein patriarchalisches Verhalten an den Tag und hat verschiedentlich geäußert, die Indios müssten in das mexikanische (Wirtschafts-)Leben integriert werden. Den Zapatisten geht es aber nicht um Bevormundung und auch nicht um eine Assimilierung. Wenn bei Verhandlungen die unterschiedlichen Vorstellungen aufeinander prallen, wird der Präsident beweisen müssen, ob er nicht nur erfrischend forsch, sondern ebenfalls geduldig sein kann. Und ob er nur dem Sprecher Marcos zuhören will oder genauso den umständlicher sprechenden Indígenas, die sich lieber 15 Monate als 15 Minuten Zeit nehmen, um gründlich über ihre Ideen und Probleme zu diskutieren.
Im neuen Kabinett gibt es anerkannte Menschenrechtler genauso wie stark rechtslastige Personen. Welche Ausrichtung sich in der Regierung letztendlich durchsetzt, hat Auswirkungen auf die Verhandlungen mit den Zapatisten. Ein Teilrückzug der Militärs aus Chiapas ändert noch nichts Grundlegendes an der Tatsache, dass der Bundesstaat immer noch völlig militarisiert ist. Zudem waren die ersten Aktionen gegen antizapatistische Paramilitärs im Bundesstaat wenig erfolgreich. Seit dem 1.Dezember können der neue Gouverneur Salazar, der als Einheitskandidat der Opposition auch in Chiapas die 70-jährige PRI-Herrschaft beendete, und der neue Präsident gemeinsam weitere Akzente setzen — wenn sie dies wirklich wollen.
Tatsache ist, dass Vicente Fox mit seinem Vorgehen erst einmal die Initiative übernommen hat. Die Zapatisten, die mehrmals vergeblich versuchten, landesweit eine breite zivile Bewegung aufzubauen, müssen reagieren. Wenn sie im Februar mit einer großen Delegation zu Gesprächen nach Mexiko-Stadt reisen, haben sie erstmals wieder eine wirksame Plattform, ihre Anliegen einer breiten Öffentlichkeit vorzutragen. Dies könnte das zuletzt abgeflaute Interesse an ihrer Sache neu zu beleben. Sie treffen dann allerdings auf einen politischen Gegenüber von ganz anderem Kaliber als es Vorgängerpräsident Zedillo war.

Gerold Schmidt

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04


zum Anfang