Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.02 vom 17.01.2001, Seite 1

Uran-Munition

Bevölkerung in Gefahr

Umgerechnet 10 Tonnen Uran hat die NATO während ihres 78 Tage dauernden Luftkriegs gegen Jugoslawien verschossen. Wie sie inzwischen zugibt, wurden 123 Ziele mit der Uranmunition bombardiert, 112 davon liegen in Kosovo, die übrigen in Serbien und Montenegro.
Überraschend neu ist das alles nur wegen der Details. Schon im April 1999 warnte das International Action Center vor dem Einsatz uranhaltiger Geschosse, nachdem bekannt wurde, dass die USA A-10-Warthog-Flugzeuge einsetzen, Flugzeuge, die mit eben dieser Munition bestückt sind. Bis die NATO die Verwendung von Uranmunition offiziell zugab, sollte noch ein Jahr vergehen.
Bereits im Bosnienkrieg und im Golfkrieg hatten die USA die sog. DU-Munition (Depleted Uranium) eingesetzt. 300 Tonnen Uran wurden am Golf verschossen. Vor den Folgen warnte etwa Doug Rokke schon 1991. Damals war er Direktor des Pentagon- DU-Projekts und hat nach dem Golfkrieg in Saudi-Arabien und Kuwait die Entsorgung verseuchter Fahrzeuge, Leichen und Ausrüstungsgegenstände überwacht. Inzwischen ist er schwer erkrankt, von seinem damaligen fünfzigköpfigen Team sind seitdem zehn Menschen gestorben.
"Damals wie heute galt das mediale Interesse in der Hauptsache betroffenen Soldaten, keinesfalls der intensiv betroffenen Zivilbevölkerung im Südirak", beklagen jetzt Alexander Kauz, Vorsitzender des Rüstungs- Informationsbüros Baden-Württemberg (RIB), und Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft — Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK).
So ist es auch im Fall Jugoslawien: Die Verwendung von Uranmunition wird nicht etwa kritisiert und wochenlang in den Medien thematisiert, weil die Bevölkerung in Jugoslawien dadurch in Gefahr gebracht wurde. Sondern weil einige Soldaten der Bundeswehr deshalb an Leukämie erkrankt sein könnten.
Einen Unterschied zwischen Golf- und Kosovo-Krieg gibt es allerdings: Beim Golfkrieg war die Bundesrepublik noch nicht direkte Kriegsteilnehmerin. Es kam zu Massenprotesten, am Rhein wurden wegen des Krieges gar Karnevalsumzüge abgesagt. Heute ist alles anders — nach der Teilnahme am Jugoslawien-Feldzug ist die öffentliche Debatte in der Bundesrepublik militarisiert und nationalistisch: Erst die eigenen Soldaten, dann die der Verbündeten und schließlich die Zivilbevölkerung — man muss schließlich Prioritäten setzen.
"Niemand stellt sich die Frage, dass am allermeisten die Zivilbevölkerung im Kosovo und Serbien durch die nicht geräumte Munition gefährdet ist. Dieses Denken der verantwortlichen Politiker — allen voran Bundeskanzler Schröder, Bundesverteidigungsminister Scharping und Bundesaußenminister Fischer — ist zynisch und menschenverachtend", so das vernichtende Urteil von Grässlin und Kauz.
"Ungewarnt: Kosovarische Kinder spielen auf einem zerstörten jugoslawischen Panzer in Kamaran", lautet die Unterschrift zu einem Bild, das in der Frankfurter Rundschau erscheint. Die Rundschau platzierte das Bild auf Seite 2. Aufschrei und Entsetzen in der Öffentlichkeit? Dasselbe Bild auf allen Titelseiten? Weit gefehlt. Die gleiche Öffentlichkeit, die sich wochenlang in größter Sorge um die eigenen Soldaten zeigt, ignoriert das belastende Bildmaterial oder nimmt es nur am Rande zur Kenntnis.
Dabei sind die Fakten bekannt und nachlesbar: Klaus Töpfer, ehemaliger Umweltminister unter Kohl und jetzt Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep), wirft der NATO vor, erst auf Intervention von UN-Generalsekretär Kofi Annan auf die Bitte von Unep reagiert zu haben, die Pläne über die Lage der von Uranmunition getroffenen Ziele rauszurücken. Das geschah schließlich im März 2000 — ein Dreivierteljahr nach Ende des Krieges.
Auf Druck der Öffentlichkeit rücken die Militärs nun nach und nach mit den Fakten raus: Schon während des Krieges hat die NATO ihre Mitgliedstaaten vor möglichen toxischen Wirkungen gewarnt. Weswegen heute Verteidigungsminister Rudolf Scharping belegen kann, dass er deutsche Soldaten mit ABC-Teams in den Kosovo geschickt hat.
Nicht viel anders war es in Italien: In den jetzt in der italienischen Presse veröffentlichten Handlungsanleitungen, die die Soldaten für den KFOR-Einsatz bekamen, ist von "besonderem Risiko" die Rede: "Die Gefahr dieser Munition kommt aus der Giftigkeit des Urans, die sich in seiner chemischen Wirkung ebenso zeigt wie in Strahlungen."
Die Bevölkerung, die im ehemaligen Kriegsgebiet lebt, ließen die NATO- Militärs dagegen über Monate im Dunkeln und setzten sie damit mutwillig tödlicher Gefahr aus. "Im Gegensatz zu den jetzt auf dem Balkan stationierten Truppen verfügen die Zivilisten weder über ABC-Schutzeinrichtungen noch haben sie die Weisung erhalten, keine Produkte aus einheimischer Produktion zu sich zu nehmen", macht die PDS-Abgeordnete Heidi Lippmann das Dilemma deutlich.
Wie groß die Gefahr für die Bevölkerung wirklich ist, wird sich vielleicht im März ermessen lassen, wenn die WissenschaftlerInnen von Unep ihre Untersuchungen abgeschlossen haben. Schon jetzt warnt jedoch der Leiter der Untersuchungskommission, der ehemalige finnische Umweltminister Pekka Haavisto, nach ersten Messungen vor Ort: "Der Boden direkt unter der abgereicherten Uranmunition war leicht vergiftet. Es war eine Überraschung, eineinhalb Jahre nach dem Konflikt Reste abgereicherten Urans einfach auf der Oberfläche zu finden."
Wenn sich die europäischen NATO-Staaten jetzt an die Spitze derer setzen, die einen Verzicht auf DU-Munition fordern, so hat das wenig mit humanitären Motiven zu tun — die Munition sei ja sowieso ungefährlich, wie Scharping nicht aufhört zu beteuern. Vielmehr geht es darum, die Machtverteilung in der NATO zugunsten Europas zu verschieben. So wird schon jetzt um die Rangordnung beim nächsten NATO-Krieg gekämpft und ausgefochten, wer über Beginn, Ziele und eben die Waffen des nächsten Krieges entscheiden darf.

Dirk Eckert

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