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BSE ist zum Katalysator einer wirtschaftlichen wie ökologischen Krise der Agrarwirtschaft geworden. Der neu gewonnene
Spielraum für ein Umlenken kann in eine ganz falsche Richtung gehen.
SPD-Generalsekretär Franz Müntefering räumte am 7.Januar erstmals ein, auch
die bestehende SPD-Grüne-Regierung sei mit "zu großer Selbstsicherheit" davon ausgegangen, Deutschland wäre BSE-frei. In der Tat!
Schon seit Anfang der 90er Jahre musste gesunder Menschenverstand von Expertenweisheit zu schweigen davon ausgehen, dass Rinder in
Deutschland BSE-infiziert sind, alleine schon wegen der Einfuhr von Tiermehl aus Ländern mit manifesten und bekannten BSE-Fällen.
Erst seit 1996 ist die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer in Deutschland
verboten (und dieses Verbot wurde, wie wir heute wissen, in mehreren Fällen missachtet). Doch auch bei der Kälbermast eingesetzte
Milchersatzprodukte, die aus Tierkadavern gewonnene Fette enthalten, können den BSE-Erreger übertragen. Müntefering stellte in Aussicht,
"aus den Fehlern zu lernen", schloss aber personelle Konsequenzen aus.
Natürlich forderten Christdemokraten und Liberale den Rücktritt verantwortlicher
Minister (was die entsprechenden CSU-Verantwortlichen in Bayern ebenso selbstverständlich für sich selbst ausschlossen). Dabei ist die Vogel-
Strauß-Politik der gegenwärtigen Regierung nur die Fortsetzung derjenigen ihrer Vorgängerin, der Kohl-Regierung. Das bedeutet aber nicht, dass
die Rücktrittsforderungen unberechtigt waren.
Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) erklärte noch im November 2000
Deutschland im Brustton der Überzeugung für "BSE-frei". Dabei soll er (laut Bild am Sonntag) im Januar 1999 von Kieler Wissenschaftlern
sogar über konkrete BSE-Fälle in Deutschland unterrichtet worden sein.
Außerdem verbreitete Funke übers Internet gereimte Kalauer, mit denen er sich
über die Ängste der Verbraucherinnen und Verbraucher und über Forderungen nach strengen Kontrollen und strikter Kennzeichnungspflicht lustig
machte.
Der grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer wurde Inkompetenz und
Zurückhalten von Informationen vorgeworfen. Wie dem auch sei, entscheidend ist die hoffnungslos angepasste Politik auch dieser Repräsentantin der
grünen Partei, von der keinerlei Signal für einen Bruch mit der überkommenen Politik ausging, und die nicht einmal die BSE-Krise zum Anlass
nahm, wenigstens Ansätze für eine ökologisch und gesundheitspolitisch alternative Politik zu formulieren.
Ihr größtes Verdienst ist zweifellos ihr Rücktritt, zumal er Funkes Rücktritt
erzwang und dem Bundeskanzler eine Regierungsumbesetzung aufdrängte, die alles andere als geplant war.
Im Vorfeld hatten zwei beamtete Staatssekretäre des Landwirtschafts- und des
Umweltministeriums (Wille und Baake) ein Papier verfasst, in dem die Koppelung von Agrarsubventionen an Umweltauflagen angedacht wird (was die
Europäische Union ihren Mitgliedsländern zumindest freistellt). Hiervon distanzierte sich Funke postwendend, während Umweltminister Trittin
von den Grünen das Papier der Staatssekretäre unterstützte.
Bundeskanzler Gerhard Schröder wiederum, der kraft Gesetz die
"Richtlinienkompetenz" hat, ließ sein Kanzleramt verkünden, die Positionen beider Minister seien gut und bemüht, die Agrarpolitik
"stärker als bisher an den Interessen der Verbraucher" ausrichten zu wollen.
Damit war klar: Kanzler Schröders starker Spruch "Weg von den
Agrarfabriken!" war nur blauer Dunst im Dienst der Vernebelung einer aufgebrachten Öffentlichkeit gewesen. Als jedoch die Umstände
wieder einmal starke Sprüche verlangten, legte Schröder noch einen Zahn zu: In Zukunft solle die Lebensmittelproduktion "von der Ladentheke
aus" konzipiert, in der Landwirtschaft müsse umgesteuert, der Verbraucherschutz gefördert, gar der Einfluss der Bauernverbände (lies: des
Agrobusiness) eingeschränkt werden.
Renate Künast von den Grünen übernimmt ein Ministerium, das jetzt
"für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft" zuständig ist, was eine "Veränderung der
Prioritäten" versinnbildlichen soll wozu die neue Ministerin, dies sei zugestanden, persönlich eher neigen dürfte als ihr
Vorgänger.
Ob die Ersetzung von Andrea Fischer als Gesundheitsministerin durch die SPD-Frau Ulla Schmidt
im politischen Nanobereich Fortschritt oder Rückschritt bedeutet, ist allerdings der Kaffeesatzleserei so wenig zugänglich wie der marxistischen Analyse.
Sicher ist jedoch: Die Schröder-Regierung wird nichts gegen das große Geld
unternehmen, auch nicht im Agrarsektor (was der Kanzler mit dem angeblichen Vorhaben, "dicke Bretter zu bohren" wieder nur vortäuscht), es sei
denn, sie würde durch Mobilisierungen von unten dazu gezwungen.
Die spontane Reaktion der Verbraucherinnen und Verbraucher mit der Folge eines
dramatischen Einbruchs beim Verkauf von Rindfleischprodukten hatte etwas Ermutigendes, aber nur kurze Zeit und oberflächlich. Erstens treffen
solche Reaktionen in erster Linie sichtbare Spitzen der jeweiligen Eisberge, wobei im Falle Rind vom Muskelfleisch womöglich noch die geringsten Gefahren
ausgehen.
Der versteckte Einsatz von Rinderprodukten ist gerade wieder ruchbar geworden. Kaum
gewöhnen wir uns daran, dass der Rinderwahnsinn auch in der "reinen Geflügelwurst" stecken kann, lesen wir von der
Tiermehlverfütterung an Forellen und Karpfen (anerkannter Maßen keine Wiederkäuer...). Beschließen wir dann, rein vegetarisch zu leben,
stoßen wir auf gentechnisch verändertes Gemüse, und außerdem steht am nächsten Tag in der Zeitung, dass viele Produkte aus
Süßholz (Lakritz, aber auch Kindertees) hochgiftige Schimmelpilze enthalten, und dass die Politik sich vorgenommen hat, deren
"weitgehendes"(!) Verschwinden zu erwirken.
Profitwirtschaft im Agrarbereich
Doch unabhängig davon wurde die kurzzeitig aufblitzende und nur scheinbare "Macht
der Konsumenten" sofort ad absurdum geführt. Der Beschluss der Europäischen Union (EU), zwei Millionen "Altrinder" (über
30 Monate alt), hiervon 400.000 in Deutschland, innerhalb der nächsten sechs Monate schlachten und zu Heizmaterial verarbeiten zu lassen, hat absolut nichts
mit der Bekämpfung der BSE-Gefahr zu tun.
Die NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn nannte die Aktion angesichts des Hungers in
der Welt zynisch und forderte, die geschlachteten Rinder wenigstens auf BSE zu testen, um das Bild über die Verbreitung des Erregers vollständiger zu
machen.
Klar ist, dass die Vernichtungsaktion einzig und allein darauf abzielt, Rindfleisch wieder teurer zu
machen.
Das reiht sich würdig ein in eine ganze Kette von Maßnahmen der Agrarpolitik der EU
wie auch ihrer Mitgliedstaaten: Sie verhilft dem Großkapital zu immer größeren Profiten, die hochgelobten marktwirtschaftlichen Regeln jedoch
werden stets über Subventionen einerseits und politisch beschlossene Vernichtungsaktionen andererseits (man erinnere sich an den Umgang mit
"Butterbergen" und "Milchseen") je nach Opportunität außer Kraft gesetzt.
Das erste neue Versprechen Schröders, dass nunmehr "von der Ladentheke aus"
(also wohl ausgehend von den Verbraucherinteressen) gehandelt wird, ist bereits gebrochen.
Es sind nur die Produzentinnen und Produzenten, die eine andere Art zu produzieren durchsetzen und
sich mit den Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher (das heißt auch den eigenen Interessen) verbünden könnten.
Die Produzentinnen und Produzenten sind jedoch nicht die Lebensmittelkonzerne und
Großagrarier, das sind einmal die verbliebenen Bauernfamilien, die nicht immer mehr, immer hektischer, immer unverantwortlicher und ungesünder
produzieren wollen, und zum zweiten die abhängig Beschäftigten des Agrobusiness und der Lebensmittelindustrie. Mit ihnen zusammen müssen
neue Lösungsansätze erarbeitet werden.
In dem Maße wie diese Ansätze ökologisch verantwortlich und
menschenfreundlich geraten, läuten sie das Ende der kapitalistischen Landwirtschaft und der Erzeugung von Lebensmitteln für privaten Profit ein.
Wie diese Lösungen genau aussehen werden, ist nicht restlos geklärt, aber fest steht:
Die Begriffe Genossenschaftlichkeit und demokratische Selbstverwaltung werden in ihrem Rahmen eine herausragende Rolle spielen.
Manuel Kellner
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