Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.02 vom 17.01.2001, Seite 11

IWF & Weltbank

Nächster Schritt: Schuldenboykott

Die Kampagne zur Entschuldung der Länder in der Dritten Welt ist vielerorts zwar offiziell mit dem Jahr 2000 ausgelaufen. Die meisten aktiven Gruppen und Organisationen, die sich zu einem internationalen Netzwerk zusammengeschlossen hatten, wollen jedoch weitermachen.
Mehr als hundert Vertreterinnen und Vertreter von Entschuldungskampagnen trafen sich deshalb Mitte Dezember auf einer internationalen Konferenz in Dakar, um weitere Perspektiven der Kampagne auszuloten. Die Teilnehmenden kamen aus mehreren afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern, aus den Philippinen, den USA, Kanada, Belgien, Großbritannien, Spanien und Frankreich.
Susanne Luithlen, hauptamtliche Mitarbeiterin der deutschen Erlassjahrkampagne, sprach von einer "konstruktiven Atmosphäre" des Dakar-Treffens. Nachdem es im Anschluss an die von den G7-Staaten beschlossene Kölner Schuldeninitiative 1999 zu Spannungen zwischen Netzwerken aus dem Süden und einigen Kampagnen im Norden gekommen war, "haben mehrere Dialogtreffen zu einer besseren Verständigung beigetragen", so Luithlen.
"Die Vorstellung von ,unbezahlbaren‘ Schulden und ,ärmsten‘ Ländern — kritische Punkte, die die internationale Entschuldungskampagne entlang einer mehr oder weniger durchlässigen Nord/Süd-Linie trennten, haben die Nordkampagnen im Grunde genommen fallengelassen", beschreibt der Südafrikaner Brian Ashley, einer der Koordinatoren des eigenständigen Jubilee-South-Netzwerks, seine Eindrücke aus Dakar.
Einhellig hätten die Teilnehmer die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank formulierten Bedingungen für den Schuldenerlass abgelehnt, sagte Luithlen. Von einer "wachsenden Übereinstimmung", dass auch die HIPC-Initiative kein geeigneter Rahmen sei, um eine effektive Entschuldung voranzutreiben, berichtete Jubilee South.

Armutsbekämpfung: Eine Farce

Besonderer Kritik unterzogen die Teilnehmer die neuen Programme der Armutsbekämpfung (PRGF) des IWF und die von den Regierungen der Schuldnerländer zu erarbeitenden Strategiepapiere zur Armutsbekämpfung (PRSP). Die angestrebte Beteiligung der Zivilgesellschaft an den PRSP sei eine Farce und die vielgepriesene Armutsbekämpfung orientiere sich nahezu ausschließlich an den Vorstellungen der Regierungen, des IWF und der Weltbank.
Die Beteiligung werde in einem engen Zeitrahmen erstickt. Aus Zentralafrika sind Fälle bekannt geworden, in denen Regierungen kurzerhand Beamte aus ihren Ministerien als "Vertreter der Zivilgesellschaft" deklariert haben. "Zwischen den alten Strukturanpassungsprogrammen und den Armutsbekämpfungsprogrammen gibt es bis auf den Zeitrahmen keinen Unterschied", so das Ergebnis einer Arbeitsgruppe zum Thema in Dakar.
In diesem Zusammenhang sei es notwendig, die Fixierung auch vieler Nichtregierungsorganisationen auf die von IWF und Weltbank geforderte "Gute Regierungsführung" in Frage zu stellen. Tatsächlich hätten zwar die meisten Regierungen im Süden ein "Demokratiedefizit", so die Arbeitsgruppe, "doch dieses Problem gibt es ebenfalls im Norden". "Gute Regierungsführung" werde immer dann bescheinigt, wenn Regierungen die Bedingungen der internationalen Finanzinstitutionen erfüllen. Zudem führe dies zu der "falschen Annahme", die Regierungen des Südens seien allein für ihre Schulden verantwortlich.
Ein Vertreter des Weltkirchenrates, Mitarbeiter der seit 14 Jahren existierenden Tanzania Debt Coalition, kritisierte das vorherrschende Augenmerk auf die PRSP. Die alten Strukturanpassungsprogramme seien immer noch unverhandelbar und künftig werde sogar mehr an Schuldendienst zu zahlen sein. Insgesamt 157 Bedingungen, die in den neuen Programmen formuliert sind, brächten viele Tanzanier dazu, einen solchen "Erlass" im Rahmen der PRSP rundweg abzulehnen.
Es stelle sich die Frage, ob statt der PRSP nicht besser über die Globalisierung und eine Verbindung mit der internationalen Handels- und Finanzpolitik diskutiert werden solle. Die Verschuldung könnte dabei ein Türöffner zur kritischen Auseinandersetzung sein. Auch die Nordkampagnen forderte der Kirchenmann auf, sich stärker als Teil einer Bewegung gegen die Globalisierung zu verstehen.
Bei der Bestandsaufnahme hielten die Teilnehmer fest, dass es mittlerweile in einigen Ländern des Südens wegen der stärkeren Opposition einen Trend zur verlangsamten Umsetzung von Strukturanpassungen in den Regierungsprogrammen gibt. In vielen Ländern des Südens haben sich Oppositionsparteien, Gewerkschaften, Frauen- und Jugendorganisationen die Forderung nach Schuldenstreichung zu eigen gemacht.
Sogar in Ländern wie Angola seien Fortschritte erzielt worden, so eine Teilnehmerin. Obwohl dort Krieg und Zensur die Möglichkeiten von Informationskampagnen stark einschränken, hätten bisher 250.000 Angolaner Petitionen zur Streichung der Auslandsschulden unterschrieben. Zum großen Teil sei dies der dortigen Friedensbewegung zu verdanken, die auch die Verschuldung der ehemaligen portugiesischen Kolonie zur Sprache brächte.
Auch im Norden ist ein wachsendes Problembewusstsein für die Verschuldung der Dritten Welt zu verzeichnen. Dafür stehen nicht nur Ergeignisse wie die Proteste gegen die Welthandelsorganisation in Seattle oder die gegen die Jahrestagung von IWF und Weltbank in Prag. Auch zahlreiche Kirchen und Organisationen wie der US-amerikanische Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO unterstützen zumindest die Forderung nach teilweisem Schuldenerlass und kritisieren, wie der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (IBFG), zunehmend die Politik der internationalen Finanzinstitutionen. Allerdings sei die Entschuldungskampagne in Asien und in Osteuropa bisher wenig bis gar nicht vertreten.

Von Illegitimität zum Boykott

Ein wichtiger Aspekt der internationalen Kampagne ist die "Unrechtmäßigkeit und Illegitimität" der Schulden, in historischer, sozialer, politischer und kultureller Hinsicht. Informationskampagnen zur Illegitimität der Schulden sind die Grundlage für den zweiten Schritt — die Mobilisierung für einen Boykott des Schuldendienstes.
"Wie läuft diese Kampagne in Lateinamerika und kann sie ein Modell auf internationaler Ebene werden?", war auf der Konferenz von Dakar eine der zentralen Fragen um künftige Strategien. Mit zahlreichen öffentlichen Tribunalen und Petitionen haben Entschuldungskampagnen in Brasilien, Bolivien, Argentinien, Ecuador und Peru auf die Auswirkungen der Verschuldung aufmerksam gemacht und die verantwortlichen Gläubiger benannt.
Damit soll ein kritisches Bewusstsein in der Bevölkerung geschaffen werden, dass zu einer verstärkten Mobilisierungsfähigkeit führt. Das sei in einigen Ländern gelungen. Nun gehe es darum, mit den Regierungen in Verhandlungen zu treten, um einen Boykott des Schuldendienstes umzusetzen.
Eine Phase der Kampagne, die Gefahren birgt. Ein Vertreter der bolivianischen Kampagne mahnte deshalb an, dass "die Verhandlungen mit den Regierungen nach der Mobilisierungsphase angestrebt werden sollten, ohne dabei die ökonomische Aufklärungsarbeit der Bevölkerung zu vernachlässigen".
Yash Tandon, Direktor einer internationalen Entwicklungsorganisation aus Zimbabwe, schlug vor, eine interregionale Studiengruppe zu den Möglichkeiten der Ausweitung einer solchen Kampagne zu prüfen. Eine Sprecherin der kanadischen Erlassjahrkampagne erachtete es als notwendig, sich auch im Norden auf ein mögliches Zustandekommen eines Schuldendienstboykotts einzurichten und auch dort Tribunale durchzuführen. Damit könne auch die aktuelle Legitimationskrise der internationalen Finanzinstitutionen vertieft werden.
Christophe Aguiton, Sprecher von ATTAC-Frankreich, einer internationalen Organisation zur Kontrolle der Finanzmärkte, wies zudem auf die kommende Tagung der G7-Staaten in Genua hin. Auch dort solle es wieder eine Großmobilisierung geben, zu der 200.000 Menschen erwartet werden. Man müsse die Frage stellen, mit welchen konkreten Forderungen die Entschuldungskampagne dort präsent sein wolle, fragte der belgische Wirtschaftswissenschaftler Eric Toussaint.
Jürgen Kaiser von der deutschen Erlassjahrkampagne findet es problematisch, hinter den Gläubigern herzulaufen und "um etwas zu bitten, wenn wir noch kein Forum anbieten können". Die bestehenden Foren seien von den Gläubigern dominiert, welche die Bedingungen für die Entschuldung bestimmten. Weil "die Reichen nicht allein entscheiden" sollen, schlug er Schiedsverfahren vor, die im Rahmen der UN angesiedelt sein und ein "faires Verfahren" zwischen Gläubigern und Schuldnern ermöglichen sollen. UN-Generalsekretär Kofi Annan unterstützt nach Angaben der deutschen Erlassjahrkampagne dieses Anliegen. Auch wenn anschließend die Frage aufgeworfen wurde, ob die UNO tatsächlich ein Garant sei und wer letztendlich die Schiedsverfahren kontrolliere, bestand in Dakar kaum ein Zweifel daran, dass sich Tribunale, Schiedsverfahren und Schuldendienstboykott als strategische Konzepte nicht aussschließen, sondern ergänzen. Das nächste Konsultationstreffen der Nord- und Südkampagnen ist im Jahr 2002 geplant.

Gerhard Klas

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