Sozialistische Zeitung |
Irgendwie hat schon lange am Gesamtbild "Joschka Fischer" etwas gefehlt. Sein "Langer Lauf zu mir selbst"
ist ja insofern verunglückt, als dass er zwar in aller Pracht und Stinkigkeit seinen Marsch in den Arsch der Bourgeoisie verkündet, aber er vergisst, das
berühmte Stückchen herausragen zu lassen, das den kleinen Unterschied zwischen einer technokratischen Karriere im Kreis der Herrschenden und einer
ideologiestiftenden Verräterbiografie ausmacht.
Wenn Friedrich Merz verbissen einbringt, er wäre mit dem Mofa zweimal um die Eisdiele im
Sauerland gebraust, so reicht diese Koketterie mit einer Rebellenjugend noch nicht einmal zur Illustration einer Einführung in die
Straßenverkehrsordnung. Doch in dem Stück "Die neue Weltordnung und Deutschlands Rolle" waren Joschka Fischers antifaschistisches
Pathos, mit dem er den NATO-Krieg gegen Jugoslawien begründete, und all seine staatsmännischen Verrenkungen nicht wirklich überzeugend.
Der Ausstellung "Herrn Josefs Dienst am Vaterland" fehlte ein Quäntchen Authentizität. Ein Messer im Hals oder eine Kugel im
Rückgrat wollte und will ihm niemand wirklich herbeiwünschen. Eine Bettina Röhl am Hals tut es doch auch.
Und so kam die Bilderserie über den "Streetfighter" Fischer aus alten Frankfurter
Spontitagen wie bestellt. Zu groß wäre sonst die Gefahr, dass die Jugend von heute, die Legende, der Außenminister sei mal ein echter Rebell
gewesen, nicht mehr abkauft. Überflüssig zu sagen, dass deswegen natürlich kein Rücktritt erfolgen wird. Ganz im Gegenteil wird es als
Glücksfall bei der Bewältigung der Glaubwürdigkeitskrise der bürgerlichen Politik empfunden, dass sich unter dem äußerlich
und innerlich nahezu baugleichen politischen Personal der Bourgeoisie wenigstens einer mit "einer Vergangenheit" findet.
Joschka Fischer hat überzeugend seine Entscheidung vollzogen: die Gewalt gegen einen
Polizisten war aus damaliger, linker, Sicht eine lächerliche Verzweiflungsgeste, die in erster Linie aus der politischen Theorie- und Strategielosigkeit der Leute
vom "Revolutionären Kampf" zu erklären ist. Aus rechter, bürgerlich-reaktionärer, also der heutigen Sicht des Josef Fischer, war
sie noch nicht einmal dann angemessen, wenn vorher bekannt gewesen wäre, dass da ein "Herr Marx" verprügelt wird. Wenn schon Gewalt,
dann ein richtiger Krieg wie auf dem Balkan, und wenn schon militante Herrschaftsfantasie, dann so wie die neue Freundin Fischers nein, nicht die
angedichtete Geliebte, sondern Madeleine Albright, die sich und dem neuen US-Präsidenten wünscht, dass Fidel Castro in diesem Jahr endlich verrecken
möge.
Jetzt wird es wieder linke Verschwörungsstimmen geben, die hoffentlich nicht alle Jutta mit
Vornamen heißen, die auf der Bruchlosigkeit der Biografie Fischers beharren. Die seinen ewigen "Machtinstinkt", seine theorielose
Dummdreistigkeit und sonstige Geburtsfehler analysieren. Und die einmal mehr fragen, für welche Dienstleistung der Verhaftete Fischer nach der Meinhof-
Demonstration von 1976 so schnell aus dem Polizeigewahrsam entlassen wurde. Lasst lieber die Finger davon: Der Bruch in der Biografie war und ist schon real.
Fischer gehörte weder zu Zeiten des "Revolutionären Kampfs" noch zu Zeiten der mit linken Idealen aufbrechenden neuen grünen
Partei zu den theoretischen Strategen, er brillierte stets mit der geschickten Verkündigung der Ideen anderer, mit dem Vordrängeln bei den "big
points", wie Boris Becker sagen würde.
Das mag ihn prädestiniert haben zum fleischgewordenen Opportunistensack der letzten Jahre,
aber ohne einen wirklichen Bruch mit seiner Vergangenheit, mit der rebellischen Kultur von 1968, mit dem Antiimperialismus der 70er Jahre und mit der
sozialistischen Utopie wäre er nicht zu dem geworden, was er heute ist. Der Bruch war das Eintrittsticket in die Salons. Was bei der Sozialdemokratie immerhin
noch als programmatisches "Ballastabwerfen" zum Erringen der Salonfähigkeit verlangt wurde, reichte bei den Grünen als persönliche
Erniedrigung der Vorkämpfer.
Deshalb ist die Biografie Fischers nicht nur eine der vielen, die mit 18 als Anarchist begonnen, mit 40
als Sozialdemokrat vollzogen und mit 60 als Konservativer beendet wird, sondern sie ist auch bitteres Abbild eines gescheiterten Versuchs der westdeutschen
Nachkriegslinken, "Massenpolitik" zu betreiben. Für dieses Scheitern wird ihm in der Ruhmeshalle der Bourgeoisie sicher ein kleiner Sperrsitz
vermacht werden und in dessen Lehne wird der Name von Bettina Röhl als eine von vielen BastlerInnen am Gesamtbild J.F. eingeritzt sein.
Thies Gleiss
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