Sozialistische Zeitung |
Das Faszinierende am Popmusikmarkt seit der Erfindung der CD und mehr noch des CD-Brenners ist, dass sich die
Produktionsbedingungen für Tonträger radikal verändert haben. Die Schritte vom Musizieren über die Produktion bis zur Vermarktung der
Musik sind kürzer geworden. Das Problem beginnt mehr denn je bei der Vermarktung selber. Dem Versuch der Plattenindustrie, diesen Markt planbarer zu
machen, dienen ein ungeheurer Werbetat und alle erdenklichen Trendanalysen. Doch auch die systemfreundlichste Popmusik entzieht sich immer wieder diesem
Versuch der Kanalisierung. Um so spannender ist es eben für Produzierende und auch für den Kritiker, Trends auszumachen. Am Ende des Jahres 2000
gab es einige neue Aufnahmen, welche die Möglichkeit der Rückkehr südamerikanischer Tänze von den Salsa-Partys einer eingefleischten
Gemeinde in bessere Diskos ankündigen. Dies sowohl in einem eher jazzigen Kontext wie auch bei TripHop-nahen Produktionen.
Auf den ersten Blick ganz klassisch kommt Barbara Thompsons Tangos daher. Mit der gleichen
Besetzung ihrer Band Paraphernalia, mit der sie vor zwei Jahren auf Tournee war, hat sie diese CD im Temple-Studio ihres Drummers Jo Hiseman eingespielt.
Besonders Billy Thompson, der übrigens mit der Saxofonistin in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis steht, gibt den südamerikanischen
Tänzen eine flotte Relaxtheit, die hervorragend zum Tastenspiel von Peter Lemer passt. Kein Wunder, das die beiden neben ihrem Engagement bei
Paraphernalia auch bei anderen Projekten zusammenspielen. Den Geiger lernte Barbara Thompson, die sich auch Botschafterin des britischen Jazz nennen darf, als
Jurorin beim Finale des UK Young Jazz Musician of the year 1996 kennen, bei dem er als Vertreter von Wales an den Start ging. Als Bassist komplettiert Dave Ball
die Formation.
Tango: "Das Gefühl und die Rhythmen schwirren mir im Kopf herum, um
zurückzukehren und mich zu verfolgen." Eine solche Beschreibung des Tangos von Barbara Thompson gilt auch für diese CD. In diesem Sinne am
wirkungsvollsten glänzt die Musik im "Tango 4". Peter Lemer hält das Thema am Klavier, während der Rest der Band um das Motto
kreist, abgleitet, um immer wieder von ihm eingeholt zu werden. Die Stücke auf dieser CD, von denen sechs aus der Feder von Thompson, zwei von Lemer
und eines von Coltrane stammen, machen zudem neugierig auf die Tournee in diesem Jahr, auf die Barbara Thompson und Paraphernalia vom 20. bis 30.März
in der Bundesrepublik gehen.
Ist eine Tangoplatte aus dieser Ecke keine Überraschung, so sorgt die CD DJ Kicks der
Thievery Corporation wirklich für Verblüffung. Was die beiden Club Besitzer und DJs aus Washington hier abgeliefert haben, sucht seinesgleichen in der
Welt der Mischkunst. Eric Hilton und Robert Garza haben hier eine neue Form der World Music geschaffen. In den 18 Stücken verarbeiten die beiden
ewig im Anzug abgebildeten DJs Tänze aus Lateinamerika mit TripHop, samplen Dub hinein und fabrizieren so ein Feuerwerkt
zeitgemäßer Latin Connection. Das ihre Musik in den USA bereits jetzt in der Werbung eingesetzt wird, freut die beiden sogar. Dabei fehlt ihnen die
Clash-Attitude des "wenn man unsere Musik in der Hitparade spielt, gibt es Revolution". Sie wollen kommerziellen Erfolg. Damit spiegeln sie das
Bewusstsein des weitaus größten Teils ihrer Zuhörer wieder. Das unterscheidet ihren Ehrgeiz sicherlich von dem einer Barbara Thompson, der hier
unterstellt sei, dass bei ihr der künstlerische Erfolg an oberster Stelle steht. Hier wird der Generationsunterschied zwischen Musikerinnen und Musikern
deutlich, die ihre musikalische Karriere in den 60er oder in den 90er Jahren begannen.
Tommy Schroedter
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