Sozialistische Zeitung |
Ohne Information der gewerkschaftlichen Basis haben die Verhandlungsführer der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) mit der
Arbeitgeberseite die flächendeckende Einführung von Zielvereinbarungen bei den Telekom-Tochterunternehmen DeTeCSM, DeTeSystem, T-Nova und
T-Mobil vereinbart. Bezahlt werden soll der Aufbau eines variablen Gehaltsanteils mit einem realen Abbau beim garantierten Festgehalt. Bei Teilen der Mitgliedschaft
führte der Abschluss zu ungewöhnlich deutlichem Unmut.
Bisher war die Tarifrunde bei den Telekomtöchtern mehr oder weniger eine Formalität.
Zwar gab es das Ritual von Tarifverhandlungen, aber in der Sache lief es letztendlich darauf hinaus, den Abschluss bei der Telekom-"Mutter" mit leichten
Anpassungen zu übernehmen. Auch im Jahr 2000 schien zunächst alles auf diese Weise zu laufen. Als Ziele für die Tarif- und Besoldungsrunde
nannte die DPG auf einem Plakat im Juli 2000 die Anhebung der Einkommen um 5%, eine Erhöhung des Urlaubsgeldes von 500 auf 650 Mark, die
Übernahme des Tarifvertrags Leistungsentgelt der Telekom AG sowie eine einjährige Laufzeit des Vertrags.
Über den Verlauf der Verhandlungen drang in der Folgezeit nichts nach außen durch
ein Vorgang, der angesichts des wenig lebhaften innergewerkschaftlichen Organisationslebens der DPG nur wegen der langen Dauer ungewöhnlich ist.
Was dann jedoch Ende Oktober in einem Sonderschreiben des DPG-Hauptvorstand den betroffenen DPG-Betriebsräten und Funktionären als Ergebnis
präsentiert wurde, hatte mit den ursprünglichen Forderungen rein gar nichts mehr gemein.
Bei einer 23-monatigen Laufzeit wurde für das erste Jahr eine 1%-Anhebung der Entgelte
vereinbart, für die restlichen 11 Monate gibt es gar nichts, also eine reale Nullrunde. Dazu erhalten alle Beschäftigten eine einheitliche Einmalzahlung
von 500 Mark, die natürlich nicht ins Grundgehalt eingeht.
Begründet wird die Minusrunde beim Grundgehalt damit, dass mit dem beim Grundgehalt
"eingesparten" Geld der Aufbau eines variablen "leistungsabhängigen" Gehaltsanteils finanziert werden soll, der in den nächsten
Jahren auf 10% des festen Grundgehalts ansteigen soll. Der "leistungsabhängige" variable Teil soll durch "Zielvereinbarungen" ermittelt
werden. 1/3 gibt es für die Erreichung der Unternehmensziele, 2/3 für Individual bzw Teamziele.
Abgehobene Entscheidung
Die Einführung von "Zielvereinbarungen" traf die Betriebsräte wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Während den
Tarifverhandlungen hatte es keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass die Einführung von Zielvereinbarungen ein Thema der Verhandlungen sein würde.
In den Gewerkschaftsgliederungen der betroffenen Tochterunternehmen gab es dementsprechend keinerlei Diskussion über den Sinn und Unsinn von
Zielvereinbarungen, ganz zu Schweigen von einer Vorbereitung der betroffenen Betriebsräte auf die Handhabung dieses aus gewerkschaftlicher Sicht mehr als
problematischen Managementinstruments.
Entsprechend waren viele Betriebsräte darüber verärgert, dass eine solch wichtige
tarifpolitische Weichenstellung von der DPG-Verhandlungskommission ohne jegliche Rücksprache beschlossen wurde. Schließlich sind sie es, die vor
Ort das Ergebnis dieser Verhandlungen auslöffeln müssen.
Obwohl laut Tarifvertrag bis 30.Juni die Zielvereinbarungen für das Jahr 2001 abgeschlossen
sein sollen, gibt es bis jetzt noch keine Schulung von Betriebsräten zum Umgang mit diesem Thema. In Teilen der DPG-Mitgliedschaft rief die
Reallohnsenkung beim Grundgehalt heftige Empörung hervor. Trotz allem Geredes über Leistungsentgelt wissen die KollegInnen offenbar noch, dass sie
darauf nicht zählen können. Nur das feste Grundgehalt haben sie in der Tasche.
Viele betrieblichen Funktionäre wiederum waren angesichts der Tatsache, dass sie ja selbst
von den DPG-Verhandlungsführern für dumm verkauft worden waren, nicht willens oder in der Lage, das Tarifergebnis nach unten als positiv zu
verkaufen. Es kam zu einer ganzen Reihe von spontanen Gewerkschaftsaustritten.
Verschleiern und Schönreden
Gewerkschaftsintern war man offenbar über Ausmaß und Heftigkeit der Kritik überrascht. Also ging es jetzt darum, das Ergebnis richtig
zu verkaufen. Das geschah z.T. durch schlichte Falschaussagen. In einem Folienvortrag für die Funktionäre werden die ursprünglichen DPG-Ziele
für die Tarifverhandlungen unterschlagen und durch solche ersetzt, die es in Wirklichkeit zwar nie gab, die sich aber dazu eignen, das Ergebnis als Erfolg
darstellen zu können.
Mündlich vorgetragene Kritik am mageren Abschluss wurde zunächst mit
bemerkenswerten Aussagen beantwortet. Die von realer Absenkung des Grundgehalts begleitete Einführung von Zielvereinbarungen sei der Preis gewesen, den
man für die Verlängerung des Ausschlusses betriebsbedingter Kündigungen bis zum Jahr 2004 bei der Telekom AG habe zahlen müssen,
hieß es plötzlich.
Bezeichnend auch, dass die normalen Gewerkschaftsmitglieder in den betroffenen Telekom-
Töchtern knapp zwei Monate warten mussten, bis sie in einem Mitgliederinfo des Hauptvorstandes über das Ergebnis der Tarifverhandlungen informiert
wurden. Es fällt auf, dass in diesem Text das mehr als beschämende Ergebnis beim Festgeld mit keinem einzigen Wort erwähnt wird.
Neben der ausführlichen natürlich positiven Darstellung des
Zielvereinbarungsprozesses versucht man durch verschiedene Zahlenbeispiele den Eindruck zu vermitteln, dass bei Erreichen der Ziele ein Geldregen auf die
Kolleginnen und Kollegen herab gehen wird, der die Einbußen beim Festgehalt mehr als kompensiert.
Arbeiten ohne Ende
Über den Preis, den die Beschäftigten für das Erreichen der Ziele zu zahlen haben, schweigt man sich aus. Dabei ist sicherlich auch den
verantwortlichen Funktionären in der Frankfurter DPG-Zentrale bekannt, dass zwischen Zielvereinbarungen und dem überall im IT-Sektor zu
beobachtendem Phänomen des "Arbeiten ohne Ende" ein enger Zusammenhang besteht.
Nüchtern betrachtet werden Beschäftigte durch Zielvereinbarungen genötigt, ihre
Bereitschaft zur ständigen Leistungssteigerung schriftlich zu dokumentieren. Ziel dieser Vereinnahmung der Arbeitnehmerpersönlichkeit mit "Haut
und Haaren" ist die systematische Abpressung immer höherer Leistungen.
Die Beschäftigten werden so in einem Zustand permanenter Überforderung gehalten.
Wie sich ein solches "Management durch permanenten Stress" auf das Leben der betroffenen KollegInnen auswirkt, beschreibt ein IBM-Arbeiter:
"Gesundheit, Glück und Zufriedenheit lassen sich nicht mehr mit dieser Art von Arbeit in Einklang bringen. Glückliche und zufriedene Gesichter
findet man heute in den Unternehmen fast nur noch bei Menschen, die wissen ‚wie lange sie noch müssen, wo ein Ende der unerträglichen
Arbeitssituation in Sicht ist ... Es ist das Leben einer Zitrone, die ausgequetscht wird bis kein Saft mehr in ihr ist und dann weggeworfen wird."
In Managerkreisen hat sich inzwischen herumgesprochen, dass "Mitarbeiter”, die sich mit
ihrem Unternehmen identifizieren, produktiver arbeiten. Um sich Zugang zum "Gold in den Köpfen der Mitarbeiter" zu verschaffen, hat für
das Management die ideologische Bearbeitung der Beschäftigten an Bedeutung gewonnen. Mittels immer ausgefeilterer Sozialtechniken sollen die
Beschäftigten auf ideologische Leitbilder eingeschworen werden.
Das Einschwörungsritual der scheinbar freiwilligen Zielvereinbarung zwischen Untergebenen
und Vorgesetzten hat einerseits eine stark ideologische Dimension. Andrerseits wird durch die Auszahlungskriterien bei den variablen Lohnbestandteilen ein starker
Druck auf die Kollegen ausgeübt, sich die Ziele des Managements zu eigen zu machen: Bei den Telekom-Töchtern hängen 33% des variablen
Entgelts vom Unternehmenserfolg ab.
Wenn ein Arbeiter dieses Drittel seines variablen Entgelts einstreichen will, muss das Unternehmen
natürlich seine Unternehmensziele erreichen. Die Definitionsgewalt darüber, was "Unternehmenserfolg" ist, liegt natürlich beim
Unternehmer. Bekanntermaßen ist es in Zeiten des Shareholder-Value üblich, Erfolg danach zu beurteilen, ob ein Unternehmen oder auch nur ein
Unternehmensteil 12% Eigenrendite abwirft oder nicht.
Letztlich sollen die Arbeiter dazu gebracht werden, dass sie zur Erreichung der Unternehmensziele
die eigene Selbstausbeutung in einem permanenten Optimierungsprozess ohne Rücksicht auf eigenes Wohlbefinden und Gesundheit ständig
perfektionieren. Darüber hinaus sollen sie immer "unternehmerisch denken".
Das heißt, sie sollen alle betriebliche Probleme immer aus der Perspektive des Unternehmers
heraus sehen und sich dafür engagieren, dass alles, was nicht der Erreichung der vom Management definierten Profitmarge dient, gnadenlos abgestoßen
wird im Zweifelsfall eben auch sie selbst.
Und wenn das Management falsche Entscheidungen trifft oder der Markt die 12% einfach nicht
hergibt, bleibt der Kollege doch wieder der Angeschmierte. Neben dem Ausbleiben der Prämien drohen ihm dann allerdings die
"Kostensenkungsprogramme" des Managements oder gar die "Desinvestition", sprich Schließung des betreffenden Betriebsteils oder
gar des Unternehmens. Ein wahrhaft gespenstisch anmutendes Szenario, das aber in vielen Betrieben, insbesondere denen der sogenannten "New
Economy", längst Alltag ist.
Gewerkschaftliche Ignoranz
Für die DPG ist all das offenbar kein Thema. Diese Ignoranz ist nicht nur blauäugig; langfristig kann sie selbstzerstörerisch wirken. Denn
selbstverständlich sind die neuen Managementtechniken dazu angetan, die Rolle der Gewerkschaften in den Betrieben immer weiter zu untergraben. Durch
kritiklose Anpassung der Gewerkschaft an Unternehmerparadigmen kann die Unterhöhlung gewerkschaftlichen Einflusses in den Betrieben nicht gebremst,
geschweige denn gestoppt werden.
Dabei ist es natürlich nicht so, dass bis ins Uferlose angestiegene Gleitzeitkonten, freiwilliges
Verfallen-Lassen von Überstunden und andere Phänomene des "Arbeitens ohne Ende" nur unter dem betrieblichen Regime von
Zielvereinbarungen vorkommen. Auch ohne Zielvereinbarungen sind diese Phänome in den diversen Teilen des Telekom-Konzerns weit verbreitet.
Durch die jetzt vereinbarte flächendeckende Einführung von Zielvereinbarungen bis
hinunter zur niedrigsten Tarifgruppe wird dieser Prozess allerdings noch gewaltig an Fahrt gewinnen. Daran ändern auch die im Tarifvertrag durchaus vorhanden
Schutzregelungen nichts. Denn wenn man die bestehenden Regelung konsequent wahrnimmt, muss man zu Konflikten mit der Geschäftsleitung bereit sein.
Damit die vorgesehene paritätische Kommission in Aktion treten kann, müssen sich die
Beschäftigten erst dem Druck der Vorgesetzten widersetzen, die vorgelegten Ziele einfach abzunicken. Für solche Konflikte gibt es im betrieblichen
Alltag Anlässe ohne Ende.
Um diese Konflikte anzunehmen und auch durchzustehen, bedarf es auf Seiten der
Beschäftigten einer klaren Vorstellung von der Gegensätzlichkeit von Beschäftigten- und Kapitalinteressen. Dazu trägt eine DPG, in der der
Gedanke der gewerkschaftlichen Gegenmacht bestenfalls noch in unverbindlichen Festreden vorkommt, leider immer weniger bei. Wenn es konkret wird, dominiert
das Co-Management. Die Folge ist, dass im Bewusstsein der Beschäftigten authentische gewerkschaftliche Positionen praktisch keine Rolle mehr spielen.
Unternehmerdenken hat die unumstrittenen Lufthoheit.
Mit Co-Management in Richtung Abgrund
Obwohl der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den Telekom-Tochterunternehmen im Vergleich zu Firmen wie IBM oder Debis noch relativ hoch ist, ist
die DPG dort nur ein tönerner Riese. Die früher schon stark ausgeprägte Sozialpartnerschaft, wo früher Amtsvorsteher und Abteilungsleiter
in der DPG waren und dann mit den "Kollegen Personalratsvorsitzenden" oft ohne großes Aufsehen Konflikte regelten, lebt in neuem Gewande fort.
Sie hat nach der Privatisierung der Postunternehmen zumindest bei der Telekom die Form des Co-Managements zwischen Unternehmensleitungen einerseits und DPG
und Betriebsräten andrerseits angenommen.
Allerdings haben sich mit der Privatisierung die äußeren Bedingungen geändert.
Denn nun tritt das Management erheblich offensiver auf als zu Zeiten der Bundespost. Auf Seiten der DPG dominiert nach wie vor die Neigung, Konflikte
gütlich per Gipfeldiplomatie zu regeln. Betriebliche Kampfmaßnahmen als Mittel, der eigenen Position im Konflikt mit der Unternehmerseite mehr
Gewicht zu geben, schwinden in der DPG zunehmend aus dem Bewusstsein.
Dass die Belegschaften für Konflikte mit der Unternehmensseite überhaupt noch
mobilisierbar sind, daran glaubt die DPG wohl immer weniger. Je öfter sie aber dem längst fälligen Konflikt aus Angst vor einem ungewissen
Ausgang ausweicht, umso schwerer macht sie es sich, bei der nächsten Provokation durch die Unternehmer den Konflikt anzunehmen.
So auch im vorliegenden Fall: Es war keinesfalls unumgänglich, in dieser Tarifrunde der
Unternehmerforderung nachzukommen. Das Problem war, dass die verantwortlichen Verhandlungsführer der DPG den sich daraus erwachsenden Konflikt mit
der Arbeitgeberseite offenbar gescheut haben. Das Fatale an solchen Verhaltensmustern ist, dass sich daraus eine Dynamik entwickelt, die den Niedergang
gewerkschaftlichen Einflusses immer mehr beschleunigt.
Durch den Tarifabschluss 2000 hat die DPG bei den Beschäftigten viel Kredit verspielt. Der
Glaubwürdigkeitsverlust ist höher als es sich in der Zahl der Gewerkschaftsaustritte ausdrückt. Und das Schlimme ist, dass sich die DPG faktisch
bereits darauf festgelegt hat, in den beiden nächsten Tarifrunden so weiter zu machen.
Denn sie hat sich gegenüber der Unternehmerseite darauf verpflichtet, die variable
Komponente bis auf 10% aufzustocken. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge kann das nur heißen, dass diese Anhebung der variablen Komponente
abermals durch Null- oder gar Minusrunden beim festen Gehaltsanteil gegenfinanziert werden soll. Wenn nicht ein Wunder geschieht bzw. die Basis laut aufschreit,
drohen wohl noch mindestens ein bis zwei weitere ähnlich katastrophale Tarifrunden.
Franz Mayer
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