Sozialistische Zeitung |
Vor dem Hintergrund einer zunehmenden repressiven Vereinheitlichung der Asyl- und Migrationspolitik in Europa gab es in den
letzten Jahren mehrere Ansätze, antirassistisch orientierte Basisgruppen besser zu vernetzen. Noborder nennt sich das zur Zeit sicherlich vielversprechendste
Projekt, in dem Initiativen und AktivistInnen aus Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, Niederlande, der Schweiz, Österreich, Polen, Ukraine und
der BRD zusammenarbeiten.
Am 9. und 10.Dezember des vergangenen Jahres fand in Paris ein drittes Koordinationstreffen statt,
mit dem sich das Projekt weiter zu stabilisieren scheint und neue, aufeinander abgestimmte Aktionen verabredete.
Zum einen soll das "www.deportation-alliance.com"-Projekt weiter ausgebaut werden.
Eine Webseite unter diesem Titel verbindet Kampagnen gegen Fluggesellschaften, die am Abschiebesystem mitwirken. Gegen Martinair in den Niederlanden, gegen
Air France in Frankreich, gegen Sabena in Belgien und gegen Swissair in der Schweiz agierten antirassistische Gruppen schon in den vergangenen Jahren zum Teil sehr
wirkungsvoll.
Ihre Mitwirkung bei Abschiebungen wurde öffentlich angeprangert, die Fluggesellschaften
fürchteten um ihr Image. Ausgehend von diesen Erfahrungen hat der Widerstand gegen Abschiebungen durch die längerfristig angelegten Kampagnen
gegen KLM in den Niederlanden sowie gegen Lufthansa in der BRD neuen Auftrieb erhalten. Zu British Airways, gegen die spanische Iberia oder die
österreichische Austrian Airways sind neue Initiativen im Entstehen.
Der Erfahrungsaustausch und die Entwicklung gemeinsamer Handlungsansätze erweisen sich
als effektive Mittel im Hinblick auf die Störung der Abschiebemaschinerien und tragen zudem zur gegenseitigen Ermutigung bei.
Zum zweiten stehen die Grenzcamps im Mittelpunkt länderübergreifender
Aktivitäten. Als Gegenöffentlichkeit und Widerstandsform gegen die oft tödliche Brutalität der Grenzregimes der Festung Europa wurden
bereits in den vergangenen Jahren vielfältige Aktionen organisiert. Das noborder-Netzwerk hatte diesen Ansatz aufgegriffen und im vergangenen Jahr mit einer
Campkette weiterentwickelt: Grenzcamps 2000 gab es in Ostpolen an der ukrainisch-slowakischen Grenze, an der deutsch-polnischen Grenze, an der "blauen
Grenze" an Italiens Südküste und sogar über Europa hinaus an der mexikanisch-amerikanischen Grenze.
Für den kommenden Sommer sind neue Projekte in Vorbereitung. Anfang Juli 2001 findet
erstmals ein Grenzcamp im südspanischen Tarifa statt. Damit sollen MigrantInnen und Flüchtlinge unterstützt werden, die sich mit Pateras, kleinen
Holzbooten, von Marokko aus nach Spanien und Europa durchzuschlagen versuchen.
Voraussichtlich Mitte Juli werden dann in Ostpolen an der Grenze zu Litauen und Weissrussland
Protestzelte aufgeschlagen. Die Aufrüstung der zukünftigen EU-Aussengrenze und die damit einhergehende Zerstörung z.B. des dort
grenzüberschreitenden Kleinhandels soll ein Hauptthema werden.
Vom 20. bis 22.Juli tagt der G8-Gipfel in Genua. AktivistInnen aus Italien wollen dies zum Anlass
nehmen, die Verantwortlichen der weltweiten Ausbeutung nicht nur erneut mit einer Vielfalt von Widerstandsformen zu konfrontieren, sondern in der inhaltlichen
Ausrichtung das Recht auf selbstbestimmte Migration zu einem Schwerpunkt zu machen.
Schließlich folgt Ende Juli das vierte Grenzcamp von "kein mensch ist illegal" in
der Nähe des Frankfurter Flughafens, um die dort alltägliche Abschiebe-, Kontroll- und Internierungspraxis zu attackieren.
Mittels noborder sollen alle Aktivitäten u.a. mit einem übergreifenden Aufruf und
gemeinsamer Medienarbeit stärker aufeinander bezogen werden. Ein dritter Schwerpunkt des Pariser noborder-Treffens bestand in der Planung eines neuen
dezentralen Aktionstages. Voraussichtlich im Oktober 2001 wird unter belgischer EU-Präsidentschaft ein erneuter Sondergipfel zur
"Harmonisierung" der Justiz- und Innen-, und damit vor allem der Asyl- und Migrationspolitik stattfinden. Aus diesem Anlass werden unter dem Motto
"Volle Freizügigkeit und Abschaffung aller rassistischen Sondergesetze" parallele Aktivitäten vorbereitet.
"Unser Ziel ist und bleibt, die herrschende Politik der Ausgrenzung und Abschiebung nicht nur
zu thematisieren sondern europaweite Strukturen für einen handlungsfähigen Widerstand aufzubauen", so der Inhalt einer
Selbstverständniserklärung. Der praktische Ansatz, die Koordinierung von Aktionen als Ausdruck grundsätzlicher Kritik an der EU-
Migrationspolitik, hat für das noborder-Projekt grundlegende Bedeutung.
Dessen ungeachtet besteht Interesse an Austausch und Diskussionen über die doch sehr
unterschiedlichen Herangehensweisen und theoretischen Einschätzungen der jeweiligen Gruppen. Fragen zu neuen Formen der arbeitsmarktorientierten EU-
Migrationspolitik, zum Zusammenhang von Migration und Globalisierung und nicht zuletzt zur Bezugnahme auf andere gesellschaftliche Auseinandersetzungen
wurden in Paris erstmals angerissen.
Alles in allem scheint die Hoffnung berechtigter denn je, dass die noborder-Vernetzung die
notwendige Entwicklung eines grenzüberschreitenden, nicht nur antirassistischen Widerstands in nächster Zeit einige Schritte weiterbringen kann.
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