Sozialistische Zeitung |
Am 25./26.Oktober 2000 führte die 77.Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) im Beisein von Bundesarbeitsminister
Walter Riester einstimmig folgenden Beschluss herbei: "Die Ministerinnen und die Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Sozialordnung
der Länder appellieren an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, gemeinsam mit den Ländern die notwendigen grundlegenden
Reformen zur Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in Angriff zu nehmen."
Eine solche Zusammenführung wurde zu Zeiten der Kohl-Regierung mit der klaren Absicht
diskutiert, die Arbeitslosenhilfe (AlHi) zugunsten der Sozialhilfe abzuschaffen. Das Vorhaben wurde von der Kohl-Regierung allerdings, wohl auch unter
Einschätzung des damaligen Kräfteverhältnisses, nicht konkret in Angriff genommen.
Eine solche Zusammenführung jetzt, durch die SPD-Grünen-Koalition, wäre ein
grundlegender Paradigmenwechsel im Arbeitsförderungsrecht und hätte einen gravierender Strukturbruch zur Folge. Von den Dimensionen her ginge
dieser Paradigmenwechsel noch über die Teilprivatisierung der Rente hinaus.
Konsequent durchgeführt bedeutet eine solche Zusammenlegung ein Armutsprogramm
für die Mehrheit der aktuell über 1,48 Millionen Arbeitslosenhilfeempfänger und ihre Familien. Davon wären im Osten Deutschlands
insbesondere Frauen betroffen, die dort den Hauptanteil der AlHi-Empfängerinnen ausmachen.
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gehorchen jeweils völlig unterschiedlichen Logiken:
Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe begründet sich aus der ursprünglichen
Arbeitsleistung und wird abgeleitet aus dem letzten Arbeitseinkommen vor dem Bezug von Arbeitslosengeld. Sie ist nach diesem das zweite finanzielles
Sicherheitsnetz für Arbeitslose. Sie kann bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nach jeweils jährlicher Neubeantragung im Prinzip bis zur
Rente bezogen werden.
Im Gegensatz dazu die Sozialhilfe: Ihr Anspruch beruht allein auf der Bedürftigkeit ihres
Beziehers und hat keinerlei Bezug zur Arbeitsleistung und einem ursprünglichen Einkommen. Historisch geht sie zurück auf die traditionelle
Armenfürsorge, die faktisch eine Gnadenleistung der Gesellschaft für die Betroffenen war. Ihre Aufgabe war es, die ansonsten Nutzlosen vor dem
vollständigen Elend zu bewahren, sie aber gleichzeitig durch ihren niedrigen Ansatz erzieherisch dazu anzuhalten, Nützliches zu tun. Zwar gibt es auch
bei der Sozialhilfe keine zeitliche Befristung des Bezugs (wie sie etwa die Clinton-Regierung 1996 in den USA einführte), ihre niedrige Höhe unterhalb
des durchschnittlichen Arbeitslosenhilfeniveaus ermöglicht es aber erst recht nicht, ein Leben auf der Höhe der kulturellen Möglichkeiten zu
führen. Sozialhilfebezug bedeutet im Unterschied zum Bezug von Arbeitslosenhilfe automatisch ein Leben auf dem Armutsniveau.
Arbeitslosenhilfe ist wie das Arbeitslosengeld arbeitsleistungsbezogen. Beides sind
Versicherungsleistungen. Sozialhilfe dagegen ist keine Versicherungsleistung, sondern eine Hilfeleistung der Gesellschaft, die sich aus dem Steueraufkommen speist.
Auf diese Leistung besteht zwar heute ein Rechtsanspruch, sie soll die Führung eines Lebens in Würde ermöglichen (soziales Bürgerrecht).
Allerdings kann sie ihre Herkunft aus der Armenfürsorge nicht verleugnen, was sich nicht zuletzt in ihrem niedrigen Ansatz wiederspiegelt.
Konsequenzen
Die Konsequenzen einer faktischen Abschaffung der Arbeitslosenhilfe durch ihre Zusammenlegung mit der Sozialhilfe wären dramatisch:
Für die Mehrheit der bisherigen Arbeitslosenhilfebezieher ergäbe sich mit dem
Sozialhilfebezug eine deutliche Absenkung ihres Einkommens.
Bei Sozialhilfe gilt im Unterschied zur Arbeitslosenhilfe die vollständige
Familienhaftung. D.h. es werden nicht nur Ehepartner und in eheähnlichen Verhältnissen mit dem Betroffenen lebende Menschen zur Beteiligung an der
Unterhaltszahlung herangezogen, sondern Eltern haften für ihre Kinder und Kinder für ihre Eltern. Dadurch dehnt sich die Einkommensabsenkung auch
auf diesen Personenkreis aus.
Altersarmut ist vorprogrammiert: Sozialhilfebeziehende bekommen bei der Berechnung ihrer
Rente nur Durchschnittswerte aus Zeiten mit Arbeitseinkommen und Zeiten der Arbeitslosigkeit bewertet (durchschnittliche Entgeltpunkte). Im Unterschied dazu wird
bei BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe der Zahlbetrag der AlHi als Bezugsgröße genommen. Sozialhilfebeziehende erhalten deshalb eine niedrigere
Rente als Arbeitslosenhilfebeziehende.
Auch für die Kinder von Sozialhilfebeziehenden hätte dies deutliche Folgen:
Wer Sozialhilfe bezieht, bekommt im Unterschied zur Arbeitslosenhilfe kein Kindergeld.
Inwieweit die arbeitsmarktpolitischen Instrumente des Sozialgesetzbuchs SGB III nach einer
Zusammenlegung noch greifen werden, ist zumindest gegenwärtig unklar. Allerdings gilt auch hier: Konsequent durchgeführt, würden nur noch die
arbeitsmarktpolitischen Instrumente des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gelten (§§1720). Das heißt, die Betroffenen können
leichter in perspektivlose und schlechter entlohnte gemeinnützigen Arbeit gezwungen werden häufig genug ohne
Qualifizierungsmöglichkeiten und ohne die Chance auf eine persönliche Entwicklung.
Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wird der Druck auf Arbeitslose
erhöht, jede noch so schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Dies verschärft die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gerade in den Niedriglohnsegmenten
und setzt tendenziell eine Lohndrift nach unten in Gang. Auch werden dadurch die Interessenvertretungsorgane und Organisationen der Arbeitnehmer in ihrer
Durchsetzungskraft geschwächt.
Aktivierender Sozialstaat
Der Beschluss der ASMK wurde unter dem Tagesordnungspunkt mit der vielsagenden Bezeichnung "Konzertierte Aktion zur Überwindung von
Sozialhilfebedürftigkeit" gefasst. Von welcher Geisteshaltung er geprägt ist, wird allerdings noch an anderen Stellen des Textes deutlich:
Da ist von der Mitwirkungsverpflichtung des Hilfebeziehenden die Rede, die dem
Hilfeanspruch gleichgewichtig gegenüberstehen müsse.
Bei einer Reform der Sozialhilfe sollen Arbeitsanreize mit Sanktionen verbunden werden, um die
Bereitschaft zu stärken, eigene Anstrengungen zur beruflichen Eingliederung zu unternehmen. Als ob der Sozialhilfebezug nicht an sich schon Strafe genug
wäre. Dem Hilfebedürftigen und Erwerbslosen wird auch noch die Schuld an seiner miserablen Lage zugeschoben.
Zwar deutet der Beschluss an einigen Stellen an, dass äußere Umstände wie die
Arbeitslosigkeit für die steigende Zahl an Hilfebeziehenden verantwortlich sind. Die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, gehen jedoch in die falsche
Richtung.
Auch wird die Sozialhilfe schöngeredet, wenn es etwa heißt, diese könne im
internationalen Vergleich gut bestehen. In Bezug etwa auf die USA ist diese Aussage richtig, in bezug auf andere westeuropäische Länder aber
keineswegs.
Neben der Erhöhung des Drucks auf sozial Bedürftige wird noch ein anderes Motiv
für die Stoßrichtung des ASMK-Beschlusses deutlich: Es sollen Kosten gesenkt werden, weil die Träger der Sozialhilfe (die Kommunen) nach wie
vor extrem belastet sind.
So gaben auch die Länder Bremen, Hamburg und Berlin zu Protokoll, sie gingen davon
ausgingen, dass bei einer Reform für die kommunalen Kassen keine zusätzlichen Leistungen/Kosten entstünden.
Dies macht leider auch deutlich, dass bei einem Versuch, die Arbeitslosenhilfe zu verteidigen, nicht
mehr mit einer Unterstützung der Kommunen gerechnet werden kann; sie werden im Falle der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wohl
einen finanziellen Ausgleich erhalten.
Der Ministerbeschluss atmet den Geist des "aktivierenden Sozialstaats"
Schröderscher Prägung, wie er im Schröder-Blair-Papier von 1999 seinen deutlichen Niederschlag fand.
Besonders deutlich wird dies dort, wo bei der Reform der Sozialhilfe Handlungsbedarf im Hinblick
auf aktivierende Angebote gesehen wird.
Ein dringender Handlungsbedarf besteht allerdings in ganz anderer Hinsicht: Der Sockel der
Massenarbeitslosigkeit, insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit, muss endlich konsequent abgebaut werden. Betroffene brauchen Hilfe, nicht Druck oder Zwang.
Modellprojekte
Der Beschluss der ASMK hat einen Vorläufer, das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der
Sozialhilfe.
Damit werden Modellprojekte ermöglicht, die im Bereich arbeitsmarktpolitischer
Maßnahmen erstmals für Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfebeziehende die arbeitsmarktpolitischen Instrumente des jeweils anderen Gesetzes
wechselseitig zur Anwendung bringen (SGB III und BSHG). Für Sozialhilfebeziehende kann dies ein Vorteil sein, für Arbeitslosenhilfebeziehende und
andere Erwerbslose ist dies ein Nachteil.
Mit diesem Gesetz werden Schritte ausgelotet, um eine Zusammenführung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf den Weg zu bringen.
Dem Vernehmen nach soll es erst in der nächsten Legislaturperiode zu einem entsprechenden
Bundesgesetz kommen. Bevor dies geschieht, sollen erst die Modellversuche zur Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Sozialämtern ausgewertet
werden.
Ein entsprechendes Gesetzeswerk ist nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes
durch den Bundesrat zustimmungspflichtig. Auf Grund der dortigen Kräfteverhältnisse, ein faktisches Patt, könnte die bekannte missliche Situation
auftreten, dass die CDU-geführten Länder noch rückschrittlichere Positionen in dieser Frage durchsetzen wollen als die SPD-Grüne
geführten Länder. Die Stimmen Mecklenburg-Vorpommerns wären dann das Zünglein an der Waage.
Elke Breitenbach/Andreas Hallbauer
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